Ein Blick in das Jahr 2030: Digitale Talente sind der größte Hebel
Der digitale Wandel zieht in Österreich fundamentale Verschiebungen am Arbeitsmarkt nach sich. Während der IT-, aber auch der Finanzsektor mit der richtigen Strategie gute Zukunftsaussichten hat, muss sich die Automobilbranche auf einen Beschäftigungsrückgang bis zum Jahr 2030 einstellen. Für alle Sektoren gilt: Der digitale Wandel verlangt neue Kompetenzen. Beschäftigte müssen auf diese Entwicklung vorbereitet werden, um Fertigkeiten zu erwerben, die sie in Zukunft brauchen. Eine Studie von EY zeigt, wie sich der österreichische Arbeitsmarkt in einzelnen Sektoren entwickeln wird und zeigt Wege auf, wie sich Unternehmen darauf vorbereiten können.
New Workforce: Grundlegendes
Es gibt keinen Zweifel: Neue Technologien wie Software-Roboter und Artificial Intelligence (AI) werden in den Unternehmen immer mehr Aufgaben übernehmen, die bislang von Mitarbeitern ausgeführt werden. Das reduziert den Bedarf an Arbeitskräften in traditionellen Arbeitsbereichen und verändert die Arbeit, wie wir sie heute kennen, in allen Sektoren gravierend. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie sich diese Entwicklung auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken wird. Auf der einen Seite steht das Szenario einer Gesellschaft mit zahlreichen Jobsuchenden, die nicht ausreichend qualifiziert sind und deshalb keine Arbeit finden. Auf der anderen Seite steht die Annahme, dass AI in Zukunft viele Tätigkeiten übernehmen und ein Grundeinkommen den Lebensunterhalt für alle sichern wird.
In der Studie „What if employment as we know it today disappears tomorrow?“1 hat EY unter die Lupe genommen, wie sich der Wandel am Arbeitsmarkt in Österreich, Deutschland und der Schweiz auswirken wird. Eines der Kernergebnisse: Die Entwicklung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab und ist weder linear noch auf ein Extrem reduzierbar. Sicher ist nur, dass sich die Wirtschaftswelt nachhaltig wandelt und die Arbeit ihr Gesicht verändert. Manche Sektoren werden davon profitieren, in anderen wird es einen Rückgang der Beschäftigtenzahlen geben. So wird die Nachfrage in der Automobil- und Transportindustrie aufgrund der Einführung selbstfahrender Fahrzeuge bis zum Jahr 2030 zurückgehen. Auch die Produktion und der Einzelhandel werden mit hoher Wahrscheinlichkeit von erkennbaren Veränderungen im Markt und in der Arbeitsplatzgestaltung betroffen sein. Der IT-, aber auch der Finanzsektor sowie das Gesundheitswesen werden hingegen aller Voraussicht nach expandieren.
Sektorverschiebungen und Veränderung der Arbeitswelt
In Anbetracht dieser anzunehmenden Entwicklungen gilt es für Organisationen heute mehr denn je, die eigene Zukunft wesentlich mitzugestalten. Die Future-of-Work-Studie von EY hat die Herausforderungen identifiziert, denen Unternehmen gegenüberstehen und erforscht, wie sie diesen nicht nur begegnen, sondern sie vielmehr in Chancen verwandeln können. Die Studie stützt sich dabei auf Untersuchungen und Prognosen renommierter Institute und nutzt die Szenario-Technik, um zu zeigen, welchen Einfluss strategische Entscheidungen der Unternehmen auf die Zukunft haben und wie sie auf die Herausforderungen des digitalen Wandels reagieren können, um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern, das bedeutet ua, ihre finanziellen Mittel gezielt einzusetzen und an den richtigen Stellen zu investieren.
