Einfluss von COVID-19 auf Kapital­kosten und Bewertungsniveaus

Die COVID-19-Krise hat nicht nur einen signifikanten Einfluss auf unser menschliches Miteinander, sondern auch auf die wirtschaftliche Situation. Die massiven Verwerfungen an den Börsen haben zu niedrigeren Bewertungsniveaus und damit zu einer Veränderung von impliziten Kapital­kosten und Bewertungsparametern geführt. Entscheidungsträger sollten diese neuen Rahmenbedingungen bei nun vermehrt erforderlichen Goodwill Impairment Tests berücksichtigen als auch bei der Beurteilung von Investitionsmöglichkeiten einbeziehen, um fundierte Investitions­entscheidungen abzuleiten.


1. Zielsetzung der Europa-Kapitalmarktstudie

ValueTrust publiziert seit 2018 halbjährlich die Europa-Kapitalmarktstudie, um Entscheidungsträgern eine umfassende Datenbasis für die Ermittlung von Kapital­kosten im Rahmen von Investitions­entscheidungen zu bieten. Die Europa-Kapitalmarktstudie basiert auf dem Aktienindex STOXX Europe 600 und leitet durch verschiedene Methoden Kapital­kosten und Bewertungsparameter ab:

  • Sie enthält alle wesentlichen Kapital­kostenparameter (Basiszinssatz, Beta-Faktoren unterschiedlicher Branchen, Marktrisiko­prämie) zur Anwendung des Capital Asset Pricing Models (CAPM),
  • sie leitet implizite Eigen­kapitalkosten für den Gesamtmarkt und für die unterschiedlichen, im Index enthaltenen Branchen aus zukunftsorientierten Gewinnschätzungen von Analysten ab, 1
  • sie stellt historische Total Shareholder Returns dar 2
  • und bietet eine Zusammenfassung der Bewertungsniveaus des Gesamtmarktes und der unterschiedlichen Branchen durch Börsenmultiplikatoren.

So werden Entscheidungsträgern zur Bewertung von Investitionen bzw Zielunternehmen Parameter zur Anwendung vier verschiedener Bewertungsansätze an die Hand gegeben. 3

Die Analysen beinhalten alle Unternehmen des europäischen Aktienindex STOXX Europe 600 und somit zum 31. 3. 2020 600 Unternehmen aus zehn Branchen. Die Branchenzu­ordnung folgt der Klassifizierung von STOXX.

2. Bewertungsparameter des CAPM

2.1. Europäischer Basiszinssatz

Der risikofreie Basiszinssatz wird aus langlaufenden Staats­anleihen europäischer Länder mit erstklassigem Rating abgeleitet. Zum 31. 3. 2020 waren in der Eurozone Deutschland, Luxemburg und die Niederlande AAA-gerated ( Standard & Poors), sodass deren Staats­anleihen bestmöglich das Kriterium der Risikofreiheit erfüllten. Daher beruht die Ableitung des europäischen Basiszinssatzes aus der Zinsstrukturkurve auf den von der Europäischen Zentralbank aggregiert veröffentlichten Kapitalmarktdaten dieser drei Länder.

Seit Beginn unseres Beobachtungs­zeitraums (31. 12. 2013) ist der europäische Basiszinssatz von 2,78 % auf 0,11 % nahezu kontinuierlich gesunken und befindet sich auf einem historischen Tief. Das weitere Sinken des Basiszinssatzes im ersten Quartal 2020 ist auf umfangreiche Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zur Liquiditätsbereit­stellung in Reaktion auf die COVID-19-Krise zurückzuführen.

Abb 1: Entwicklung des Basiszinssatzes

Abb 1: Entwicklung des Basiszinssatzes

2.2. Betafaktoren nach Branchen

Der Beta-Faktor im CAPM misst das systematische Risiko einer Anlagemöglichkeit und gibt somit wieder, in welchem Maße das unternehmensspezifische Risiko höher oder geringer als das Risiko des Gesamtmarktes (Beta=1) ist. Besitzt ein Unternehmen einen Beta-Faktor größer als 1, bedeutet dies Seite 81 folglich, dass das unternehmensspezifische Risiko höher als das Marktrisiko ist, ein Beta-Faktor geringer als 1 drückt dementsprechend ein geringeres Risiko als das des Marktes aus. Der Beta-Faktor beinhaltet einerseits das operative Risiko eines Unternehmens und andererseits dessen Verschuldungsrisiko, sodass der verschuldete Beta-Faktor eines Unternehmens in der Regel höher ist als sein unverschuldeter Beta-Faktor (mit Ausnahme eines unverschuldeten Unternehmens).

