Interview: „Es braucht Pioniere, die sich auf den Weg machen“
Im Interview spricht Gerald Mitterer, Gründungsmitglied der Management-Beratung dwarfs and Giants über Organisationen im Wandel, agile Teams und Führung im digitalen Zeitalter. Zudem gibt er Einblicke in die Mitarbeiter-Skills von Morgen.
Controller Institut: Alle sprechen von einer radikalen Änderung des Kontexts der Organisationen. Was ist heute anders?
Gerald Mitterer: Wir leben in einem digitalen Wissenszeitalter mit globalen Märkten. Während im Industriezeitalter des vorigen Jahrhunderts Wettbewerbsvorteile durch Spezialisierung, Standardisierung und damit Skaleneffekten entstanden sind, liegen Wettbewerbsvorteile heute viel mehr in Innovation und Anpassungsfähigkeit. Es ist klar, dass viele Tätigkeiten durch Robotik und künstliche Intelligenz abgelöst werden. Umso mehr müssen Organisationen lernen, das menschliche Potenzial in seiner Einzigartigkeit zu nutzen: die Kreativität, Empathie- und Kollaborationsfähigkeit von Menschen. Und sie müssen anpassungsfähig werden, um in einem dauerhaften VUCA-Kontext (volatil, unsicher, komplex, mehrdeutig) leistungsfähig zu bleiben. All das wird sich auf die Art auswirken, wie wir Organisationen, Führung, Umgang mit Macht in Organisationen denken.
CI: Wie können sich Organisationen besser aufstellen? Welches Organisationsverständnis ist notwendig?
Mitterer: Ich bin überzeugt, dass es um einen paradigmatischen Wandel von Organisations- und Menschenbildern geht, die neuen Organisationsformen zugrunde liegen. Die heute noch dominierenden Managementansätze entstammen einer Zeit, in der Organisationen als Maschinen gedacht wurden. Es ging um Optimierung aller Zahnräder. Häufig mit dem Bild, dass Menschen angetrieben und durch Anreize motiviert werden müssen, um Leistung zu bringen. Organisationen der Zukunft zu gestalten heißt für mich, sich mit diesen Annahmen bewusst auseinanderzusetzen. Was ist mein Bild von Menschen und Organisationen? Was treibt Menschen an? Wie manifestiert sich eine Grundhaltung des Vertrauens in unseren Systemen? Was heißt es, Organisationen als lebendige Organismen zu verstehen, die komplex und nicht linear steuerbar sind? Ohne eine grundlegende Reflexion der eigenen Haltung bleiben neue Methoden meist nur Oberflächenkosmetik in der Hoffnung noch mehr aus Organisationen rausholen zu können.
CI: Woran machen Sie fest, ob Finanzorganisationen bzw. Unternehmen als Ganzes fit für die Zukunft sind?
Mitterer: Für mich geht es grundlegend, um die Bereitschaft sich auf ein ungewisses Abenteuer einzulassen. Transformationen bedeutet paradigmatische Veränderungen. Beispielsweise die Frage, welches Modell passend ist, um mit Komplexität und Dynamik umzugehen, das im Gegensatz zu klassischen Managementhierarchien steht, welches wiederherum auf Stabilität und Skalierung ausgerichtet ist. Was Neues zu denken, stellt Anforderungen, sich ins Nicht-Wissen zu begeben. Wenn jemand vor 100 Jahren gefragt hätte, wie Managementhierarchie genau funktioniert, wie Ressourcensteuerung, Priorisierung, Gehaltsmodelle usw. funktionieren, hätte es genauso wenig Sicherheit und Klarheit gegeben, wie es sie heute für neue Organisationsformen gibt. Wir stehen trotz vieler Erfolgsbeispiele immer noch am Beginn und es braucht Pioniere, die sich auf den Weg machen.
CI: Finanzorganisationen zeichnen sich häufig durch eine Kultur aus, die stark von einem reinen Effizienzparadigma geprägt wird. Wie lässt sich das überwinden?
Mitterer: Es geht für mich nicht darum, das Effizienzparadigma zu überwinden. Sondern Effizienz für ein hochdynamisches, komplexes Umfeld neu zu definieren im Sinne von: Was halten wir angesichts des beschriebenen neuen Kontextes für wirksam und wirtschaftlich? Und das ist sicher etwas anderes, wie unter den Bedingungen von Stabilität und Standardisierung. Natürlich sitzen diese Annahmen tief, was sich in Zusammenlegungen und Zentralisierungen von Bereichen etc. widerspiegelt. Leider korreliert eine Zentralisierung von Entscheidungen nur selten positiv mit schnellem Reagieren auf schwache Signale oder Lern- und Anpassungsfähigkeit von Organisationen.
CI: Was sind die größten Missverständnisse im Zusammenhang mit Agilität?
Mitterer: In meinem Erleben ist es der Irrtum, dass es um schneller, höher, weiter geht und dafür zB agile Teams eine Lösung sind, weil sie häufig produktiver sind. Für mich geht es im Kern um die Frage, wie Organisationen und Menschen lernen. Denn wenn wir der Annahme folgen, dass sich Organisationen für ein permanentes VUCA-Umfeld aufstellen müssen, dann geht es nicht die ‚Richtigkeit von Entscheidungen‘, sondern um die Geschwindigkeit des Lernens. Und dabei hilft die agile Haltung in kleinen, machbaren Schritten zu denken.
Tipp
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