Die ESMA-Leitlinie zu alternativen Leistungskennzahlen

Neue Regeln für die Darstellung von „Pro Forma Earnings“

Im Oktober 2015 veröffentlichte die ESMA Leitlinien zur Anwendung alternativer Leistungskennzahlen. Mit der neuen Leitlinie reagiert die ESMA auf die Entwicklungen der „Earnings-before“-Kommunikation der Unternehmen in den letzten Jahren. Gefärbten und einseitigen Darstellungen soll damit Einhalt geboten werden.

1. Hintergrund

Modifizierte Ergebnisgrößen wie ein „bereinigtes Ergebnis (EBIT)“ oder „EBIT vor nicht wiederkehrenden Ereignissen“ erlebten in den vergangenen Jahren der unternehmerischen Leistungskommunikation einen wahren Boom. Mehr als 88 % der S&P-500-Unternehmen verwenden diese „pro forma earnings“ bei der Veröffentlichung ihrer Unternehmenskennzahlen. 82 % der Unternehmen zeigen dadurch gegenüber den Kennzahlen der Pflichtabschlüsse bessere Ergebnisse. Nach Ansicht von Hans Hoogervorst, Chairman des IASB, sind die alternativen Leistungskennzahlen genau für diesen Zweck konzipiert: das Unternehmen in bestmöglichem Licht darzustellen. Das Phänomen ist nicht auf unsere Breiten beschränkt: Prominentestes Beispiel einer offenkundig opportunistischen Verwendung alternativer Leistungskennzahlen ist die Trump Hotels & Casino Resorts Inc. In einer Pressemitteilung über die Ergebnisse im dritten Quartal 1999 wurde der Gewinn zwar um einmalige Verluste, nicht jedoch um ebenfalls in diesem Quartal realisierte einmalige Erträge bereinigt.3 Die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) deutete dieses Verhalten als wesentliche Täuschung und bedeutendes Beispiel, wie Pro-forma-Kennzahlen trügerisch eingesetzt werden können. In den USA hat die SEC daher mit Regulation G und Item 10 of Regulation S-K („Conditions for Use of Non-GAAP Financial Measures“) bereits 2003 klare und verbindliche Regeln für die Darstellung und Veröffentlichung „freiwilliger“ Leistungskennzahlen eingeführt. Auf europäischer Ebene gab es dazu bisher lediglich eine Empfehlung die jedoch zu keiner bedeutenden Verbesserung der Offenlegungsqualität führte.6 Mit der neuen Leitlinie hat die ESMA dem nun Rechnung getragen.

2. Die ESMA-Leitlinie

2.1. Zielsetzung

Die Diskussion um alternative Leistungskennzahlen ist in Wissenschaft und Praxis vom Zielkonflikt Opportunismus des Managements versus erhöhter Informationsnutzen geprägt. Zumindest vordergründig erfolgt die Ergänzung normierter Publizitätspflichten durch Pro-forma-Kennzahlen mit der Absicht, aussagekräftigere und vergleichbarere Informationen, zB bezogen auf die Nachhaltigkeit des Ergebnisses, bereitzustellen.8 Die Praxis zeigt jedoch, dass Firmen eher geneigt sind, modifizierte Ergebnisgrößen zu publizieren, wenn der Gewinn gegenüber dem Vorjahr geschrumpft ist oder hinter den Analystenschätzungen zurückbleibt. Im Gegensatz zu „Earnings-before“-Kennzahlen wie zB EBITDA, EBIT oder EBT, denen aufgrund ihrer Verbreitung und klaren Definition kaum Potenzial zur opportunistischen Anlegerbeeinflussung nachgesagt wird,10 ergeben sich modifizierte Ergebnisgrößen durch die Bereinigung um einzelne oder mehrere Posten ohne methodischem Berechnungsschema – frei nach dem Geschmack des Managements. Fehlende Erläuterungen und Überleitungen auf (IFRS-)Pflichtabschlussgrößen beeinträchtigen zusätzlich die externe Nachvollziehbarkeit und erhöhen die Gefahr opportunistisch-manipulativer Darstellungen. Ziel der ESMA-Leitlinien ist es, dem entgegenzuwirken und die Vergleichbarkeit, Verlässlichkeit und Verständlichkeit von alternativen Leistungskennzahlen zu verbessern. Dadurch soll die Transparenz und Nützlichkeit der Finanzinformationen erhöht werden.

