„Da bleibt kein Stein auf dem anderen!“

Das Gespräch mit Mag. Gunther Reimoser und Dr. Christoph Badelt über fundamentalen Wandel, Nachhaltigkeit, Status quo der Digitalisierung und wie die Arbeitswelt hier Schritt halten kann, führte Dr. Rita Niedermayr.


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Mag. Gunther Reimoser, Country Managing Partner von EY Österreich und seit mehr als 20 Jahren beratend für nationale und internationale Unternehmen bei ganzheitlichen Transformationsprojekten tätig, und em.o. Univ.-Prof. Dr. Christoph Badelt, langjähriger Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien und bis 2021 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), über fundamentalen Wandel, Nachhaltigkeit, Status quo der Digitalisierung und wie die Arbeitswelt hier Schritt halten kann.

CFOaktuell:„Transformation literally means going beyond your form“, sagte US-Autor Wayne Dyer einmal. Nachhaltigkeit, die Veränderung der Arbeitswelt und die Digitalisierung sind transformative Kräfte, die die Unternehmen maßgeblich beeinflussen werden. Was bedeutet Transformation für Sie im Kern?

Christoph Badelt: Ich gehe davon aus, dass der Veränderungsprozess, der jetzt gerade stattfindet und den es geben wird, sehr groß sein wird. Was den Scope, den Umfang und die Tiefe betrifft, glaube ich, dass dieser Wandlungsprozess historisch seinesgleichen sucht. In seiner Relevanz ist er zumindest ebenso bedeutend wie die erste industrielle Revolution, wenn nicht noch bedeutender. Ich glaube, da bleibt kein Stein auf dem anderen!

CFOaktuell:Wie wirken diese transformativen Kräfte? Verstärken sich diese gegenseitig bzw stehen sie in Konkurrenz zueinander, oder bedingen sie einander?

Gunther Reimoser: Ich glaube, sie konkurrieren nicht. Im Gegenteil – Unternehmen müssen beides umsetzen und damit umgehen lernen. Die Digitalisierung kann Nachhaltigkeit sogar fördern. Wir benötigen neue Technologien, wenn wir nachhaltig werden und gleichzeitig unser derzeitiges Wohlstandsniveau halten wollen.

CFOaktuell:Nachhaltigkeit hat endlich Fahrt aufgenommen, unter anderem durch den EU-Aktionsplan mit EU-Taxonomie und CSRD, durch Ratings am Kapitalmarkt und auf Unternehmensebene. Ist das Thema bei österreichischen Unternehmen angekommen?

Christoph Badelt: Bestimmte Branchen stoßen immer noch massiv Treibhausgase aus, insbesondere im industriellen Bereich. Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die sich einfach fundamental ändern müssen. Nur: Denen erzählen wir nichts Neues. Das Bewusstsein ist zwar da, aber bestimmte Dinge lassen sich nur langsam umsetzen. Zum einen ist das ein Kapitalproblem, zum anderen aber auch eine Frage, wie schnell die technologische Entwicklung voranschreitet. Denken Sie nur an die Wasserstoffproblematik. Ich glaube, dass die Wirtschaft in Wahrheit das Nachhaltigkeitsthema bereits internalisiert hat, hoffe aber, dass sich die Zeitspanne zwischen Einsicht und Umsetzung verkürzt.

CFOaktuell:Welche Maßnahmen sind nötig, um ein echtes Nachhaltigkeitsbewusstsein in Unternehmen zu verankern und Mitarbeiter für ihre neuen Aufgaben zu befähigen? Nachhaltigkeit wird auch stark durch Ratings auf den Kapitalmärkten getrieben. In Österreich haben wir eine sehr mittelständische Struktur. Könnte diese dazu beitragen, dass der Anpassungsprozess langsamer ist?