Österreich: gute Ausgangsposition für den Wandel am Arbeitsmarkt
Betrachtet man zunächst die einzelnen Länder, so ist Österreich – ebenso wie Deutschland und die Schweiz – grundsätzlich gut aufgestellt, um neue Technologien zu adaptieren. Der Bloomberg Innovation Index hat Österreich, was die Effektivität seiner Produktionsbetriebe betrifft, als eines der fünf Top-Länder weltweit eingestuft. Österreichs Produktionsunternehmen, bei denen 17 % der Arbeitnehmer beschäftigt sind und die rund zwei Drittel des Exports bestreiten, sind also in einer guten Ausgangsposition, um mit Industrie-4.0-Technologien ihre Produktivität zu maximieren. Auch die Mitarbeiter sind vergleichsweise gut qualifiziert. So zeigt etwa eine OECD-Studie, dass österreichische Erwachsene im Ländervergleich die besten Problemlösefähigkeiten in technologiegeprägten Umfeldern haben. Die Anzahl der Absolventen in den sogenannten MINT-Fächern steigt.
Zu beachten ist jedoch auch, dass es digitale Geschäftsbereiche gibt, in denen die österreichische Wirtschaft generell Nachholbedarf hat: Während Unternehmen die neuen Technologien gut für die Optimierung interner Prozesse genutzt haben, werden Cloud-Lösungen und digitale Technologien nur selten eingesetzt, um sich besser mit Kunden zu verbinden. Wenige klein- und mittelständische Unternehmen verkaufen online, obwohl bekannt ist, dass dies zu höheren Umsätzen führt. Der Zugang zum High-Speed-Internet bleibt bislang unter dem EU- und OECD-Durchschnitt und weit unter dem Level in der Schweiz und Deutschland. Dies beschränkt die Möglichkeiten für digitale Services.
In Österreich gibt es gut entwickelte Regionen und eine starke Korrelation zwischen Regionen mit hoher Produktivität und Regionen, die bereits einen hohen Grad der Digitalisierung erreicht haben. Salzburg, Wien und Vorarlberg verfügen über eine umfassende digitale Infrastruktur. Insb Wien ist gut für das Wachstum digitaler Technologien positioniert, ua ist hier die Telekommunikationsindustrie angesiedelt. Im weiteren Umfeld von Wien haben mehr als 8.000 einheimische und internationale IT-Firmen ihren Sitz, die 75 % dieses Industriezweigs in Österreich repräsentieren. Oberösterreich und die Steiermark hingegen sind die Regionen, die am stärksten industriell geprägt sind.
Blick in die Zukunft mittels Szenario-Technik
Um einen Blick in die Zukunft zu werfen und zu zeigen, welchen Einfluss strategische Entscheidungen auf die Entwicklung der Wirtschaft nehmen können, hat in seiner Studie EY die Szenario-Technik eingesetzt. Dafür wurden zunächst für die verschiedenen Länder die wichtigsten Faktoren für eine positive Wirtschaftsentwicklung herausgefiltert. Für die österreichische Wirtschaft sind dies der Clustereffekt – also die Konzentration der Firmen einer Branche in bestimmten Regionen im Hinblick auf Synergieeffekte –, sowie Investitionen in digitale Talente und digitales Know-how. Diese Faktoren wurden in den gewählten Szenarien verändert, um ihre Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu berechnen. Betrachtet wurden der Automobil- bzw Industriesektor, die Unterhaltungsbranche, die chemische Industrie (inkl Life Sciences) sowie der IT-Sektor und die Finanzwirtschaft.
Im sogenannten Baseline-Szenario für die Zukunft der Arbeit in Österreich wird die Progression der technologischen Entwicklung von 1997 bis 2015 linear fortgeschrieben und mit den Voraussagen über die wirtschaftliche Entwicklung kombiniert. Es wird eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der österreichischen Wirtschaft von zwei Prozent bis 2030 zugrunde gelegt. Das Ergebnis: In diesem Szenario wird es vergleichsweise geringe Veränderungen in der Beschäftigung und den Anteilen der unterschiedlichen Branchen an der Gesamtwirtschaft geben. Die Anzahl der Jobs wird jedoch in nahezu allen betrachteten Branchen steigen – in der IT-Branche sogar um mehr als 50 %, in der Finanzbranche um 14 %. Lediglich die Automobilindustrie verzeichnet einen Rückgang von über 30 %, im gesamten Produktionssektor liegt der Rückgang bei 25 %. Bereits in diesem Basisszenario zeigt sich: Grund für düstere Zukunftsaussichten, die in vielen Prognosen zur Beschäftigungsentwicklung vorherrschen, gibt es nicht. Es wird jedoch gravierende Sektorverschiebungen geben, auf die die Wirtschaft reagieren muss.
