Welche Kriterien müssen für den „Mindestschutz“ des Artikel 18 der EU-Taxonomie erfüllt werden?

Mit der Verabschiedung der EU-Taxonomie-Verordnung wurde ein Meilenstein für die Verwirklichung des EU-Aktionsplans „Sustainable Finance“ zur Finanzierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten gesetzt. Für Unternehmen, die zur Aufstellung einer nichtfinanziellen Erklärung verpflichtet sind, ergeben sich weitere Vorgaben, um die Transparenz der ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten zu vergrößern.

Als ökologisch nachhaltig werden Wirtschaftstätigkeiten anerkannt, die einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele der EU leisten, keine weiteren negativen Beeinträchtigen verursachen und den (sozialen) Mindestschutz erfüllen.1 Derzeit wurden seitens der EU nur zwei (Klimaschutz und Klimaanpassung) von den sechs Umweltzielen der EU-Taxonomie-Verordnung veröffentlicht. Die vier weiteren Umweltziele wurden für Herbst 2022 angekündigt.

Die Erfüllung des Mindestschutzes ist bis dato eine wenig diskutierte und beachtete Komponente der EU-Taxonomie. Durch die Veröffentlichung des Berichtsentwurf der „Platform on Sustainable Finance“ über die Anwendung des Mindestschutzes im Juli 20222 wurde nun Aufmerksamkeit auf die genauen Inhalte gelenkt.

Der Ansatz zum (sozialen) Mindestschutz taucht in verschiedenen neueren EU-Vorschriften auf und befasst sich mit den negativen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten. Der sogenannte Mindestschutz gemäß Artikel 18 der EU-Taxonomie Verordnung (EU) 2020/852 soll sicherstellen, dass eine Wirtschaftstätigkeit nur dann als „nachhaltig“ (taxonomiekonform) gelten kann, wenn sie auch internationalen Menschen­rechtsstandards und Vorschriften zu Themen wie Bestechung und Korruption, Besteuerung und fairer Wettbewerb entspricht. Diese sollen dazu beitragen, künftiges wirtschaftliches Handeln nicht nur klimafreundlich, sondern auch menschen­rechtskonform und fair auszurichten.

Die in Artikel 18 genannten zugrundeliegenden Leitlinien, die als Grundlage für den Mindestschutz dienen, richten sich jeweils an unterschiedliche Zielgruppen, die von Regierungen bis hin zu multinationalen Unternehmen und anderen Organisationen reichen. Artikel 18 nennt folgende Grundlagen:

OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen,
Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschen­rechte (UN Guiding Principles),
Grund­prinzipien und Rechte aus den acht Kernüber­einkommen der Internationalen Arbeits­organisation (IAO) und
die Internationale Charta der Menschen­rechte.

Die Internationale Menschen­rechtscharta ist der grundlegendste der in Artikel 18 genannten Rahmen und umfasst unter anderem die Allgemeine Erklärung der Menschen­rechte, die eine universell gültige Erklärung der Menschen­rechte ist, die sich hauptsächlich an Regierungen und nicht an Unternehmen und Organisationen richtet. Dennoch dient die Internationale Menschen­rechtscharta als Grundlage für die anderen Richtlinien und Vorschriften.

„Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen­rechte sind eine Reihe von Richtlinien für Staaten und Unternehmen, um Menschen­rechtsverletzungen, die im Geschäftsbetrieb begangen werden, zu verhindern, zu bekämpfen und zu beseitigen.“3 Die 31 Leitprinzipien des UNGP werden in die drei Säulen „Protect“„Respect“ und „Remedy“ gegliedert und in die nationalen Aktionspläne der einzelnen Länder übersetzt. Die Richtlinien befassen sich mit der Pflicht der Staaten, jeden in ihrem Hoheitsgebiet vor Verletzungen internationaler Menschen­rechtsgesetze zu schützen, und mit der Verantwortung von Unternehmen, die Menschen­rechte bei all ihren Tätigkeiten zu respektieren. Darüber hinaus erwähnen sie die Pflicht der Staaten, denjenigen, deren Rechte verletzt wurden, Zugang zu Rechtsbehelfen zu ermöglichen.

Obwohl die UNGP nicht rechtlich bindend sind, „sind sie die bisher maßgeblichste internationale Erklärung zur Verantwortung von Unternehmen in Bezug auf die Menschen­rechte“4. Die Prinzipien des UNGP betreffen die Notwendigkeit einer politischen Verpflichtung, Due-Diligence-Prozesse zur Gewähr­leistung der Einhaltung der Menschen­rechte und Abhilfemechanismen. Eine solche formelle Grundsatz­verpflichtung in Bezug auf die Verantwortung des Unternehmens zur Achtung der Menschen­rechte in allen relevanten Geschäftsbereichen sollte intern und extern kommuniziert und im gesamten Unternehmen verankert werden. Die laufenden Due-Diligence-Prozesse zur Identifizierung, Vermeidung und Minderung tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen auf die Menschen­rechte beinhalten Verfahren zur Risikoanalyse und Wirksamkeitsüberwachung und sollten horizontal in das Unternehmen integriert werden. Während potenzielle nachteilige Auswirkungen verhindert oder gemildert werden sollten, müssen tatsächliche nachteilige Auswirkungen behoben werden. Ein wirksames Mittel, um Abhilfe zu schaffen, sind Beschwerdemechanismen auf betrieblicher Ebene für Einzelpersonen oder lokale Gemeinschaften.

Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die erstmals 1976 angenommen wurden, sind Empfehlungen von Regierungen, hauptsächlich, aber nicht beschränkt auf multinationale Unternehmen. Sie spiegeln bewährte Verfahren sowohl für inländische als auch für multinationale Unternehmen zu den Themen Menschen­rechte, Beschäftigung und Arbeitsbeziehungen, Umwelt, Bekämpfung von Bestechung, Aufforderung zur Bestechung und Erpressung, Verbraucher­interessen, Wissenschaft und Technologie, Wettbewerb und Besteuerung wider. Beschäftigung und Arbeitsbeziehungen sind an den IAO-Arbeitsnormen ausgerichtet. Genau wie die Due-Diligence-Prozesse des UNGP helfen die OECD-Leitlinien zur Sorgfalts­pflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, tatsächliche und potenzielle nachteilige Auswirkungen zu erkennen, zu verhindern und zu mindern. Der Schlüssel dazu liegt in der Identifizierung und Bewertung nachteiliger Auswirkungen in ihren eigenen Betrieben, ihren Lieferketten und anderen Geschäftsbeziehungen, gefolgt von vorbeugenden und mildernden Maßnahmen, Ergebnisüberwachung und interner und externer Kommunikation darüber, wie die Auswirkungen bewältigt wurden.

Ebenso wie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen deckt auch die Erklärung der Internationalen Arbeits­organisation über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit ein breites Themenspektrum ab und richtet sich mit Empfehlungen zu verantwortungsvollem unternehmerischem Handeln speziell an (multinationale) Mitglieds­organisationen. Die acht grundlegenden Übereinkommen der Erklärung der Internationalen Arbeits­organisation sind:

Übereinkommen (Nr 29) über Zwangsarbeit, 1930 (und sein Protokoll von 2014),
Übereinkommen (Nr 87) über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Rechts auf Vereinigung, 1948),
Übereinkommen (Nr 98) über das Vereinigungs­recht und Kollektivver­handlungen, 1949,
Übereinkommen (Nr 100) über die Gleichheit des Entgelts, 1951,
Übereinkommen (Nr 105) über die Abschaffung der Zwangsarbeit, 1957,
Übereinkommen (Nr 111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 1958,
Übereinkommen (Nr 138) über das Mindestalter, 1973, und
Übereinkommen (Nr 182) über das Verbot und die unverzüglichen Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999,

2017 wurde die ILO-Erklärung aktualisiert, um die UNGP und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung anzunehmen.

Berichtsentwurf zur konkreten Anwendung des Mindestschutzes

Im Juli 2022 hat die „Platform on Sustainable Finance“ ihren ersten Entwurf für die Anwendung über den Mindestschutz veröffentlicht, der bis Anfang September 2022 kommentiert werden kann. Der finale Bericht soll im Anschluss daran im dritten Quartal der Europäischen Kommission vorgelegt werden. Der Bericht der „Platform on Sustainable Finance“ hat keine rechtliche Bindungswirkung, wird aber von der Europäischen Kommission bei der Entscheidung berücksichtigt, ob diese weiteren Hinweise veröffentlichen wird.

Der Entwurf zum Mindestschutz enthält eine Vielzahl wertvoller Hinweise, wie Unternehmen den sozialen und den die Governance betreffenden Anforderungen gerecht werden können. Die praktische Umsetzung des Mindestschutzes könnte dabei zu einem komplexen, zT iterativen Prozess werden, da dessen Einhaltung schon jetzt eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung von taxonomiekonformen Tätigkeiten ist, während die konkreten gesetzlichen Vorgaben in Form der CSDDD5 und der CSRD6 derzeit noch nicht finalisiert sind.

In dem Entwurf werden eine Reihe von Themen für die Anwendung des Mindestschutzes aufgegriffen. Für die praktische Umsetzung besonders relevant ist die Festlegung der wesentlichen Themenbereiche:

Menschen­rechte (inkl Arbeits­rechte),
Bestechung und Korruption,
Besteuerung und
fairer Wettbewerb.

Nach Auffassung der Platform on Sustainable Finance umfasst der Mindestschutz damit neben sozialen Themen auch Aspekte der Governance. Um die Einhaltung des Mindestschutzes zu bestätigen, schlägt der Berichtsentwurf eine zweigleisige Vorgehensweise vor. Als erstes sollten angemessene Prozesse im Unternehmen vorhanden sein, als zweites sollen die tatsächlichen Ergebnisse dieser Prozesse bewertet werden. Insbesondere stellt der Bericht fest, dass das Kernelement zur Einhaltung des Mindestschutzes im Unternehmen der Due-Diligence-Prozesse darstellt, welcher aktiv implementiert ist und über die dabei erzielten Fortschritte berichtet. Um die Einhaltung dieser Anforderung zu messen, besteht der erste Schritt darin, „zu verstehen, ob ein Unternehmen über seinen Due-Diligence-Ansatz berichtet“. Um die Mindestschutzkriterien einzuhalten, sollten auch keine rechtskräftigen Verurteilungen in den vier obengenannten Bereichen vorhanden sein. Laut Entwurf können das Unternehmen und die zugehörigen Wirtschaftstätigkeiten nicht als taxonomiekonform bewertet werden, wenn diese Kriterien nicht erfüllt werden.

Verknüpfung mit (künftiger) EU-Gesetzgebung

Die Platform on Sustainable Finance bettet den Mindestschutz ferner in die bestehende und derzeit entwickelte Gesetzgebung ein. Unter anderem sollen die Vorgaben an entsprechende Prozesse aus der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und die damit verbundene Berichterstattung im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD); – zumindest für das Thema Menschen- bzw Arbeits­rechte – künftig den detaillierten Referenzrahmen für die Einhaltung des Mindestschutzes bilden.

Fazit

Die komplexe Materie der EU Taxonomie-Verordnung sieht derzeit (noch) eine Fokussierung auf zwei Umweltziele (Klimawandel und Klimaanpassung) vor, bei gleichzeitigem Mindestschutz iZm mit Menschen­rechten, Bestechung und Korruption, Besteuerung und fairem Wettbewerb gem Artikel 18 der EU-Taxonomie. Die Anwendung des Mindestschutzes der EU-Taxonomie ist derzeit nach unserer Wahrnehmung nicht im Mittelpunkt der Diskussion, hat aber für die Praxis viele Implikationen und Anwendungsfragen. Etwas Licht auf die (mögliche) Ausgestaltung des Mindeschutzes wirft ein Berichtsentwurf der Platform on Sustainable Finance vom Juli 2022.

Hierin wird insbesondere das Themenfeld des Mindestschutzes zumindest gegenüber dem Wortlaut der EU-Taxonomie erweitert und ein zweigleisiger Prozess iZm der Vorgehensweise vorgeschlagen. Auch wenn nicht klar ist, welche Rolle der Auffassung der Platform on Sustainable Finance zukommt, handelt es sich jedenfalls um einen beachtens­werten Diskussionsbeitrag, in dem von vielen Anwendungsfragen geprägten Feld der EU-Taxonomie.


1  VERORDNUNG (EU) 2020/852 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088

2 https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/business_economy_euro/banking_and_finance/documents/draftr-eport-minimum-safeguards-july2022_en.pdf (Zugriff zuletzt am 14. 9. 2022).

3 https://www.business-humanrights.org/en/big-issues/un-guiding-principles-on-business-human-rights/ (Zugriff zuletzt am 30. 8. 2022).

4 https://media.business-humanrights.org/media/documents/files/media/documents/ruggie/foley-hoag-briefing-guiding-principles-may-2011.pdf (Zugriff zuletzt am 30. 8. 2022).

5 DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937

6 https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/06/21/new-rules-on-sustainability-disclosure-provisional-agreement-between-council-and-european-parliament/ (Zugriff zuletzt am 14. 9. 2022).


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Dieser Artikel wurde erstmals in CFOaktuell Heft 5/2023 veröffentlicht. Alle Infos unter: www.cfoaktuell.at.

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