Gunther Reimoser: Strukturelle Gegebenheiten könnten den Anpassungsprozess etwas hemmen, das stimmt. Gerade die Vergangenheit hat gezeigt: Wenn gewisse Aspekte nicht seitens der Regulatorik vorge­geben werden, Maßnahmen nicht auf höhere Produktivität abzielen oder Best Practices von großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen als neuer Standard etabliert werden, dauert es in Österreich manchmal etwas länger. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Unternehmenslandschaft hierzulande anders strukturiert ist und der Anteil an kapitalmarktorientierten Unternehmen gering ist. Man darf aber gleichzeitig nicht vergessen, dass viele unserer mittelständischen Unternehmen globale Nischenführer sind, die auch in Sachen Nachhaltigkeit Vorreiterrollen einnehmen.

Konkret bezogen auf CSRD und EU-Taxonomie: Wir gehen davon aus, dass sich beides anfangs über den Kapitalmarkt und große Unternehmen etablieren wird und der Mittelstand in einem zweiten Schritt nachziehen wird.

Unabhängig von allem ist die zentrale Frage bei Nachhaltigkeit aber: Begreife ich das Thema als etwas, mit dem die Wettbewerbssituation sofort positiv beeinflusst werden kann oder als etwas, das ich einfach nur erfüllen muss? Wenn wir Nachhaltigkeit als Chance begreifen, werden wir als Wirtschaftsstandort davon profitieren.

Christoph Badelt: Ich bin bei Recherchen zu diesem Thema auf eine nach wie vor unwidersprochene Studie über österreichische Aktien- und Anleihen­fonds gestoßen. Da wurde differenziert nach Fonds, die den Österreichern zugänglich sind. Eine andere Kategorie waren Fonds, die aus Österreich betrieben werden. In beiden Fällen sieht die Performance, in welche Branchen und Unternehmen jene dann tatsächlich ihrerseits das veranlagte Kapital hinsichtlich der Treibhausgasemissionen stecken, im internationalen Vergleich sehr schlecht aus. Diese Studie wurde vom Umweltbundesamt gemacht. Es gab auch noch eine dritte Kategorie,Seite 81 nämlich die sogenannten ethischen Aktien­fonds – nach Eigendefinition, schließlich steht es für Fonds völlig frei, sich selbst als „ethisch“ zu bezeichnen. Diese haben zwar wirklich eine bessere Treibhausgasemissionsbilanz, aber im Grunde sind diese wesentlich schlechter als der europäische Durchschnitt.

Daraus ist zu schließen: Ja, das Thema ist längst bei den Kapitalmärkten angekommen, aber wir sind, zumindest was die Konsequenzen betrifft, offensichtlich noch nicht so weit wie das international üblich ist, auch nicht bei den sogenannten ethischen Fonds. Das halte ich für sehr interessant. Hinzu kommt, dass wir in Österreich ein relativ hohes Ausmaß an Bankenfinanzierung und eine relativ niedrige Kapitalmarktfinanzierung haben. Und dann gibt es auch noch die KMU-Struktur, das heißt, es ist hier eigentlich im doppelten Sinn des Wortes nur ein kleiner Teil der Unternehmen abgebildet. Umgekehrt muss man sagen, dass sich ein klassisches mittelständisches Unternehmen auch nicht am Kapitalmarkt finanziert, wo das eine Rolle spielt. Somit gibt es keine empirische Evidenz.

Gunther Reimoser: Banken arbeiten gerade daran, ihre Risikomodelle um den Nachhaltigkeitsaspekt zu erweitern. Interne Policies sind vielerorts schon definiert – von der Integration in einen normalen Betriebsmittelkredit eines Unternehmens sind wir aber noch weit entfernt. Im Moment befinden wir uns eher noch in der Anfangsphase, es betrifft aktuell vorrangig die ganz großen Finanzierungen, bei denen wirklich zwischen „dreckig“ und „sauber“ unterschieden werden kann.

Christoph Badelt: Es kommt noch etwas hinzu, wenn man das aus der Perspektive der Banken und deren Risikoeinschätzung sieht: Die Haltung der Unternehmen zur Nachhaltigkeit ist ein viel größeres Risiko als das Unternehmen per se, etwa wenn durch Klimapolitik auf einmal die Bewertung bestimmter Aktivitäten in den Keller geht.

CFOaktuell:Stichwort Nachhaltigkeitsbewusstsein: Professor Badelt, Sie haben ja die Hypothese, dass es um das Nachhaltigkeitsbewusstsein nicht so schlecht bestellt ist und das durchaus etwas ist, was schon vorhanden ist. Allerdings ist es nicht so einfach, dieses Nachhaltigkeitsbewusstsein umzusetzen. Wie entsteht ein solches Nachhaltigkeitsbewusstsein überhaupt?

Christoph Badelt: Ich glaube, dass die Nachhaltigkeitsdiskussion im Augenblick sehr stark vom ökologischen Aspekt geprägt ist, obwohl es eigentlich noch zwei weitere Dimensionen gibt, die mindestens genauso wichtig sind. Brennt die Erde bereits, braucht man sich nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, wie die eigenen Mitarbeitenden mit dem Thema umgehen oder wie lang­fristige Finanzen aussehen sollen. Ich möchte jedoch auf etwas aufmerksam machen, das für ein gut funktionierendes Unternehmen wichtig ist: eine kluge Strategie, auch eine soziale Strategie gegenüber den Mitarbeitenden zu haben. Das ist zwar keine Neuigkeit, aktuell wird dieses alarmierende Denken jedoch sehr stark von der Klimathematik getrieben, die ihrerseits wiederum nur ein Subthema der Umweltthematik ist. Dieses Thema steht stark im Vordergrund, weil man die unmittelbaren Folgen deutlich sehen kann – und das ist vielleicht das Positive: Es wird so viel darüber geredet, dass das kaum jemand daran vorbeikommt.

Was bei der ökologischen Nachhaltigkeit ganz anders ist als bei der sozialen Nachhaltigkeit: Sie kann öffentlich einen „bad character“ haben, etwa wenn ein Unternehmen versucht zu argumentieren, dass die in Europa entstehenden Emissionen „sein dürfen“ und die wahre Verantwortung auf die bösen Amerikaner oder Chinesen abgeschoben wird. Das darf natürlich nicht sein. Insofern glaube ich, dass es eine wirkliche Identifikation mit der gesellschaftlichen Entwicklung braucht, um hier tatkräftig einzuschreiten, oder aber eine kluge und lang­fristige Orientierung.

CFOaktuell:Bereits im Jahr 2014 ergab eine Studie des deutschen Umweltbundesamts, dass allein durch ambitionierten Klimaschutz das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands im Jahr 2030 um rund 30 Milliarden Euro höher liegen könnte. Was sind die makroökonomischen Effekte dieser Transformation? Gibt es dazu Prognosen für Österreich. Werden da diese Nachhaltigkeitseffekte schon berücksichtigt? Kann man sagen, dass wenn die Unternehmen beherzt an Dekarbonisierungsmaßnahmen herangehen, wir da noch einen großen Hebel haben?

Christoph Badelt: Die sogenannte Mittel­fristprognose für das Jahr 2026 des WIFO geht von wachsenden Investitionen aus, wobei man sagen muss, dass das nicht so weit weg ist – da wirken auch noch Dinge wie etwa das Abarbeiten der Investitions­prämie hinein. Rein von der Investitionsdimension her sind die Nachhaltigkeitsbestrebungen aber ein starker Wachstumsimpuls, weshalb ich auch davon überzeugt bin, dass dieser Transformationsprozess für ein strategisch gut aufgestelltes Unternehmen eine positive Chance sein kann.

CFOaktuell:Die Digitalisierung wird noch lange ein Treiber für Wirtschaft und Unternehmen bleiben. Welche Entwicklungen erwarten Sie, und in welchen Bereichen sind die Unternehmen jetzt gefordert?