IT- und Finanzbereich ziehen Talente an
In Szenar io 1 wird davon ausgegangen, dass die österreichischen Firmen in stärkerem Maße Cluster bilden, um die Produktivität mittels neuer Technologien zu erhöhen und einen größeren Wissens- und Talentpool zu bilden. Durch bessere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten stehen den Firmen mehr Mitarbeiter mit digitalen Kompetenzen für hochqualifizierte Jobs zur Verfügung. Wenig profitieren wird davon die Automobilproduktion. Hier wird in diesem Szenario bis 2030 rund die Hälfte aller Stellen wegfallen. High Potentials zieht es künftig stärker in die Bereiche IT und Finance. In beiden Branchen steigen in den kommenden zwölf Jahren die Beschäftigtenzahlen in Szenar io 1 um jeweils über 70 %. Hinzu kommt: Der Cluster-Effekt in großen städtischen Zentren – allen voran Wien, wo Österreichs IT-Industrie angesiedelt ist – steigert den technologischen Fortschritt in der Hauptstadtregion, vergrößert jedoch auch die Kluft zwischen städtischen und ländlichen Regionen.
Szenar io 2 legt zugrunde, dass die Unternehmen zwar Cluster bilden, die Ausbildung digitaler Talente jedoch weniger stark unterstützen als in Szenar io 1. Das bedeutet, dass das produktive Wechselspiel aus mehr qualifizierten Mitarbeitern, wirtschaftlichem Erfolg und stärkerer Nachfrage nach High Potentials nicht im gleichen Maße funktioniert. Das Ergebnis: IT, Finanzsektor sowie Kunst und Unterhaltung wachsen weniger stark. Jobs in den Industrieregionen Oberösterreich und der Steiermark bleiben zu großen Teilen erhalten, weil die Abwanderung in digitalaffine Branchen und die Entwicklung neuer Technologien langsamer fortschreiten.
Szenar io 3 wiederum geht davon aus, dass es keine verstärkte Clusterbildung gibt, sodass die regionale Verteilung der Unternehmen weitgehend bestehen bleibt. Dafür erhöht sich die Anzahl digital versierter Fach- und Führungskräfte. In diesem Szenario ergibt sich nach Szenar io 1 – also Clusterbildung plus Investition in digitale Talente – über alle untersuchten Branchen hinweg der zweithöchste Effekt auf die Beschäftigung. Das Ergebnis: In den untersuchten Branchen entstehen bis zum Jahr 2030 über 150.000 neue Jobs, was eine Steigerung um knapp 50 % bedeutet. Übertroffen wird dies nur in Szenar io 1 mit einem Plus von über 160.000 Jobs. Auch in Szenar io 3 nimmt die Anzahl der Beschäftigen innerhalb der Automobilproduktion deutlich ab.
Insgesamt zeigen die Zahlen über alle Szenarien hinweg, dass die Aussichten für Unternehmen und Arbeitnehmer in Österreich insgesamt deutlich positiver sind, als viele Prognosen vermuten lassen. Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich jedoch mit einer stark gewandelten Arbeitswelt sowie umfassenden Sektorverschiebungen auseinandersetzen. Meistert das Land die Herausforderungen schnell, wird die Hebelwirkung einer starken IT-Industrie auch für Wachstum in anderen Bereichen sorgen.
Investition in digitale Skills sind das A und O
Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, müssen sich die Unternehmen gut aufstellen und zielgerichtet in ihre Zukunftsfähigkeit investieren. So sind über alle Branchen hinweg künftig digitale Skills ein besonders entscheidender Faktor. Unternehmen müssen ihre Fortbildungsetats aufstocken und die Taktung der Fortbildungseinheiten erhöhen, um sicherzustellen, dass die Beschäftigten mit der jeweils neuesten Technologie vertraut sind. Ändern muss sich auch das Mindset der Mitarbeiter. Ausbildung ist nicht nur eine Phase vor dem Eintritt in die Arbeitswelt. Lebenslanges Lernen und die Fähigkeit, neue Qualifikationen und Kompetenzen zu erwerben, sind mehr denn je essenziell. Dabei geht es nicht nur um technische Fertigkeiten. Der Fokus wird wieder mehr auf den menschlichen Fähigkeiten liegen, die nicht von Robotern oder AI ersetzt werden können. Gemeint sind Empathie oder Kreativität, vernetztes Denken und die Fähigkeit, sich selbst und andere zu inspirieren. Auch bei diesen Entwicklungen müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter unterstützen.
Zudem gilt es für die Unternehmen, einen Prozess zur Anpassung an neue Technologien zu initiieren: Der digitale Wandel wird in Schüben kommen – je nachdem, wann einzelne Technologien entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Sorgfältige Tests dieser Technologien und die Erarbeitung von Konzepten für eine Implementierung auf breiter Basis werden helfen, den Wert von Investitionen zu maximieren und Produktivitätsgewinne zu sichern. Für etablierte Unternehmen ist es dabei eine große Herausforderung, alte Strukturen aufzubrechen. So erschweren es historisch gewachsene, heterogene IT-Infrastrukturen und -systeme, Neuerungen agil aufzugreifen. Dies ermöglicht es wendigen Wettbewerbern, Marktanteile gegenüber den etablierten Akteuren zu gewinnen. Letztere müssen ihren Mitarbeitern daher den Raum geben, intern ein Start-up-Umfeld zu simulieren, um zu verhindern, dass sie in alten Geschäftsmodellen und -praktiken gefangen bleiben.
Auch KMU, die in Österreich einen Großteil der Wirtschaft ausmachen, müssen sich für den digitalen Wandel rüsten und die Chancen neuer Technologien verstehen und nutzen. Für sie sind sowohl der Zugang zur Technologie selbst als auch zu Kapital, um in die entsprechenden Technologien zu investieren, entscheidend. Offensichtlich ist, dass große Firmen mehr in technologische Verbesserungen investieren als KMU, weil sie das Kapital leichter aufbringen können und stärker von Skaleneffekten profitieren. Auf der anderen Seite können kleine Unternehmen oftmals schneller reagieren, weil es weniger strukturelle Barrieren gibt. Sicher ist: Eine allzu risikoscheue Einstellung wird dazu führen, dass die Unternehmen das Potenzial dieser Technologien verpassen.
Den gesellschaftlichen Dialog fördern
Egal, ob Konzern oder mittelständischer Betrieb – die Unternehmen werden den Wandel nicht allein bewältigen können. Dieser kann nur mit einer aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Politik gelingen. So braucht es einen die gesamte Gesellschaft umfassenden Dialog darüber, wie die durch AI erreichte Wertschöpfung verteilt wird. Wichtig ist, dass sich die Unternehmen in diesen Diskurs einbringen und gemeinsam mit allen Beteiligten zu zukunftsweisenden Lösungen gelangen.
In der gesellschaftlichen Diskussion dominieren derzeit Forderungen nach komplett neuen Lösungen für die Herausforderungen des digitalen Wandels und das Argumentieren in Extremen. Eine Alternative ist es, bestehende Prozesse und Systeme Schritt für Schritt den neuen Herausforderungen anzupassen, zB was Arbeitslosigkeit und soziale Sicherheit betrifft. Dies sollte mit dem Ziel erfolgen, Beschäftigte mit neuen Kompetenzen und Qualifikationen auszustatten und sie in Arbeitsfelder zu führen, in denen Jobs vorhanden sind oder entstehen werden.
Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 6/2018) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at
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