Im Rahmen der Europa-Kapitalmarktstudie wird auf aggregierte Branchen-Betas abgestellt, welche durch Regression historischer Aktienrenditen gegen den Aktienindex STOXX Europe 600 über einen Zeitraum von fünf Jahren ermittelt wurden.

Den höchsten unverschuldeten Betafaktor weist der Sektor Energy mit 0,78 auf, gefolgt von Technology (0,75). Utilities haben den niedrigsten unverschuldeten Betafaktor mit lediglich 0,44; nur wenig höher liegen die Betas von Consumer Non-Cyclicals und Telecommunications Services (jeweils 0,46) (siehe Tab 1).

2.3. Implizite Eigen­kapitalkosten und Marktrisiko­prämie des Gesamtmarkts

Die Marktrisiko­prämie kann nicht direkt am Kapitalmarkt beobachtet werden, sondern ergibt sich nach dem CAPM als Differenz zwischen der Gesamtmarktrendite und dem risikolosen Basiszinssatz. Die Ermittlung impliziter, verschuldeter Eigen­kapitalkosten des Gesamtmarkts, welche der impliziten Gesamtmarktrendite entsprechen, und das anschließende Abziehen des risikofreien Basiszinssatzes ermöglicht eine vorausschauende Ermittlung der impliziten Marktrisiko­prämie.

Zur Berechnung impliziter Gesamtmarktrenditen wird eine Variante des Residual­gewinnmodells herangezogen und nach den Eigen­kapitalkosten wie folgt aufgelöst: 4

Im Vergleich zum 31. 12. 2019 ist die implizite Gesamtmarktrendite von 7,8 % auf 9,1 % zum 31. 3. 2020 deutlich angestiegen und kennzeichnet mit Ausnahme der impliziten Marktrendite zum 31. 12. 2018 (9,2 %) das höchste Niveau während des Betrachtungs­zeitraums. Der Grund hierfür ist der deutliche Rückgang der Markt­kapitalisierungen europäischer Unternehmen infolge der COVID-19-Krise und die damit einhergehenden geringeren Bewertungsniveaus. Zusätzlich zum Anstieg der Gesamtmarktrendite trägt der weitere Rückgang des Basiszinssatzes zu einem Anstieg der impliziten europäischen Marktrisiko­prämie bei, sodass diese von 7,6 % zum 31. 12. 2019 auf 9,0 % zum 31. 3. 2020 deutlich angestiegen ist.

Insgesamt haben sich somit die impliziten Eigen­kapitalkosten europäischer Unternehmen durch die Effekte der Corona-Krise deutlich erhöht und reflektieren die aktuell vorherrschende hohe Unsicherheit und geringe Visibilität der Unternehmen. Somit geht das erhöhte wirtschaftliche Risiko mit höheren Eigen­kapitalkosten einher (siehe Abb 2).

3. Implizite Eigen­kapitalkosten der verschiedenen Sektoren

Die Ermittlung der branchenspezifischen impliziten Marktrenditen wird ebenso wie die Berechnung der Gesamtmarktrenditen anhand des Residual­gewinnmodells durchgeführt. Anschließend wurden die impliziten verschuldeten Branchenrenditen in unverschuldete implizite Branchenrenditen anhand folgender Formel überführt:

Entscheidungsträger können aufbauend auf den impliziten unverschuldeten Branchenrenditen „ihrer“ Branche durch Adjustierung der Verschuldung ( Relevern) auf ihr spezifisches Unternehmen zukunfts­gerichtete Eigen­kapitalkosten bestimmen. Dies stellt eine zum CAPM alternative Möglichkeit der Eigen­kapitalkosten­ermittlung dar.

Mit Ausnahme der Financials, deren unverschuldete Eigen­kapitalkosten aufgrund ihres Geschäftsmodells den verschuldeten entsprechen, haben Unternehmen des Sektors Energy die höchsten impliziten Eigen­kapitalkosten. Im Gegensatz zu allen anderen Sektoren, deren implizite Eigen­kapitalkosten im ersten Quartal 2020 allesamt gestiegen sind, ist die implizite Branchenrendite des Energy-Sektors jedoch im ersten Quartal 2020 leicht zurückgegangen. Dies ist auf den stärkeren Rückgang der Analystenschätzungen im Vergleich zu den Markt­kapitalisierungen für diesen Sektor zurückzuführen (siehe Abb 3).

