Transformation trotz Krise(n): Wie CFOs Wandel gestalten

Christina Wilfinger, Reinhard Czerny, Klemens Eiter, Franz Schellhorn und Stefan Uher im Gespräch mit CFOaktuell

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN DR. RITA NIEDERMAYR UND MMAG. SARAH BLAIMSCHEIN.


CFOaktuell:Wann kommt wieder Normalität? Werden sich die Energiepreise irgendwann auf ein Vorkrisenniveau zurückbewegen? Wann wird sich die Inflation wieder auf ein normales (gesundes) Niveau einpendeln? Erst mit dem Rückgang der Energiepreise?

Franz Schellhorn: Wer Ihnen auf diese Fragen eine klare Antwort geben kann, ist ein Scharlatan. Niemand kann das derzeit seriös einschätzen. Klar ist, dass sich die Energiepreise erst nach dem Ende des Ukraine-Krieges wieder beruhigen werden. Ob sie wieder auf Vorkrisenniveau sinken werden, ist zu bezweifeln. Schon allein wegen des kostspieligen Umbaus der Energieversorgung („green inflation“), der nun verstärkt vorangetrieben wird.

Wir in der Agenda Austria gehen davon aus, dass wir noch längere Zeit höhere Inflationsraten sehen werden. Wegen der teurer werdenden Energieversorgung, der Diversifizierung der Lieferketten und nicht zuletzt im Zuge des grassierenden Arbeitskräfte­mangels. Dieser wird uns länger begleiten, schon allein wegen des demografischen Wandels. Mittlerweile können sich die Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber aussuchen, früher war das umgekehrt. Die Jungen werden nicht nur weniger, sie haben auch eine andere Vorstellung darüber, wie sie ihr Arbeitsleben verbringen wollen. Das alles wird den Faktor Arbeit verteuern und damit auch die Preise treiben.

Stefan Uher: Die Energiepreise werden lang­fristig nicht auf das Niveau von früher zurückkehren, sondern sich auf ein höheres „normales“ Niveau im Vergleich zu früher einpendeln. Auch die hohe Inflation wird uns zumindest mittel­fristig begleiten, da die Energiepreise noch nicht annähernd im vollen Ausmaß beim Kunden angekommen sind. Auch andere Kosten werden mit einem gewissen Timelag nachziehen.

CFOaktuell:Was werden die nächsten Monate für Ihr Unternehmen bringen?

Reinhard Czerny: Noch niemals seit Ende des 2. Weltkrieges haben sich so viele Faktoren zu einer so schwierigen Wirtschaftssituation verwoben wie jetzt. Die hohe Inflation, geopolitische Spannungen, die Energiekrise, fragile Lieferketten und die Klimakrise stellen uns als Gesellschaft, Bürger und Unternehmer vor enorme Herausforderungen. Als Landesenergieversorger haben wir seit mehreren Monaten ein aktives Krisenmanagement in Form eines situationsangepassten Beschaffungsmanagements für Strom und Gas.

Unser Fokus liegt darauf, die hohe Versorgungssicherheit für unsere Kunden auch in diesem schwierigen Umfeld zu gewährleisten. Dazu haben wir eine rollierende Beschaffungsstrategie und wir haben unsere Gasvorräte aufgestockt, um die Versorgung von geschützten Kunden, wie Privathaushalten, Krankenhäusern und Pflegeheimen, bestmöglich sicherzustellen.

Die angespannte geopolitische Situation und die Einschränkung der Gaslieferungen aus Russland führen derzeit aber zu einer großen allgemeinen Verun­sicherung. Wir bekommen täglich Anrufe von besorgten Privatkunden und von Unternehmen, die aufgrund von stark steigenden Energiepreisen ihren Betrieb gefährdet sehen. Die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen und alternativen Energiekonzepten als Antwort auf die Energiekrise ist enorm und wird sich noch weiter verstärken. Die gesamte Branche kommt zurzeit an die Grenzen der Lieferfähigkeit.

Kurzfristig braucht es einen temporären Eingriff in den europäischen Energiemarkt, um die Preise zu begrenzen und damit die Inflation zu dämpfen und die Wirtschaft am Laufen zu halten. Als Unternehmen werden wir uns in den kommenden Monaten den Veränderungen am Markt und in der Regulatorik flexibel anpassen und situativ auf die weiteren Entwicklungen reagieren.

Klemens Eiter: Wir blicken grundsätzlich positiv nach vorne. Unsere Auftragsbücher sind prall gefüllt, wir haben eine sehr gute, motivierte Mannschaft und die Energie- und Materialpreissteigerungen bisher gut gemanagt. Die Preise wichtiger Rohstoffe haben sich zuletzt reduziert und Gas spielt in unserer eigenen Produktion nur eine untergeordnete, weitgehend substituierbare Rolle.

Sollte das Gas allerdings auf breiter Fläche nicht zur Verfügung stehen, werden wohl einige unserer Lieferanten Probleme bekommen und wir hätten ein Lieferkettenthema – das wir bisher nicht hatten, auch nicht in der COVID-Zeit. Der Ukraine-Krieg und daraus resultierende Eskalationen im Energiebereich bergen daher Risiken, ansonsten sind wir zuversichtlich.

Christina Wilfinger: So wie jedes andere Unternehmen stellen wir uns auf eine herausfordernde Zeit ein. Noch nie waren die Welt und die Wirtschaft mit so vielfältigen Krisen gleichzeitig konfrontiert. Wir müssen den Markt genau beobachten, wie sich die Energiepreise, Lieferkettenunterbrechungen, Arbeitskräfte­mangel in vielen Bereichen und natürlich die steigende Inflation auswirken werden. Derzeit sind die Auswirkungen der makroökonomischen Herausforderungen auf SAP noch begrenzt.

Wir beobachten klarerweise die aktuelle Situation und die Auswirkungen auf unsere Geschäftsbereiche sehr genau. Es gibt mehrere Herausforderungen neben den bereits genannten wieSeite 161 die Zins- und Geldpolitik und den Euro/Dollar-Wechselkurs. Allerdings könnten sich die Energiepreiserhöhungen (Energieversorgung der Rechenzentren) und die Löhne zumindest mittel­fristig auswirken.

Dennoch sehen wir auch gerade durch die Digitalisierung Chancen, die sich in der Krise auch auftun. Aufgrund der geopolitischen Lage sehen wir eine erhöhte Nachfrage nach Lösungen für Cybersicherheit und Datenschutz. Auch kommt es zu Nachfrage in strategischen Bereichen wie Supply-Chain oder Nachhaltigkeit. Gerade dieser Bereich birgt gleichzeitig eine große Wachstumschance für uns, aber auch viele Unternehmen.

CFOaktuell:Wovon bzw von welchen Szenarien gehen Sie in Ihrer Finanz­organisation im Hinblick auf Ihre Planung 2023 aus?

Christina Wilfinger: Der Anteil unseres besser planbaren Geschäfts liegt derzeit bei 80 % unseres Gesamtumsatzes, und wir streben bis 2025 einen Anteil von 85 % an, was dazu beiträgt, dass die SAP vor abrupten wirtschaftlichen Schocks geschützt ist. Natürlich betrachten wir das finanzielle Umfeld sehr genau, um die Auswirkungen der Krise auf unsere Kunden besser abzuschätzen.

Die kostenseitige Abfederung der hohen Energiepreise ist sicher für alle Unternehmen ein zentrales Anliegen. Dennoch gehen wir von einer stabilen Auftragslage aus.

Reinhard Czerny:Burgenland Energie ist mit seiner neuen Unternehmensstrategie, die die Transformation von einem klassischen Energieversorger hin zu einem modernen europäischen GreenTech-Unternehmen vorsieht, sehr gut aufgestellt. Energieautarkie und Klimaneutralität durch erneuerbare Energie, Ausbau der Netze, Investitionen in Digitalisierung, niedrigschwellige und leistbare Angebote wie Photovoltaik-Abo-Modelle für unsere Kunden – mit all diesen Themen sind wir am Puls der Zeit. Sie bilden auch die strategischen Eckpunkte, auf der die Finanzplanung aufsetzt.

Kurzfristig sehen wir eine große Gefahr darin, dass Österreichs Wirtschaft stark an Schwung verlieren könnte und die Zahl der Insolvenzen ansteigt. Der laufende Budgetierungsprozess erweist sich heuer als besonders herausfordernd, da es neben der Unsicherheit in der wirtschaftlichen Entwicklung unterschiedliche Szenarien in Bezug auf geplante regulatorische Eingriffe in den europäischen und nationalen Energiemarkt gibt.

Mögliche Maßnahmen zur kurz­fristigen Senkung der Strompreise, die auf EU-Ebene diskutiert werden, betreffen die koordinierte Energieeinsparung von Erdgas und Strom sowie die Festlegung von Preisgrenzen für sogenannte „inframarginal technologies“, dh ein Preisdeckel für Kraftwerke, die Strom günstiger produzieren als Gaskraftwerke.

Als erneuerbarer Energieerzeuger wären wir von einer solchen Regelung stark betroffen. Unsere Budgetierung für das nächste Geschäftsjahr ist daher mit einigen Unsicherheiten in den Planungsannahmen behaftet und wir werden den Fokus verstärkt auf die unterjährig rollierenden Prognose­rechnungen lenken, ohne dabei unsere lang­fristigen Ziele aus den Augen zu verlieren.

Klemens Eiter: Unsere Auftragsbücher sind wie gesagt voll und die Umsätze 2023 auf dieser Basis weitgehend gesichert. Unser Energiebedarf ist in wesentlichen Teilen kontrahiert bzw preislich abgesichert, die hohen Lohn- und Gehaltssteigerungen auf Basis der aktuellen Inflation sind in unsere Kalkulationen eingepreist. Das Base-Case-Szenario schaut daher gut aus.

Die Auswirkungen einer Verschärfung des Ukraine-Konflikts bzw etwaiger Energie-Eskalationen sind schwer prognostizier- und kalkulierbar. In der COVID-Krise war dies zu Beginn ähnlich und die damals gerechneten verschiedenen Szenarien haben das im Nachhinein gezeigt: mit der Realität haben die Modelle am Ende wenig zu tun. Ihre Funktion liegt mehr darin, Grenzen in Form von Stress-Tests auszuloten.

CFOaktuell:Wie stellen Sie sich auf die nächsten Monate mit Ihrem Unternehmen konkret ein? Welche Schlüsselmaßnahmen ergreifen bzw planen Sie?

Klemens Eiter: Für uns ist entscheidend, dass wir die steigenden Kosten an die Kunden weiter­geben können. Der wichtigste Schlüssel sind daher die Preismodelle mit den Kunden. Die Preissteigerungen bei den Lieferanten und Rohstoffen gibt es nicht erst seit dem Ukraine-Konflikt und die Ergebnisse bisher zeigen, dass wir das ganz gut managen.

Auf der anderen Seite ist natürlich das Procurement sehr gefordert. Die Bestellungen müssen sehr früh gemacht werden. Unsere Leute machen dabei einen guten Job, bis jetzt ist noch keine Baustelle gestanden – auch in der COVID-Zeit.

Reinhard Czerny: Mit dem massiven Ausbau von erneuerbarer Energieerzeugung aus Windkraft und Photovoltaik sowie mit leistbaren klimafreundlichen Produkten und Lösungen für unsere Kunden haben wir Antworten auf einige der brennendsten Probleme unserer Zeit. Die Energiekrise erfordert gerade jetzt eine weitere Beschleunigung unserer Investitionsmaßnahmen in diesen Bereichen.

Wir sind davon überzeugt, dass wir durch den Umbau des Energiesystems die Krise nicht nur meistern können, sondern unser Wirtschaftssystem resilienter machen und damit gestärkt aus der Krise gehen werden.

Neben der laufenden Entwicklung von Großprojekten im Bereich Photovoltaik und Windkraft arbeiten wir an einem großen Rahmenfinanzierungs­vertrag in Form einer strukturierten Projektfinanzierung, die uns Investitionssicherheit für die nächsten vier Jahre geben soll. Daneben setzen wir auf disruptive Projekte und Partnerschaften im Bereich organischer Energiespeicher und der Wasserstoffproduktion, um unsere Vision der Energieautarkie und Klimaneutralität im Burgenland schrittweise in die Realität umzusetzen.

Die Geschwindigkeit unserer eigenen Transformation sowie die der ganzen Branche wird sich noch weiter beschleunigen. Für mich persönlich hätte der Wechsel in die Energiewirtschaft Anfang letzten Jahres zu keinem besseren Zeitpunkt stattfindenSeite 162 können. Es gibt im Moment keine spannendere, aber auch kaum eine herausforderndere Branche.

CFOaktuell:Wirken die Krisen als Beschleuniger oder Bremse der Transformation Ihres Unternehmens? Was wird nun aus der Vision einer sich transformierenden Wirtschaft mit nachhaltigen, digitalen und zukunftsfähigen Unternehmen?

Franz Schellhorn: Krisen wirken immer als Beschleuniger bereits in Gang gekommener Entwicklungen. Sowohl die Digitalisierung als auch der Umbau der Energiesysteme werden eine ganz andere Geschwindigkeit bekommen. Die Unternehmen werden mit dem bereits erwähnten Arbeitskräfte­mangel zurechtkommen müssen, ihnen bleibt letztlich nur eine Chance: Digitalisieren, was das Zeug hält.

Klemens Eiter: Die Energiewende/-transformation ist alternativlos und die damit verbundenen Infrastrukturinvestitionen sind ein Beschleuniger. Die Frage ist nur, wie schnell die öffentliche Hand auch tatsächlich tätig wird und investiert. Mit unseren Kompetenzen im Energie- und Gebäudebereich (Kraftwerksbau, Windparkfundamente, Geothermie, Leitungs-/Pipelinebau, LNG-Terminals, Energieeffizienz/Gebäudesanierung) sind wir sehr gut dafür aufgestellt.

Reinhard Czerny: Unsere Vision ist, das Burgenland bis 2030 klimaneutral und energieautark zu machen. Dazu investieren wir bis 2025 über 2 Milliarden Euro in Windkraft und Photovoltaik, leistungsfähige Stromnetze, Speicherlösungen und Digitalisierung. Es geht darum, grüne Energie zu produzieren und intelligent zu nützen. Wir verstehen die Krise daher nicht nur als Gefahr, sondern auch als große Chance, unser Unternehmen noch nachhaltiger, resilienter und leistungsfähiger zu machen.

Nur jene Unternehmen, denen es gelingt, die Krise als Beschleuniger der Transformation zu nützen, werden überleben und gestärkt aus der Krise gehen. Die Vision einer sich transformierenden Wirtschaft mit nachhaltigen und digitalen Unternehmen ist damit relevanter denn je. Sie ist Voraussetzung für die lang­fristige Wettbewerbsfähigkeit und wird unseren Wohlstand in Europa sichern.

Christina Wilfinger: Jede Krise bedeutet Veränderung – unter Druck. Das hat uns bereits die Pandemie gezeigt; plötzlich gab es Home-Office, Home-Schooling, elektronische Krankschreibung etc. Wir haben uns bewegt und unsere Komfortzone verlassen (müssen). Und wir haben gesehen, dass durch den Einsatz von Technologie plötzlich Möglichkeiten entstehen, die wir vorher gar nicht auszuprobieren wagten.

So begleiten wir unsere Kunden nun noch intensiver auf ihrem Weg in die Cloud, um die Möglichkeiten der digitalen Transformation auszuschöpfen und den Wert der Datenschätze proaktiv fürs Business nutzen zu können.

Stefan Uher: Es ist zu hoffen, dass die Krisen nur eine temporäre Bremse der Transformation sind. Im Bereich Digitalisierung, aber vor allem bei der Nachhaltigkeit allgemein, ist aber eine Bremswirkung eindeutig zu bemerken. Die einzige Ausnahme ist der Energiesektor, hier beschleunigen die Krisen die Transformation ganz wesentlich.

CFOaktuell:Verändert sich die Art der Unternehmensführung? Führt weniger Planungssicherheit zu mehr Flexibilität und Resilienz? Und wie kommt man dazu?

Christina Wilfinger: In guten wie auch schwierigen Zeiten muss jeder Unternehmer seine Zahlen im Blick haben – Transparenz auf allen Ebenen ist gefordert, daran führt kein Weg vorbei und das in Echtzeit!

Die gesamte Organisation ist dadurch gefordert umzudenken: Strategien, Strukturen, Prozesse, Positionen wie auch die Unternehmenskultur geraten auf den Prüfstand und müssen sich in einer neuen Welt bewähren, die von Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität geprägt ist. Durch die Digitalisierung gibt es heute auch sehr viel mehr und sehr viel bessere Tools und Technologien, die dabei helfen. Dazu zählen vor allem sogenannte Advanced Analytics – Technologien, die in die Zukunft gerichtete Informationen für die Entscheidungsfindung liefern.

Klassische Analysen, wie sie heute noch in den Reports der Finanzabteilungen überwiegen, zielen mit ihren Ergebnissen darauf ab, Aussagen basierend auf der Vergangenheit zu treffen. Mithilfe analytischer Funktionalitäten wie Forecasting, Simulationen oder intelligenten Algorithmen, die auf Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) zurückgreifen, lassen sich große Datenmengen auf Zusammenhänge und Abhängigkeiten untersuchen, deren Aussagekraft bis weit in die Zukunft reicht.

Dadurch können – gerade auch im volatilen wirtschaftlichen Umfeld – bessere Entscheidungen getroffen werden. Im Fall der SAP ist das ein rollierender Fünf-Jahres-Plan mit den Plansegmenten Umsatzplanung/Umsatzziele, Zielbudgetierung und Kosten. Kurz: Bei der strategischen Finanzplanung läuft der gesamte Planungsprozess zusammen.

CFOaktuell:Werden die Energiekrise und deren Auswirkungen einen Einfluss auf die Themen Sustainability und Nachhaltigkeit haben? Falls ja, welche und in welchem Zeitraum sind diese realistisch?

Reinhard Czerny: Die Energiekrise zeigt uns die Grenzen der Globalisierung und die Gefahren von wirtschaftlicher Abhängigkeit auf. Kurzfristig geht es um das Überleben, dh unsere Wirtschaft am Laufen zu halten und Schaden zu begrenzen. Mit jedem Kohlekraftwerk, das wieder in Betrieb genommen wird, scheint das Thema Nachhaltigkeit damit in den Hintergrund zu rücken. Man könnte meinen, die Energiekrise ist eine Bremse für die Energiewende.

In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall. Die Energiekrise verstärkt den Druck, möglichst schnell aus fossilen Energieträgern auszusteigen und wird die Energiewende durch den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien und deren Akzeptanz stark beschleunigen. Dieser Trend wird technologisch dadurch verstärkt, dass Photovoltaik und Windkraft bereits heute die günstigsten StromerzeugungstechnologienSeite 163 sind. Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit stehen damit nicht mehr im Widerspruch, sondern ergänzen einander.

Voraussetzung für eine erfolgreiche und rasche Umsetzung ist allerdings, dass die Planungs- und Genehmigungs­verfahren für Erneuerbare Energie, Strom- und Wasserstoffnetze konsequent vereinfacht und beschleunigt werden. Darüber hinaus bedarf der Infrastrukturausbau einer Koordinierung in Form eines integrierten Systementwicklungsplans. Hier ist die Politik gefordert, schneller zu agieren und die Weichen für eine klimaneutrale Zukunft zu stellen.

Nur wenn alle Akteure – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – an einem Strang ziehen, können wir die Klimaziele der Mission 2030 und darüber hinaus erreichen. Wenn Sie mich fragen, schulden wir es unseren Kindern, diese Herausforderung anzunehmen und alles zu unternehmen, um die Energie- und Klimakrise wirksam zu bekämpfen.

Klemens Eiter: Die Krise muss dafür genutzt werden. Allerdings wird es einen mittel­fristigen Übergangs­zeitraum geben müssen, in dem auch alternative fossile Investitionen notwendig sein werden, da grüne Energie als Ersatz für das unsichere/nicht mehr kommende russische Gas nicht schnell und ausreichend genug geschaffen werden kann.

Franz Schellhorn: Die Energiekrise wird den Umbau der Energieversorgung massiv beschleunigen. In den nächsten zehn Jahren wird sich in diesem Bereich Gewaltiges bewegen (müssen). Selbst nach einem Ende des Ukraine-Kriegs wird Russland nie mehr der verlässliche Lieferant billigen Erdgases werden, der er einmal war.

CFOaktuell:Verstärkt sich der Trend zu Digitalisierung und Automatisierung oder ist die Energiebremse diesbezüglich ein Hindernis? Welche Rolle spielen hierbei die Pensionierungswelle und der daraus resultierende Fachkräfte­mangel?

Franz Schellhorn: Mittlerweile können wir nicht mehr von einem Fachkräfte­mangel sprechen, sondern von einem generellen Arbeitskräfte­mangel. Es fehlen an allen Ecken und Enden Mitarbeiter. Den Unternehmen bleiben nur zwei Chancen: Gnadenlos zu digitalisieren oder bei der Politik auf qualifizierte Zuwanderung zu pochen.

Denn eines ist klar: Die (Früh-)Pensionierung geburtenstarker Jahrgänge hat gerade erst begonnen. Bis 2050 wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um rund 300.000 abnehmen, jene der Pensionisten um knapp eine Million steigen. Das wird nicht nur für die Unternehmen eine große Herausforderung, sondern für den gesamten Sozialstaat. Hinzu kommt, dass die Aktiven den klaren Wunsch haben, weniger zu arbeiten. Wenn uns in den kommenden Jahren keine Produktivitätsexplosion gelingt, wird die Sache ziemlich haarig werden.

CFOaktuell:Kann man den Energiebedarf bei anhaltender Konjunktur senken?

Franz Schellhorn: Der Energiebedarf pro erwirtschafteten Euro an Wirtschafts­leistung ist heute ja schon deutlich niedriger als vor 20 oder 40 Jahren. Das Problem ist, dass der Großteil der Emissionen bis zum Ende des Jahrhunderts aus den Entwicklungs- und Schwellenländern kommen wird. Diese Menschen wollen ein besseres Leben haben und sie werden sich nicht von uns zum Verzicht überreden lassen. Das bedeutet: Wir brauchen eine verstärkte Innovationskraft, um den ärmeren Menschen billige und saubere Energieträger zur Verfügung zu stellen. Im Idealfall werden diese Technologien in Europa entwickelt.

Stefan Uher: Es gibt einige Bereiche, in denen der Energiebedarf gesenkt werden kann, aber insgesamt ist eine Senkung des Energiebedarfs bei anhaltender Konjunktur unrealistisch. Umso wichtiger ist ein konsequenter Wechsel hin zu erneuerbarer Energie.

CFOaktuell:Werden zukunftsträchtige (nachhaltige) Investitionen vernachlässigt zugunsten von Investitionen in konventionelle Energieerzeugung?

Reinhard Czerny: Gestiegene Investitionen in konventionelle Energieerzeugung sind ein temporäres Phänomen. Die Maßnahmen helfen kurz­fristig, die Symptome von Versorgungsengpässen zu bekämpfen, lösen aber nicht die zugrunde liegenden Ursachen. Die weiterhin gültigen Megatrends, die die Energiewende unverändert vorantreiben, heißen: Dekarbonisierung, Digitalisierung, Dezentralisierung, Demokratisierung sowie Degression der Energieerzeugungs­kosten – kurz „die 5 Ds“.

Die Dekarbonisierung durch Elektrifizierung mittels Erneuerbarer Energien steht dabei als strategischer Fixpunkt über allem. Strom wird unaufhaltsam zur Leitenergie des 21. Jahrhunderts. Wind- und Solaranlagen sind dank jahrelanger Forschung inzwischen die günstigsten Stromlieferanten. Mit Hilfe fortschreitender Digitalisierung und des Einsatzes von Smart Meter gelingt eine dezentrale Erzeugung, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden.

Millionen kleiner und großer Stromerzeugungsanlagen werden heute direkt mit dem Strommarkt verbunden. Konsumenten werden damit auch zu Produzenten und mit jeder neuen PV-Anlage und jedem Speicher sinkt die Abhängigkeit von fossiler Energie. Die Krise hat diesen Trend nicht nur verstärkt, sondern vielmehr beschleunigt.

CFOaktuell:Was können CFOs tun, um ihr Unternehmen auf Transformationskurs zu halten?

Christina Wilfinger: Ich sehe den CFO als Steuermann und auch Taktgeber in diesen herausfordernden Zeiten. Der CFO übernimmt mehr und mehr die Rolle des bereichsübergreifenden „trusted advisor“ und ist jetzt ein „data-driven“ CFO. Heute ist der CFO proaktiv-prognostizierend, Seite an Seite mit den Fachbereichen, um neue Geschäftspotenziale zu generieren. Das Mindset hat sich gewandelt und die analytischen Tools, die zur Verfügung stehen, sind das wichtigste Asset.

Wir sehen sehr deutlich auch bei unseren Kunden, wie im Zuge der digitalen Transformation die Ausrichtung des Finanzbereiches entlang der operativen Wertschöpfungskette neuer Geschäftsmodelle eine zentrale Rolle spielt. Technologieteams und die Finanz­organisation müssen ein gemeinsamesSeite 164 Verständnis für die organisatorischen Gesamtziele und Mechanismen entwickeln. Die datengestützte Finanzabteilung ist ohne qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht denkbar.

Das heißt: Um einen optimalen Wert aus den Daten schöpfen und diese als Entscheidungsgrundlage nutzen zu können, ist eine Fach- und Methodenkompetenz aller Beteiligten des Finanzbereiches erforderlich. Dies bedeutet eine weitreichende Umorientierung für die Mitarbeiter des Bereiches.

Reinhard Czerny: Die Rolle des CFOs hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Neben den traditionellen Finanzaufgaben wird der CFO zu einem wichtigen Mitgestalter der Unternehmensstrategie, der Risiken und Chancen im Unternehmen ausbalanciert.

Die strategische Finanzplanung mit einem ausgewogenen Chancen- und Risikomanagement wird zu einem bedeutenden Schwerpunkt. Investitionen müssen konsequent auf Wachstum, Innovation und Effizienz ausgerichtet werden. In der Energiewirtschaft besteht die Herausforderung einer erfolgreichen Transformation darin, die Chancen der beiden weltweiten Megatrends, nämlich der Elektrifizierung und der Digitalisierung, zu nutzen, um den lang­fristigen Geschäftserfolg durch profitables Wachstum sicherzustellen. Der CFO wird damit auch zum Chief Future Officer.

Klemens Eiter: Alle Unternehmen haben derzeit einen Fokus auf Energie, Material, Inflation und Gehaltssteigerungen. Der CFO sensibilisiert, liefert Daten für faktenbasierte Entscheidungen, monitort im Controlling die laufende Entwicklung und unterstützt damit rasches, resilientes Handeln.


Der Beitrag erschien zunächst in CFOaktuell (Heft 1/2022). Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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