Entscheiden unter Unsicherheit

Stellen Sie sich vor, das Geschäftsmodell Ihres Unternehmens wird innerhalb einer Woche obsolet, Sie wissen nicht, für welches Zukunftsszenario Sie ein neues entwickeln sollen, und Ihr Cash reicht noch für zwei Monate. Was jetzt gefragt ist, sind Entscheidungen: rasche, richtige und nachhaltige.


In der Entscheidungstheorie unterscheidet man drei Arten von Ignoranz: (1) Entscheidungen unter Risiko, bei denen die Konsequenzen einer Entscheidung und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten bekannt sind, (2) Entscheidungen unter Ungewissheit, bei denen zwar die Konsequenzen, aber nicht deren Eintrittswahrscheinlichkeiten bekannt sind und (3) Entscheidungen unter (vollkommener) Unsicherheit, bei der nicht einmal die Konsequenzen abgeschätzt werden können.

Alte Regeln greifen nicht

Während für den Fall (1) nach Erwartungs­wert und Standardabweichung entschieden werden kann, sind die bekanntesten Regeln für Fall (2) die Maximin oder die Maximax Regel – je nachdem, ob man im negativen Fall am wenigsten schlecht, oder im positiven Fall „am meisten“ gut dastehen möchte. Für Fall (3) fehlen gute Ratschläge, außer das Prinzip des unzureichenden Grundes, das unbekannte Handlungen und Konsequenzen als gleich-wahrscheinlich erachtet.

In unserer VUKA-Welt 1 sind wir vermehrt gezwungen, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen. Dadurch verstärken sich bestehende kognitive Verzerrungen, und der Entscheidungsprozess leidet: Die wahrgenommenen Handlungsoptionen werden durch Narrow Framing auf binäre Ja/Nein-Entscheidungen reduziert, die Analyse dieser verbleibenden Optionen wird durch Confirmation Bias auf vorgefasste Meinungen beschränkt, der dadurch entstehende Informations­mangel wird durch Emotional Reasoning verschlimmert und schließlich führt Overconfidence zu Aktionismus im Umsetzen falscher Entscheidungen.

Neue Regeln müssen sich bewähren

Ein Modell zur Lösung dieses Dilemmas ist das WRAP-Framework 2 , das vier Wege zu besseren Entscheidungen beschreibt: Als erstes gilt es den Horizont zu erweitern und aus der binären Falle auszubrechen, in dem man zB Ja/Nein-Optionen ausschließt und bewusst nach dritten und vierten Möglichkeiten sucht. Dann gilt es seine Annahmen einem strengen Realitätstest zu unterziehen, indem man bewusst unbequeme Meinungen zulässt und Annahmen konkretisiert. Vor der Entscheidung sollte man in Distanz gehen und sich vorstellen, wie eine Entscheidung in einem oder in zehn Jahren beurteilt würde. Schließlich muss man immer davon ausgehen, falsch entschieden zu haben. Dies rechtzeitig zu erkennen gelingt, wenn man bereits vorher die Indizien dafür definiert.

McKinsey 3 schlägt fünf Prinzipien vor, um in der Krise entscheidungssicher zu bleiben: Zunächst gilt es, Aktionismus zu vermeiden und innezuhalten. „Think, while others run” ist dann ein guter Ratschlag, wenn von einer längeren Disruption mit ungewissen Auswirkungen ausgegangen werden muss. Das Denken darf aber nicht zu lange dauern und muss daher intensiv, konsequent und schonungslos die gesamte Breite des Problems erkennbar machen. Dies wird nur dann gelingen, wenn zwischen Entscheidern, Stakeholdern und Experten unterschieden wird und diese richtig eingebunden werden. Gerade bei virtuellen Teams ist dazu ein Meeting- und Kommunikationsformat zu finden, das niemanden ausschließt, aber trotzdem effizient bleibt. Diese neue Art des Informationsaustausches wird auch die Organisation verändern. In Krisen braucht es Agilität mit einem starken Zentrum. Die Führung muss die großen Dinge entscheiden und die kleinen an ein flexibles Netzwerk an schlagkräftigen Teams delegieren. Diese Entscheidungszentren aufzusetzen und zu „empowern“ muss rasch geschehen und bedarf daher des Muts zur Lücke. Krisen zeichnen sich durch die Notwendigkeit von vielen, kleinen, kritischen Entscheidungen mit hoher Tragweite aus. Dabei gilt es zu unterscheiden, welche davon lange fällige Veränderungen endlich verankern und welche besser nach Ende der Krise wieder zurückgenommen werden sollten. Schließlich brauchen Krisen Krisen-Manager. Dies sind selten die Personen, die in stabilen Phasen mächtig geworden sind. Ein frischer, hierarchieferner Blick auf das Team ist die Voraussetzung für erfolgreiche Führung durch die Krise.

Gerade bei einer exponentiellen Entwicklung einer Krise bedeutet das Gefühl, bereits genug getan zu haben, dass man hinterherhinkt. Zugleich zeigt die Erfahrung, dass es weniger um die Schnelligkeit, als um die Grundsätzlichkeit der Entscheidungen geht – es gilt: Go big or go bust.


Quellen:

1 Volatil, Unsicher, Komplex, Ambivalent.

2 Heath, C/Heath, D, Decisive: How to Make Better Choices in Life and Work, 2013.

3 Alexander/De Smet/Weiss, Decision making in uncertain times, March 2020, https://www.mckinsey.com/business-functions/organization/our-insights/decision-making-in-uncertain-times  (Zugriff am 16. 4. 2020).


Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 3/2020) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert