Das „EU-Lieferketten­gesetz“ ist in der Zielgeraden

Herausforderungen und Chancen für Österreichs Unternehmen

Immer mehr Betriebe nutzen eine systematische Due-Diligence-Prüfung als Instrument, um Risiken und Chancen in ihrer Wertschöpfungskette zu erkennen und sich gegen plötzliche Veränderungen zu wappnen. Gleichzeitig stehen Unternehmen unter dem Druck des Marktes, nachhaltig zu handeln und unerwünschte Reputationsrisiken gegenüber Verbrauchern und Investoren zu vermeiden, die zunehmend auf Greenwashing aufmerksam werden. In diesem Prozess der Nachhaltigkeitstransformation fordern viele Interessengruppen und bereits einige Gesetzgeber, den Übergang gerecht und transparent zu gestalten. Von den Unternehmen wird erwartet, dass sie sich nach Kräften bemühen, negative Auswirkungen zu vermeiden und aktiv zu bewerten und zu dokumentieren, wie hoch sie Themen wie Kinderarbeit, Konfliktmineralien, Biodiversitätsverlust oder Klimawandel ausgesetzt sind. Die Identifizierung negativer Auswirkungen in Wertschöpfungsketten ist eine Reise mit vielen Herausforderungen. Gleichzeitig bieten sich auch neue Chancen für österreichische Unternehmen am Markt Differenzierungsakzente zu setzen.


1. Globale Entwicklungen zu Sorgfalts­pflichten in der Wertschöpfungskette

Nun ist das Konzept der unternehmerischen Sorgfalts­pflicht nicht neu. Sie wurde ursprünglich vor fast 50 Jahren in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen (engl OECD Guidelines for Multinational Enterprises) entwickelt. Über die letzten Jahrzehnte gab es viele Überarbeitungen, die mal größer, mal kleiner ausfielen. Zuletzt gab es heuer im Sommer 2023 eine größere Aktualisierung, die neben menschen­rechtlichen Themen vor allem neue Empfehlungen für Unternehmen zur Anpassung an international verein­barte Ziele zum Klimawandel und zur biologischen Vielfalt beinhaltet.

Zusammen mit den OECD-Leitlinien für verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln (engl OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct) und den sektoralen Leitlinien legen diese praktische Sorgfalts­prüfungsschritte fest, die den Unternehmen helfen sollen, tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen in ihren Betrieben, Lieferketten und anderen Geschäftsbeziehungen zu ermitteln, zu verhindern, zu mindern und darüber Rechenschaft abzulegen. Das Konzept der Sorgfalts­pflicht ist auch in weiteren internationalen Empfehlungen wie denen der Internationalen Arbeits­organisation (ILO) verankert.

Auf Basis dieser globalen Rahmenwerke haben einige Länder in den letzten Jahren neue Vorschriften zur Vermeidung negativer Auswirkungen in der Lieferkette verabschiedet (zB die Modern Slavery Acts im Vereinigten Königreich und Australien, der California Transparency in Supply Chains Act oder die Gesetze zur Lieferkettensorgfaltsplicht in Frankreich und Deutschland). Die Vorschriften unterscheiden sich in Bezug auf den Geltungsbereich und die Anforderungen erheblich, aber in der Regel werden unter anderem Menschen­rechtsfragen (zB Zwangsarbeit, Kinderarbeit, unzureichende Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Ausbeutung von Arbeitnehmern) und Umweltauswirkungen (zB Treibhausgasemissionen, Umweltverschmutzung, Verlust der biologischen Vielfalt, Zerstörung von Ökosystemen) behandelt. Immer mehr EU-Staaten kündigen nationale Gesetzesinitiativen an oder setzen diese bereits um.

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Abb 1: Beispiele für menschen­rechts- und umweltbezogene Risiken in der Wertschöpfungskette.

2. Das „EU-Lieferketten­gesetz“ (CS3D)

Um eine Zersplitterung zu vermeiden und die Rechtssicherheit aufgrund unterschiedlicher nationaler Anwendungen zu erhöhen, hat die EU-Kommission im Februar 2022 einen harmonisierten Vorschlag für eine Richtlinie über die unternehmerische Sorgfalts­pflicht im Bereich der Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz „CS3D“) präsentiert.

Ziel der CS3D ist es, nachhaltiges und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln zu fördern und Menschen­rechts- und Umweltaspekte in der Geschäftstätigkeit und der Unternehmensführung von Betrieben zu verankern. Damit soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen die negativen Auswirkungen ihres Handelns berücksichtigen, auch in ihren Wertschöpfungsketten innerhalb und außerhalb Europas. Nachdem der Rat und das Parlament ihre jeweiligen Positionen verabschiedet haben, wird momentan im Trilog dazu final verhandelt. Ziel ist es, noch heuer 2023 zum Abschluss zu kommen.

Die derzeitigen Pläne sehen vor, dass die CS3D den Schwellen der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (engl Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz „CSRD“) folgen wird, da es auch verschiedene Überschneidungsmengen zwischen den beiden Regularien gibt. Demnach sollen grundsätzlich alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und 40 Mio € Umsatz in die Pflicht genommen werden. Geplant ist die stufenweise Einführung, die größere Unternehmen zuerst treffen wird. Unklar ist noch in welchem Tempo und ob gewisse Risikosektoren vorgezogen werden.

