E-Mail from Bosten: Business Angels

Dr. Brigitte W. Mühlmann ist Professorin am Babson College in Babson Park, Massachusetts, USA. Sie meldet sich regelmäßig mit ihrer „E-Mail from Bosten“ und berichtet über aktuelle Geschehnisse. Dabei gelingt es ihr immer auch einen Blick über den US-amerikanischen Tellerrand zu werfen. Aktuell beschäftigt sie sich mit Business Angels.


Liebe Leserinnen und Leser,

mittlerweile sind wir wegen der anhaltenden Pandemie seit mehr als einem Jahr im Lockdown. Im ersten Jahr habe ich immer wieder vermisst, was ich aufgeben musste. Diese Zeit ist vorbei. Ich habe mich umgestellt. Mittlerweile hoffe ich, noch eine Anzahl von Gelegenheiten wahrnehmen zu können, um Neues zu entdecken und zu lernen, bevor die Pandemie zu Ende geht.

Diese Einstellung hat in Boston Tradition. Robert Krim und Alan Earls, die Autoren des kürzlich erschienenen Buchs „Boston Made“, schreiben, dass eine Forschergruppe von zwölf Universitäten untersuchte, warum die Region Boston seit mehr als 400 Jahren ein Innovationszentrum ist, aus dem etwa 500 lebensverändernde Entdeckungen hervorgegangen sind. Warum hier und nicht anderswo? Dafür sei das „Bump and Connect“-Konzept verantwortlich, das den geplanten und ungeplanten Austausch zwischen Personen mit dynamischen Selbstbildern beschreibt, zu denen Unternehmer, Experten, Finanziers, Forscher, Freunde und Bekannte zählen. Jeder von ihnen kann dazu beitragen, sei es durch Ideen, Inspirationen, Feedback, Kritik oder Verbindungen zu Ressourcen, Menschen und/oder Geld. Eine besondere Rolle spielt die Finanzierung der Start-up-Phase von Unternehmen, bei der Banken und viele Investoren einschließlich der Venture-Capitalists zögern.

Es sind die Unternehmensengel (Business Angels), die bei Start-ups den Sprung wagen, ihr eigenes Geld rund zehn Jahre lang zur Verfügung zu stellen, und den Unternehmern helfen, Probleme zu lösen sowie die mit der Kommerzialisierung einer Erfindung oder Innovation verbundenen Möglichkeiten zu realisieren. Schon lange interessiert mich ihre Welt. In den vergangenen Wochen durfte ich via Zoom Gast bei ein paar Meetings von Launchpad, einer „Engelsgruppe“ in Boston, sein. Das erste Bekanntmachen mit einem Unternehmen findet im Catalyst Meeting statt. Als Gast bekam ich bereits mit der Einladung eine Beschreibung, wie das Treffen Schritt für Schritt ablaufen wird: Jedes eingeladene Unternehmen bekommt sieben Minuten, um sich vorzustellen. Danach folgt eine Feedback-Runde in Kleingruppen in Breakout Rooms. Aus jeder Gruppe berichtet ein Vertreter über Pros, Cons und das Ausmaß des Interesses, das Unternehmen näher kennenzulernen, an alle Teilnehmer. Launchpad existiert seit dem Jahr 2000. Jodi Collier, die Geschäftsführerin, hat alles bestens organisiert.

Die regulären monatlichen Treffen dauern zwei Stunden. Sie finden mittwochs ab acht Uhr in der Früh und Donnerstagnachmittag statt. Ich durfte mich kurz vorstellen. Umgehend bekam ich eine Willkommensnachricht im Chat auf Deutsch. Das war eine nette Geste. Zum regulären Treffen wurden drei Unternehmen eingeladen, die jeweils eine halbe Stunde für ihre Präsentation bekamen, in der sie ua erläutern sollten, wie viel Geld sie wollen, wofür sie es verwenden würden, und auf welche Ausstiegsstrategie sie abzielen. Das erste Unternehmen hatte eine App für berufstätige Eltern, das zweite ein innovatives Energie­gewinnungs­verfahren und das dritte ein medizinisches Gerät vorgestellt. Innovativ waren alle drei. Das Format des Meetings folgte derselben Routine. Spannend fand ich, dass Wissenschafter und Ärzte in den Kleingruppen vertreten waren und dass Mitglieder, die eine oder andere Präsentation bereits kannten, weil sie mehreren Engelsgruppen angehören oder Mentoren für Start-up-Unternehmer sind. Sie verstanden den Werdegang der Unternehmer, die Produkte der Unternehmen, ihre Märkte, die zugrundeliegende Wissenschaft sowie etwaige behördliche Bewilligungs­verfahren. Viel durfte ich in der kurzen Zeit aufnehmen. Obwohl es noch weit mehr zu besprechen gegeben hätte, wurde der Terminplan streng eingehalten. Gegen Ende wurde das Interesse am nächsten Schritt, dem Deep Dive, bekundet.

Zum Deep Dive wurde nur ein Unternehmen eingeladen, dem eineinhalb Stunden gewidmet wurden. Ich durfte ein paar Tage später, an jenem für das medizinische Gerät, teilnehmen. Die Gruppe war kleiner. Die Präsentation des CEO ging tiefer. Zudem waren Gäste des Unternehmens anwesend. Die „Engelsfragen“ scharten sich um drei Themen: Team, Markt und Produkt, und zwar in dieser Reihenfolge. Wieder fiel die Beurteilung positiv aus. Darauf folgte eine Due Diligence. Dazu meldeten sich acht Engel, die ernsthaft daran interessiert waren, in das Unternehmen zu investieren. Wenn eine Gruppe von Launchpad investiert, erwartet sie auch einen Sitz im Unternehmensboard. Jeweils zu zweit übernehmen die Freiwilligen Aufgaben. Daran kann ich aus Termingründen leider nicht teilnehmen. Ich hoffe, dass ich das ein anderes Mal nachholen darf. Da man sich zurzeit auf Zoom trifft, brauchte ich weder in Fahrzeit noch einen Parkplatz zu investieren. Auch bin ich niemandem im Weg gestanden.

Der Begriff „Unternehmensengel“ wurde von William Wetzel im Zusammenhang mit seiner ersten Studie über informelles Risiko­kapital um 1980 erfunden. Er war damals Professor an der University of New Hampshire. Wetzel schrieb 1983 im Sloan Management Review, dass Engel mit dem Unternehmer weder verwandt noch befreundet seien. Es wird vermutet, dass die Rolle der Gönner in der Kunst das Vorbild für die Unternehmensengel war. Diese mythischen Wesen sind in der Boston Region vielfältige und verstreute „Bump and Connect“-Individuen, die Kapital ab etwa 20.000 US-Dollar investieren, und dies vor allem für Technologie­unternehmen bereitstellen. Mittlerweile finanzieren auch Stars aus Sport und der Unterhaltungsindustrie sowie Professoren Start-up-Unternehmen, da es ein Prestigetitel geworden ist, ein „Engelsinvestor“ zu sein.

So long – Auf Wiedersehen – Farewell aus Boston. Ihre Brigitte Mühlmann


Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 2/2021) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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