2.2. Was sind alternative Leistungskennzahlen?

Die ESMA-Leitlinie definiert alternative Leistungskennzahlen (APMs) als Finanzkennzahlen der vergangenen oder zukünftigen finanziellen Leistung, Finanzlage oder Cashflows.13 Zu den APMs zählen daher insbesondere modifizierte Ergebnisgrößen („pro forma earnings“) wie zB ein „bereinigtes Ergebnis (EBIT)“ oder „Ergebnis (EBIT) vor Einmalaufwendungen“. Aber auch Bilanz- und Cashflow-Standardkennzahlen wie zB „Net Debt“, „Capital Employed“ oder „FFO (Funds from Operations)“ sowie daraus abgeleitete Kennzahlen wie zB „Equity Ratio“, „Gearing“ oder „ROCE (Return in Capital Employed)“ gehören dazu. Ausgenommen sind Finanzkennzahlen, die in den verpflichtend anzuwendenden Rechnungslegungsvorschriften definiert oder ausgeführt sind. Alle Posten und Kennzahlen des IFRSPflichtkonzernabschlusses eines börsenotierten Unternehmens16 gelten daher etwa nicht als APMs und fallen nicht in den Anwendungsbereich der neuen ESMA-Leitlinie.

2.3. Darstellungsregeln

Zunächst ist der zusätzliche Informationsgehalt einer verwendeten Kennzahl für den Adressaten zu begründen. APMs sind klar verständlich zu definieren und mit inhaltsadäquaten, aussagekräftigen Bezeichnungen zu versehen. Umstrukturierungskosten und Wertminderungsaufwendungen etwa treten nach Ansicht der ESMA kaum einmalig auf und dürfen daher auch nicht entsprechend irreführend als „einmalig“, „selten“ oder „außergewöhnlich“ bezeichnet werden.18 Gerade dieser Punkt zielt auf eine bisher verbreitete Praxis ab. Umgekehrt ist darauf zu achten, dass auf der Aufwands- und Ertragsseite mit demselben Maßstab vorgegangen und nicht – wie im Fall der Trump Hotels & Casino Resorts Inc. – einseitig bereinigt wird.Darüber hinaus ist dem Leser eine Überleitung zur nächstverwandten (IFRS-)Pflichtkennzahl darzulegen. Dabei sollen die wesentlichen Überleitungsposten gesondert ermittelt und erklärt werden. Ein bloßer Verweis auf die Bereinigung um „außergewöhnliche“, „einmalige“ oder „Sondereffekte“ – wie bisher oft praktiziert – ist nicht mehr ausreichend. Sind Überleitungsposten dem (IFRS-)Pflichtabschluss nicht direkt entnehmbar, ist eine genaue Darlegung der Berechnungsbasis einschließlich Details zu wesentlichen Annahmen zu veröffentlichen. Im Gegensatz zu den US-amerikanischen Regeln ist aber nicht immer zwingend eine quantitative Überleitungsrechnung erforderlich bzw lassen die ESMA-Leitlinien diesbezüglich einen höheren Ermessensspielraum.

Alternative Leistungskennzahlen dürfen in Bezug auf Präsenz, Betonung oder Aussagekraft nicht prominenter dargestellt werden als die Kennzahlen aus den (IFRS-)Pflichtabschlüssen. Die (eigentlichen) Pflichtergebniszahlen dürfen daher weder „vergessen“ werden, noch dürfen diese in der Darstellung gegenüber den modifizierten Ergebnisgrößen „untergehen“. Darauf ist in der Praxis etwa auch bei Ad-hoc-Meldungen, die zum Anwendungsbereich der neuen ESMA-Leitlinie zählen (vgl Kapitel 2.4.), zu achten. Schließlich muss auch der Grundsatz der Stetigkeit gewahrt werden. Für alle APMs sind Vorjahresvergleichsbeträge anzuführen. Änderungen der Darstellung oder Berechnung sind ebenso wie das (plötzliche) Weglassen vormals veröffentlichter Kennzahlen zu erläutern und zu begründen.

Im Verhältnis zu den US-Standards sind die ESMA-Vorgaben sehr detailliert. Einige Problembereiche werden dort nur über die „General Disclosure Requirements“ adressiert. Da Regulation G jedoch explizit eine quantitative, im Idealfall tabellarische Überleitungsrechnung der Pro-forma-Kennzahlen verlangt, sind die SEC-Regelungen inhaltlich wohl mindestens gleichwertig zu bewerten. Tabelle 1 gibt eine Übersicht und einen Vergleich der US-amerikanischen Regeln mit der ESMA-Leitlinie.