4. Bewertungsniveaus des Gesamtmarkts und der verschiedenen Sektoren

Im Rahmen einer fundierten Unternehmens­bewertung werden typischerweise Kapital­wertkalküle (zB das Discounted Cash Flow-Verfahren) angewendet. Darüber hinaus bietet die Multiplikator-Methode eine einfache und zeiteffiziente Möglichkeit zur vergleichenden Schätzung von Unternehmens-„Preisen“, welche von den im Rahmen von Kapital­wertkalkülen bestimmten Unternehmens­werten zeitweise jedoch signifikant abweichen können.

Tab 1: Verschuldete und unverschuldete Branchenbetas 5

Tab 1: Verschuldete und unverschuldete Branchenbetas 5

Abb 2: Implizite Marktrendite und implizite Marktrisiko­prämie des STOXX Europe 600

Abb 2: Implizite Marktrendite und implizite Marktrisiko­prämie des STOXX Europe 600

Abb 3: Unverschuldete, implizite Branchenrenditen in Europa 6

Abb 3: Unverschuldete, implizite Branchenrenditen in Europa 6

Tab 2: Branchen-Multiplikatoren in Europa zum 31. 3. 2020 vs 31. 12. 2019

Tab 2: Branchen-Multiplikatoren in Europa zum 31. 3. 2020 vs 31. 12. 2019

Die Multiplikator-Methode wird in vielen Fällen zusätzlich zu Kapital­wertkalkülen angewandt, um ein abgerundetes Bild in der Bewertung eines Unternehmens zu erhalten. Gerade in volatilen Zeiten empfiehlt sich die Anwendung vielfältiger Bewertungs­methoden, um Sicherheit in der Beurteilung von Investitionsobjekten zu erhalten.

In Tab 2 werden die Umsatzmultiplikatoren ( Enterprise Value (EV)/Umsatz), die EBIT-Multiplikatoren (EV/EBIT) und die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) zum 31. 3. 2020 im Vergleich zum 31. 12. 2019 dargestellt. Die hier betrachteten Multiplikatoren sind zukunfts­gerichtet (sog Forward-Multiplikatoren), da die Bezugsgröße (Umsatz, Gewinn bzw EBIT) auf einjährigen Analystenschätzungen basiert.

Es fällt auf, dass, trotz eines Rückgangs der ungewichteten, durchschnittlichen Markt­kapitalisierungen der im STOXX Europe 600 enthaltenen Unternehmen in Q1 2020 um ca 26 %, der Rückgang der Multiplikatoren über diesen Zeitraum deutlich geringer ausfällt. Der Grund dafür liegt in der gleichzeitigen, jedoch im Vergleich zu den Markt­kapitalisierungen weniger signifikanten, Reduktion der Analystenschätzungen für Umsätze und Gewinngrößen (ungewichteter, durchschnittlicher Gewinn pro Aktie ca -17 %), welche die Nenner der jeweiligen Multiplikatoren darstellen. Die einzige Ausnahme stellt der Energy-Sektor dar, dessen KGV und EV/EBIT-Multiplikatoren seit 31. 12. 2019 sogar gestiegen sind; dies weist auf eine im Vergleich zum Rückgang der Markt­kapitalisierungen überproportionale Reduktion der Analystenschätzungen hin.

Auf den Punkt gebracht

Die COVID-19-Krise hat einen signifikanten Impact auf die europäischen Kapitalmärkte:

  • Durch die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank ist der Basiszinssatz in Q1 2020 weiter auf 0,11 % zum 31. 3. 2020 gesunken,
  • die Verwerfungen an den Börsen haben trotz gleichzeitiger Reduktion von Analystenschätzungen zu niedrigeren Bewertungsniveaus geführt;
  • dies spiegelt sich in höheren impliziten Eigen­kapitalkosten und in einer höheren Marktrisiko­prämie wider.

Die hohen Unsicherheiten in der aktuellen Krise führen somit zu erhöhten Eigen­kapitalkosten und geringeren Multiplikatoren für nahezu alle Branchen. Dies bedeutet, dass die Bewertung eines Investitionsobjekts mit unverändertem Cashflow-Profil vor der Krise zu einem höheren Wert geführt hätte als dies nun inmitten der COVID-19-Krise der Fall ist. Entscheidungsträger sollten daher die geänderten Rahmenbedingungen und Bewertungsparameter bei der Beurteilung von Investitionsobjekten berücksichtigen, um fundierte, risikoadäquate Investitions­entscheidungen zu treffen. Die aktuelle Situation bietet für finanzstarke Strategen und Finanzinvestoren somit auch eine Chance, um interessante Zielunternehmen zu geringeren Bewertungsniveaus zu erwerben.


Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 3/2020) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert