Studie: „Digitalisierung im Rechnungswesen 2020“
Österreichs Unternehmen verfolgen eine eigene Digitalisierungsstrategie im Rechnungswesen: Das Thema Digitalisierung ist nach wie vor in aller Munde und dringt auch in den Bereich des Rechnungswesens ein. KPMG hat erstmals die Studie „Digitalisierung im Rechnungswesen“ in Österreich durchgeführt, die an die bereits etablierte jährliche DACH-Studie anknüpft. In der Studie wurden die wichtigsten Erkenntnisse auf vier Themenblöcken aufgebaut: Zielgerichtete Aktivitäten, Fortschritt durch Wandel, Transparenz sowie der Mensch im Mittelpunkt.
Das Ergebnis: Österreichs Unternehmen verfolgen eine eigene Digitalisierungsstrategie im Rechnungswesen.
1. Studie Allgemein
Die Ergebnisse der Studie beruhen auf einer Kombination von Erkenntnissen aus Tiefeninterviews mit ausgewählten österreichischen Unternehmen sowie den Ergebnissen einer umfangreichen Onlinebefragung in der DACH-Region. Im Rahmen der elf Tiefeninterviews erfolgte eine qualitative Erhebung zum Status der Digitalisierung im Rechnungswesen. InterviewpartnerInnen waren durchwegs CFOs, leitende MitarbeiterInnen im Rechnungswesen oder Verantwortliche für die Digitalisierung. Die Länge der Interviews betrug durchschnittlich 90 Minuten.
Die Ergebnisse für die teilnehmenden österreichischen Unternehmen sind im Verhältnis zur Region Deutschland und Schweiz (DCH) dargestellt. Für die Onlinebefragung wurden im April 2020 über 8.000 Unternehmen in Österreich per E-Mail zur Teilnahme an der Studie eingeladen. Ziel der Befragung war es, ein möglichst aktuelles und umfassendes Bild des Status-Quo der Digitalisierung im Rechnungswesen abzubilden.
An der für Österreich erstmalig durchgeführten Befragung haben 138 österreichische Unternehmen teilgenommen, im gesamten DACH-Raum waren es 331 Unternehmen. Um einen allgemeinen Überblick über den Stand der Digitalisierung im Rechnungswesen abzubilden, wurden keine Einschränkungen hinsichtlich Größe oder Branche der Unternehmen vorgenommen.
2. Studienergebnisse
„Die Studienergebnisse zeigen, dass einige wenige Unternehmen bereits die derzeitigen Möglichkeiten, wie eine ERP-Umstellung oder den Einsatz neuer Technologien, nutzen und damit insbesondere im transaktionalen Bereich eine fast vollständige Automatisierung erreichen konnten. Der Großteil hat diesen Weg noch vor sich.“ ( Christian Sikora)
2.1. Zielgerichtete Aktivitäten – Digitalisierungsstrategien
Eine erfolgreiche Digitalisierung im Rechnungswesen sollte sich an der strategischen Ausrichtung des Gesamtunternehmens orientieren und als interne Serviceorganisation bestmöglich zum Gesamterfolg des Unternehmens beitragen. Im Rahmen der Tiefeninterviews wurde die Frage gestellt, ob eine dedizierte Digitalisierungsstrategie auf Unternehmensebene vorliegt und inwiefern diese auf die Digitalisierungsstrategie des Rechnungswesens übertragen werden kann.
Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass bei allen befragten Unternehmen Digitalisierung einen hohen Stellenwert einnimmt und in den meisten Fällen eine übergeordnete Digitalisierungsstrategie verfolgt wird oder in die Gesamtunternehmensstrategie integriert wurde. Die einheitliche Meinung war jedoch, dass aus der Gesamtunternehmensstrategie für die Ableitung einer Guidance zur Digitalisierung im Rechnungswesen nur teilweise etwas zu gewinnen ist. Eine eigenständige Teilbereichsstrategie rein für die Digitalisierung im Rechnungswesen wird entweder formell erarbeitet und in eine digitale Roadmap übersetzt, oder nicht formalisiert und an offenkundigen Projekten, wie der Einführung eines neuen ERP-Systems, festgemacht.
Als Leitplanken wurden somit bei einem Teil der Befragten sehr eigenständige Überlegungen des Fachbereichs genannt, bei einem anderen Teil wurde starke Orientierung an der IT-Strategie des Unternehmens genommen, die durch den Fachbereich nur teilweise beeinflussbar ist.
Nichtsdestotrotz kann als übereinstimmendes Ergebnis für die wesentlichste Stoßrichtung im Rechnungswesen die Erneuerung des ERP-Systems als Basis für weitere Digitalisierungsmaßnahmen festgehalten werden, die entweder bereits umgesetzt wurde oder sich in der Umsetzung befindet. Fragestellungen, die sich im Rahmen der ERP-Systemumstellung ergeben, betreffen insbesondere die Möglichkeiten, die Systemumstellung zur Homogenisierung der Systemlandschaft, zur Bereinigung und Harmonisierung von Stammdaten oder zur Standardisierung von Workflows zu nutzen. Regelmäßig ist die Bereinigung von Altsystemen ein Teil der Umstellung.
Weitere häufig ausgeführte Schwerpunkte umfassten die Einführung einer integrierten Planung und Konsolidierung auf Basis einer Single Source of Truth oder Automatisierungen im Eingangsrechnungsbereich. Die Ergebnisse der gesetzten Schwerpunkte aus den Tiefeninterviews decken sich somit im Wesentlichen mit den Erkenntnissen der Onlinebefragung bzw lassen auf eine Konkretisierung schließen, dass zunächst die digitalen Voraussetzungen zu schaffen sind und diese als Erstes umgesetzt werden.
Immerhin 28 % der im Rahmen der Onlinestudie befragten Unternehmen haben bereits eine flächendeckende und weitere 41 % zumindest teilweise eine Homogenisierung der Systemlandschaft umgesetzt. Nur ein geringer Anteil von 8 % plant keine Schritte. Fast ein Viertel der Unternehmen (24 %) plant konkret die Schaffung einer einheitlichen Datenbasis, wobei nur 17 % diese bereits flächendeckend umgesetzt haben. Fast die Hälfte der Unternehmen hat zumindest einmal jährlich die Überprüfung der Stammdatenqualität (41 %), die Standardisierung von Workflows (45 %) oder die papierlose Buchhaltung (45 %) in Teilbereichen, aber nicht flächendeckend, umgesetzt. Diese digitalen Basistätigkeiten beschäftigen die Unternehmen im Rechnungswesen somit überwiegend im Bereich der Digitalisierung und es kann auf Basis der Rückmeldungen vermutet werden, dass in den wenigsten Unternehmen alle diese digitalen Basics bereits kumulativ vorliegen. Diese Vermutung wurde durch die Erkenntnisse aus den Tiefeninterviews weiter bestärkt.
2.2. Digitale Basis schaffen & Automatisierung – ERP-Transformation & Robotics
2.2.1. Die Umstellung auf SAP S/4HANA
Wie bereits erwähnt, stellt die Erneuerung des ERP-Systems als Nukleus der Digitalisierung, die Hauptstoßrichtung für Digitalisierungsinitiativen bei vielen Unternehmen im Rechnungswesen dar. Im Zuge der digitalen Transformation wird ein leistungsfähiges ERP-System immer wichtiger und die Harmonisierung der Systemlandschaft ist eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Digitalisierung.
Aufgrund der Sondersituation, dass der Marktführer SAP in den nächsten Jahren seinen Support für das Altsystem SAP R/3 einstellen wird, wurde im Rahmen der Onlinestudie die Frage gestellt, ob die befragten Unternehmen eine Umstellung auf SAP S/4HANA planen oder bereits umgestellt haben. Fast die Hälfte der onlinebefragten Unternehmen plant in den nächsten Jahren auf ein neues ERP-System umzustellen. Bei nur 5 % der Befragten hat diese Umstellung bereits stattgefunden. Nur die wenigsten setzen auf einen „Best-of-Breed-Ansatz“ (bestmögliche Lösung), die meisten verfolgen entweder „Greenfield“-(Neuinstallation) oder „Brownfield“-(Umstellung/Upgrade) Ansätze. In Abhängigkeit der Unternehmensgröße können ERP-Umstellungen viele kraftraubende Jahre dauern, umso wichtiger ist es, rasch ergänzende technologische Maßnahmen (zB Einsatz von Robotics-Software) mit sichtbaren Ergebnissen zu setzen.
Das Ziel der ERP-Umstellung ist nicht nur ein technisches Upgrade, sondern vor allem auch die Prozess- & Stammdatenharmonisierung. 87 % der befragten österreichischen Unternehmen nannten eine Vereinheitlichung der Prozesse als vorrangiges Ziel. Außerdem rechnet etwas mehr als die Hälfte (54 %) mit einer Anpassung der Auf- und Ablauforganisation sowie in 41 % der Fälle auch mit einer Anpassung des Kontorahmens.
2.2.2. Einstieg über regelbasierte Automatisierung mit Robotic Process Automation (RPA)
„Viele Unternehmen haben die Vorteile von Robotics Process Automation zur Effizienzerhöhung, Kostensenkung aber auch zur Risikoreduktion erkannt. Die Ergebnisse bezüglich einer Anwendung im Rechnungswesen zeigen auch, dass viele Unternehmen bereits in der ERP-Umstellung zB über die Prozessharmonisierung adressiert werden“ (Eberhard Bayerl).
Ein Großteil der befragten Unternehmen hat positive Erfahrungen mit RPA gemacht und sieht – im Unterschied zu Deutschland – mit 66 % die Technologie auch langfristig als Lösung, aber nicht isoliert für das Rechnungswesen. RPA wird vor allem verstärkt in angrenzenden Funktionsbereichen, wie Operations- und Supportfunktionen, eingesetzt. Dies liegt vor allem auch daran, dass sich entsprechende Fallzahlen und die klar erzielbaren Einsparungseffekte ergeben.
2.2.3. Intelligente end-to-end Automatisierung mittels Künstlicher Intelligenz (KI)
Regelbasierte Systeme haben den Nachteil, dass alle zukünftigen Varianten bereits im Vorfeld durch den Ersteller der Regeln antizipiert und damit auch abgedeckt werden müssen. Eine Weiterentwicklung des Regelwerks hat im Fall von Änderungen laufend zu erfolgen. Viele Aufgaben, die ein Mensch ausführt, sind aufgrund der hohen Komplexität entweder gar nicht oder nur mit unvertretbar hohem Aufwand in Regeln abzubilden. Hier kommen KI-Systeme ins Spiel, die in der Lage sind, das menschliche Lernverhalten zu imitieren und dadurch nahezu jede menschliche Tätigkeit maschinell erlernen können.
Laut der Studie kommt der Einsatz von KI im Rechnungswesen in Österreich aktuell nahezu ausschließlich bei der Verarbeitung von Rechnungen und Zahlungseingängen zum Einsatz und bleibt somit noch eine Zukunftsaufgabe. Aktuell testen 34 % der befragten Unternehmen KI für die Erfassung von standardisierten Daten. Vor allem wird KI im Rechnungswesen bei den Verarbeitungsprozessen von Eingangsrechnungen und bei der Verarbeitung von Eingangszahlungen eingesetzt. Für nahezu die Hälfte der befragten Unternehmen (47 %) ist der Einsatz von KI im Rechnungswesen derzeit (noch) kein Thema. Erste Ansätze werden diskutiert, um über KI systematische, wiederkehrende Datenqualitätsprobleme zu lösen sowie das Expertenwissen über KI-Algorithmen technisch abzubilden. Der Einsatz von KI scheitert nach Meinung der Studienteilnehmer an Datenheterogenität und veralteten Systemen.
Der Umfrage zufolge sind nicht etwa zu wenige Trainingsdaten oder mangelnde Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen die Ursache für das Scheitern von Projekten zum Einsatz von KI im Rechnungswesen. Vielmehr liegt dies für 39 % der Befragten an der Heterogenität der Dokumente sowie für 37 % an veralteten System- und Softwarelandschaften.