2.4. Sachlicher Anwendungsbereich

In sachlicher Hinsicht betroffen sind alle für Emittenten offenzulegenden Pflichtinformationen wie insbesondere Ad-hoc-Meldungen und Prospekte. Ausgenommen wurden die in Jahres- und Halbjahresabschlüssen enthaltenen „performance measures“ im Rahmen der Regelpublizität. Nicht ausgenommen wurden die gemäß der Transparenzrichtlinie offenzulegenden Lageberichte. Dies betrifft die in den Jahres- und Halbjahresfinanzberichten offengelegten Lages- und Konzernlageberichte26 börsenotierter Unternehmen. Nicht unter die APM-Leitlinie fallen hingegen alle Instrumente der freiwilligen Publizität wie zB Presseaussendungen und Präsentationsunterlagen für Roadshows. Damit bleibt allerdings ein Großteil der verwendeten Pro-forma-Kennzahlen vom regulatorischen Eingriff unberührt. In diesem Punkt unterscheidet sich die ESMA-Leitlinie wesentlich von den US-amerikanischen Regelungen. Diese decken für SEC-registrierte Unternehmen alle Kommunikationskanäle ab.

2.5. Verpflichtungscharakter

Die ESMA-Leitlinie richtet sich einerseits an alle Emittenten und Prospektverantwortlichen und andererseits an die für die Umsetzung und Überwachung der Transparenzrichtlinie, der Marktmissbrauchs-Verordnung und der Prospektrichtlinie zuständigen Behörden. Formaljuristisch ist die Leitlinie als sogenanntes Soft Law eine Empfehlung ohne rechtlich bindenden Charakter. Die betroffenen Unternehmen und Behörden unterliegen aber einer subsidiären Befolgungspflicht.31 Die Umsetzung und Durchsetzung in der Praxis wird daher wesentlich von der Finanzmarktaufsicht Österreich (FMA) und der Österreichischen Prüfstelle für Rechnungslegung (OePR) abhängen.

Auf den Punkt gebracht

Mit der Leitlinie für alternative Leistungskennzahlen hat die ESMA auf die Entwicklungen der „Earnings-before“-Kommunikation in den letzten Jahren reagiert. Opportunistisch-manipulativen Darstellungen soll damit Einhalt geboten werden. Viele detaillierte und grundsätzlich strenge Einzelregeln sollen zu aussagekräftigen, verständlichen und vergleichbaren Finanzinformationen, insbesondere über die Nachhaltigkeit von Ergebnissen, führen. Die entsprechenden US-amerikanischen Standards der SEC, die in den USA bereits 2003 verpflichtend eingeführt wurden, sind demgegenüber viel weniger detailliert, über ihre „General Disclosure Requirements“ und verpflichtend quantitative Überleitungsrechnungen im Ergebnis aber nicht weniger verbindlich. Der Anwendungsbereich der ESMA-Leitlinie ist löchrig. Instrumente der freiwilligen Publizität wie Roadshows und Pressekonferenzen sind ebenso ausgenommen wie die Abschlüsse der Regelpublizität. Ein Großteil der verwendeten Pro-forma-Kennzahlen bleibt somit vom regulatorischen Eingriff unberührt. In diesem Punkt unterscheidet sich die ESMA-Leitlinie wesentlich von ihren US-amerikanischen Pendants. Diese decken für SEC-registrierte Unternehmen alle Instrumentarien der Finanzinformation ab. Vor diesem Hintergrund wird sich erst zeigen, ob sich dennoch für die Gesamtheit der offenzulegenden Informationen eine übergreifend homogene und transparente Darstellung im Sinne des Leitlinienzwecks ergeben wird. In diesem Zusammenhang darf man auf die Informations- und Kommunikationsstrategie der betroffenen börsenotierten Unternehmen gespannt sein. Zumindest in einigen Bereichen werden diese – so ihre Ergebnisdarstellung nicht den festgelegten Best-Practice-Grundsätzen entspricht – zu mehr Transparenz, Neutralität und Stetigkeit angehalten sein. Aufgrund des Soft-Law-Charakters der ESMA-Leitlinie wird in der Praxis dabei viel von der Umsetzung und Durchsetzung von der FMA und der OePR abhängen. Sie ist bereits auf alle Publikationen, die seit dem 3. 7. 2016 veröffentlicht wurden, anzuwenden.

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