Die Blockchain in Finanzwesen und Controlling

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einer Bank und sind für Unternehmensfinanzierungen zuständig. Ihre Aufgabe besteht darin, die Zusammenarbeit zwischen ihrer Bank sowie den Emittenten und Investoren sicherzustellen, von der Äußerung des Kapitalbedarfs bis zur Platzierung am Markt – ein komplexer Prozess, der viele Wochen umfassen kann. Immerhin gilt es sicherzustellen, dass jegliche Parteien am gleichen Informationsstand sind, alle Regeln eingehalten werden und die Finanzierung sichergestellt werden kann. Schade für Sie, dass die Blockchain-Technologie diesen Prozess radikal verkürzt, manuelle Abstimmungen redundant macht, ja sogar den Unternehmen die Möglichkeit gibt, selbst und direkt am Kapitalmarkt aufzutreten. Und das bei größerer Sicherheit und Transparenz.

Wer nun glaubt, dieses Beispiel sei Zukunftsmusik, wurde im Juni 2017 eines Besseren belehrt: Daimler vergab das erste Schuldscheindarlehen iHv 100 Mio € mithilfe von Blockchain-Technologie. Der gesamte Prozess – von der Initiierung und Zuteilung über die Vertragsabschlüsse, Koordination der Emittenten, Banken und Investoren bis zu den Zins- und Rückzahlungen – wurde digital auf einer Blockchain abgebildet. Dadurch verfügten alle Teilnehmer in Echtzeit über denselben Informationsstand, konnten auf konsensual verifizierte Daten zugreifen und hatten vollständige, kryptografisch signierte Datenintegrität.

Während im Maiheft von CFO aktuell (Seite 109) die Technologie einer Blockchain beschrieben wurde, werden nachfolgend die Auswirkungen auf das Finanzwesen näher beleuchtet. Zur Erinnerung: Eine Blockchain ist ein digitales Verzeichnis, in dem die teilnehmenden Parteien Datensätze konsensual, verschlüsselt und nachvollziehbar ablegen können. Gegenwärtig sieht man die wichtigsten Anwendungsfelder in den Bereichen Transaktionen, Smart Contracts, Smart Assets und Digital Identity.

Dass Transaktionen durch eine Blockchain vereinfacht werden, ist seit dem Hype um Bitcoins bekannt. Dass aber die gleiche Technologie für jegliche Finanztransaktionen eingesetzt wird und das gesamte „Clearing and Settlement“ von Wertpapieren, Fremdwährungen und anderen Finanzinstrumenten ebenfalls über Blockchains läuft, ist noch nicht umgesetzt. Das Ziel der Branche liegt darin, den Abwicklungszyklus von derzeit zirka drei auf null Tage zu reduzieren.

Smart Contracts sind digitale Verträge, die die gleiche Sicherheit und Transparenz wie klassische Papier­verträge haben, aber ungleich effizienter zu erstellen und zu skalieren sind. Ein digitales Verzeichnis kann immer dann zur Anwendung kommen, wenn bewiesen werden muss, dass ein bestimmter Tatbestand zu einer bestimmten Zeit zwischen bestimmten Parteien stattgefunden hat. Eine Blockchain kann dies sicher, aber ohne zentrale Stelle gewährleisten.

Smart Assets sind der dritte große Anwendungsbereich von Blockchains. Könnten alle Transaktionen in Echtzeit nachverfolgt werden, wäre es nur noch ein kleiner Schritt zum Internet der Dinge und dem Abbilden aller Dinge in einer Blockchain. Dazu können zB Waren gehören, die ein Unternehmen durch seine Supply Chain schickt. Wenn diese in einem digitalen Verzeichnis erfasst sind, inkl genauem Standort, aktuellem Inhaber und Eigentümer, Herkunft und Destination, öffnet dies ganz neue Einblicke in die Supply Chain – mit enormen Konsequenzen für die Qualitäts­sicherung und das Working Capital Management.

Digital Identities führen den Gedanken noch weiter. Wenn Sie Ihre Geldbörse mitsamt Ausweisen verlieren, ist es mühsam, diese wiederzuerlangen. Eine Blockchain könnte Ihnen eine digitale Identität geben, die Sie virtuell mit Ihrem Führerschein, Ihrer Sozial­versicherung etc verknüpft und einen Ausweis unnötig macht. Theoretisch können alle Dinge, die einen bestimmten Wert darstellen, als eigene Einheiten in einer Blockchain erfasst werden. Diese Werteinheiten erhalten dadurch eine digitale Identität und können selbständig untereinander Transaktionen eingehen.

Fügt man diese Anwendungsfälle einer Blockchain zusammen, hat das ungeahnte Konsequenzen. Die eigentliche Revolution wird im Rechnungswesen erwartet. Derzeit verwenden wir – in modifizierter Form – ein „antiquiertes“ System, das durch die doppelte Buchführung eine Kontrolle der Richtigkeit erlaubt. Stellt man sich Unternehmen als Teil einer verbundenen Blockchain mit Kunden, Lieferanten und anderen Stakeholdern vor, durch die zu jedem Zeitpunkt jede Transaktion zwischen den Parteien fälschungssicher nachverfolgt werden kann, dann benötigen wir eventuell gar keine Rechnungen mehr, geschweige denn einen auditierten Jahresbericht. Jede Transaktion wäre umgehend „notariell“ beglaubigt, automatisierte Audit-Prozesse und vollständige Audit Trails wären möglich. Eine Information mit 2 bis 3 Monaten Verspätung darüber zu erhalten, was innerhalb eines willkürlich gewählten Zeitraums von einem Jahr wahrscheinlich passiert ist, käme uns dann anachronistisch vor.

Die Blockchain-Technologie ist noch nicht so weit. Die gesamte Bitcoin-Blockchain ist heute bereits über 100 GB groß, daher brauchen Bitcoin-Transaktionen mehrere Minuten. Für die dargestellten Anwendungsfälle müssten wir dies um einen Faktor von mindestens 100 verbessern. Nach Moore’s Law benötigen wir dafür noch 7 Jahre. Zeit, die Mittel­fristplanung anzupassen!

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