2.3. Mehrwert durch bessere Einblicke – Data Analytics
Unbestritten ist eine der Kernaufgaben des Rechnungswesens die Lieferung von entscheidungsrelevanten Informationen für externe und interne Stakeholder. Die zuvor genannten Schritte zielen einerseits darauf ab, die technologischen Basisgrundlagen dafür zu schaffen, diese Funktion besser zu erfühlen, andererseits sollen durch Automatisierungsschritte auch menschliche Ressourcen zielführend freigesetzt werden. Diese Ressourcen können die Zeit im besten Fall dazu nutzen, weiteren Mehrwert durch bessere Einblicke zu generieren.
Der Studie zufolge sind intelligente Analysetechnologien sowie automatisierte Prognosemodelle aktuell noch sehr gering im Einsatz. Eine Mehrheit der Befragten ist mit der Etablierung einer einheitlichen Datenbasis mit ausreichender Datenqualität beschäftigt (nur 10 % der Befragten planen hierzu nichts Konkretes zu tun). Die Verbreitung von Trends, wie Self-Service-Reporting oder Big-Data-Analysetools hält sich derzeit noch in Grenzen. Sowohl bei Self-Service Reporting als auch Big-Data-Analysetools, ist bei ca einem Drittel noch kein Mehrwert erkennbar oder keine konkrete Umsetzung geplant. Auch der Einsatz von lernenden Systemen – beispielsweise in der Planung – ist kaum ein Thema, wird aber durch das zunehmende dynamische, vernetzte Umfeld sichtbarer.
2.4. Der Mensch als zentraler Erfolgsfaktor – Organisation & Skills
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Digitalisierung mittlerweile im CFO-Bereich Fuß gefasst hat. Unsere Gesprächspartner im Zuge der Tiefeninterviews sehen neben den technologischen Veränderungen die damit einhergehenden notwendigen weitreichenden Veränderungen der Aufgabenprofile und Fähigkeiten im internen und externen Rechnungswesen.
Zwar beginnen erst einzelne Unternehmen die Aufbauorganisation im Finanzbereich neu auszurichten (zB in Form von Center of Excellences für gewisse Themen), aber die frühzeitige, proaktive Einbeziehung der Mitarbeiter in die digitalen Themenstellungen steht im Fokus. Hierfür wurden bisher noch keine spezifischen Ausbildungspläne etabliert, sondern vielmehr verfolgen die meisten Unternehmen den „training on the project“-Approach und binden die Mitarbeiter intensiv mit einer aktiven Rolle in die aktuell laufenden Projekte ein. Dies wird seitens der Finanzleiter als am zielführendsten angesehen, um die Fähigkeiten der Finanzmitarbeiter frühzeitig und effektiv auf das neue Rollenbild der Zukunft hinzuentwickeln.
Vor allem stehen der sichere Umgang mit den neuen Tools, die Sicherstellung der laufenden Weiterentwicklung der zugrundeliegenden Logiken Ausbildung zum künftigen Key User bzw Business Owner der implementierten Lösungen sowie vor allem auch der abteilungsübergreifende End-to-End-Prozessblick über die gesamte Wertschöpfungskette im Vordergrund. Denn bei einer Frage sind sich alle einig: Es helfen die besten Tools und Technologien nichts, wenn die Organisation und die Mitarbeiter selbst nicht entsprechend in das digitale Zeitalter von Beginn an intensiv mitgenommen werden.
Auf den Punkt gebracht
Die Digitalisierung ist und bleibt eines der Top-Themen im Rechnungswesen. Aus den Studienergebnissen geht hervor, dass die Automatisierung einfacher Prozesse vielerorts bereits umgesetzt ist, der Einsatz von intelligenten Lösungen jedoch noch sehr zurückhaltend vonstatten läuft. Des Weiteren gibt es seitens der Unternehmen unterschiedliche Ansätze zur strategischen Herangehensweise; der Hauptfokus liegt jedoch größtenteils auf der ERP-Erneuerung. Darüber hinaus sind intelligente Analysetechnologien sowie automatisierte Prognosemodelle aktuell noch sehr gering im Einsatz. Wichtig hervorzuheben ist zudem, dass die frühzeitige, intensive Einbindung der Mitarbeiter erkannt und vor allem über den „training on the project“-Ansatz adressiert wird.
Der Beitrag ist in CFOaktuell (Heft 6/2020) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at
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