Gunther Reimoser: Die Digitalisierung ist nichts Neues, einige Technologien sind aber erst jetzt reif für ihren Einsatz. Wo tatsächlich investiert wird, hängt stark von der Branche ab: Im Dienst­leistungssektor werden vorrangig Prozesse automatisiert, vor allem administrative Abläufe. Oder Kundenschnittstellen werden digitalisiert, die Art der Leistungserbringung ändert sich aber nicht. Hingegen gibt es im produzierenden Bereich Technologien wie den 3D-Druck, die einen radikalen Wandel forcieren. Die Theorien zu Big Data oder Künstlicher Intelligenz wurden bereits Anfang der 90er-Jahre an den Universitäten gelehrt, aber erst in den vergangenen Jahren praxistauglich und anwendungsfähig gemacht. Es werden zwar laufend und überall Daten generiert, richtig genutzt werden sie von Unternehmen aber in den seltensten Fällen.

Ein nächster Schritt wäre, Ökosysteme über Unternehmensgrenzen hinweg zu bilden. Das machen bisher nur wenige. Generell ist das Thema Digitalisierung so breit, dass sich viele UnternehmenSeite 82 bei der Einordnung schwertun. Wir empfehlen deshalb, eine Struktur zu entwickeln und matrix­artig zu analysieren, in welchem Unternehmensbereich welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen und Sinn machen.

CFOaktuell:Wie können Digitalisierung und Nachhaltigkeit effizient und effektiv Teil der Unternehmensstrategie werden? Muss Arbeiten dafür neu gedacht werden?

Gunther Reimoser: Beim Thema New Work spielen mehrere Faktoren zusammen. Man muss definieren, wie das Arbeitsumfeld aussieht: Wo und wann wird gearbeitet? Wie viel Flexibilität ist möglich? Das alles ist natürlich immer branchenabhängig.

Zudem müssen sich Unternehmen dem Thema „Purpose“ widmen. Zum einen soll die eigene Arbeit erfüllend sein. Interessante Tätigkeiten sollte man nach Möglichkeit von den uninteressanten trennen. Letztere können dank Digitalisierung zunehmend automatisiert werden. Insgesamt soll die Arbeit Sinn machen – aber nicht nur im Hinblick auf die eigene Tätigkeit. Unternehmen und deren Mitarbeitenden brauchen einen gemeinsamen „Long term Value“, also eine Art lang­fristige, wertgetriebene Vision der Zukunft, für die es sich zu arbeiten lohnt. Diese Vision wird nicht rein ökonomische Aspekte beinhalten, sondern auch einen mittelbaren oder unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen mit sich bringen.

Und last but not least: Auch die Unternehmenskultur spielt eine Rolle. Im Idealfall ist sie divers, inklusiv und partizipativ.

CFOaktuell:Was sind die wichtigsten Punkte, die Sie CFOs für ihre Agenda mitgeben möchten?

Gunther Reimoser: Meines Erachtens muss eine Finanz­organisation die enorme Geschwindigkeit der ständigen Veränderungen abbilden können. Die zentralen Voraussetzungen dafür sind eine hohe Datenqualität und eine rasche Datenverfügbarkeit. Fehlt es an notwendigen Daten und Ressourcen oder überhaupt an entsprechenden IT-Systemen, ist der Zeitpunkt zum Handeln jetzt. Sonst werden Betriebe den Anschluss verlieren. Ich rate daher zu einer entsprechenden Bestandsaufnahme: Wo stehe ich und wo gibt es Handlungsbedarf? Daraus lässt sich die entsprechende Roadmap ableiten.

Christoph Badelt: Ich bin nicht sicher, ob alle CFOs diese Veränderungstendenzen, die sich zunächst außerhalb des Finanziellen abspielen, auch ernst nehmen und bereit sind, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Digitalisierung, Nachhaltigkeit und New Work sind weder eine soziale noch eine ökologische Spinnerei, sondern Themen, die direkte Auswirkungen auf den Unternehmens-Output oder die Produktivität haben. Das sind messbare Kennzahlen, und damit auch für CFOs wichtige Kriterien.


Der Beitrag erschien zunächst in CFOaktuell (Heft 3/2022). Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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