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Abb 2: Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette inklusive vor- und nachgelagerter Geschäftstätigkeiten.

Das EU-Parlament schlägt zB zwei Zwischenstufen vor: Im ersten Jahr der Anwendung 2026 sollen nur Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeiter:innen und 300 Mio € Umsatz betroffen sein. Im zweiten Jahr 2027 dann Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen und 150 Mio € Umsatz, bevor im dritten Jahr 2028 alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter:innen und 40 Mio € zum Zug kommen. Die CS3D soll auch für Konzerne aus Drittländern gelten, die in der EU tätig sind. Es wird davon ausgegangen, dass ca 13.000 EU-Unternehmen und ca 4.000 Nicht-EU-Unternehmen betroffen sind. KMU fallen nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich des Vorschlags. Dennoch werden sie indirekt betroffen sein, da sie zu den Wertschöpfungsketten größerer Unternehmen gehören.

Auch der Umfang der zu überprüfenden Geschäftstätigkeiten wird noch verhandelt. Grundsätzlich sollen alle Tätigkeiten des Unternehmens und die Finanz­dienstleistungen seiner Tochter­gesellschaften sowie Tätigkeiten in der Wertschöpfungskette miteinbezogen werden. Darunter fallen auch Handlungen, die von Unternehmen durchgeführt werden, mit denen das CS3D-betroffene Unternehmen eine direkte oder indirekte Geschäftsbeziehung unterhält. Das geht über die „einfache“ Lieferkette hinaus und bezieht auch Sorgfalts­pflichten zu Produkten und Dienst­leistungen in der nachgelagerten Wertschöpfungskette, sprich Endkunden, mit ein.

Unter anderem sieht die CS3D nach heutigem Stand folgende weitere Verpflichtungen und Sanktionen vor:

Umsetzung einer jährlich zu überprüfenden Due-Diligence-Strategie für alle Risiken, bei denen das Unternehmen nachteilige Auswirkungen auslösen könnte.
Durchführung geeigneter Maßnahmen zur Beendigung von tatsächlichen Unternehmenspraktiken, die negative Auswirkungen auslösen.
Veröffentlichung einer jährlichen Erklärung über die Due-Diligence-Strategie auf der Website oder im Lagebericht des Unternehmens.
Verpflichtung zur Kopplung der variablen Vergütung der Vorstände an die Nachhaltigkeitsperformance des Unternehmens.
Umsetzung eines Klima-Übergangsplans im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens im Hinblick auf die Wertschöpfungskette.
Zuwiderhandelnde Unternehmen riskieren Geldbußen von bis zu 5 % ihres Umsatzes.
Wenn die Nichteinhaltung der Richtlinie zu einem nicht wieder­gutzumachenden Schaden führen kann, sind einstweilige Maßnahmen oder eine vorübergehende Aussetzung der Tätigkeit behördlich anzuordnen.
Schaffung eines Mechanismus für die zivil­rechtliche Haftung und eines besseren Zugangs der Opfer zum europäischen Rechtssystem (Möglichkeit, ihren Fall vor Gericht zu bringen und eine Entschädigung zu beanspruchen).
Recht auf Information für Opfer und mögliche Vertretung durch Vereinigungen wie NGOs oder Gewerkschaften.
❚Umsetzung einer jährlich zu überprüfenden Due-Diligence-Strategie für alle Risiken, bei denen das Unternehmen nachteilige Auswirkungen auslösen könnte.
❚Durchführung geeigneter Maßnahmen zur Beendigung von tatsächlichen Unternehmenspraktiken, die negative Auswirkungen auslösen.
❚Veröffentlichung einer jährlichen Erklärung über die Due-Diligence-Strategie auf der Website oder im Lagebericht des Unternehmens.
❚Verpflichtung zur Kopplung der variablen Vergütung der Vorstände an die Nachhaltigkeitsperformance des Unternehmens.
❚Umsetzung eines Klima-Übergangsplans im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens im Hinblick auf die Wertschöpfungskette.
❚Zuwiderhandelnde Unternehmen riskieren Geldbußen von bis zu 5 % ihres Umsatzes.
❚Wenn die Nichteinhaltung der Richtlinie zu einem nicht wieder­gutzumachenden Schaden führen kann, sind einstweilige Maßnahmen oder eine vorübergehende Aussetzung der Tätigkeit behördlich anzuordnen.
❚Schaffung eines Mechanismus für die zivil­rechtliche Haftung und eines besseren Zugangs der Opfer zum europäischen Rechtssystem (Möglichkeit, ihren Fall vor Gericht zu bringen und eine Entschädigung zu beanspruchen).
❚Recht auf Information für Opfer und mögliche Vertretung durch Vereinigungen wie NGOs oder Gewerkschaften.
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Abb 3: Zentrale Elemente der Due Diligence in der Wertschöpfungskette.

3. Zentrale Elemente der Due Diligence in der Wertschöpfungskette

Eine systematische Due-Diligence-Prüfung mit Risikoanalyse ist der Eckpfeiler der neuen CS3D-Kriterien. In ihrer traditionellen Form wird sie in der Regel bereits innerhalb vieler Unternehmen eingesetzt: Die „Outside-in“-Perspektive ermöglicht zum Beispiel die Bewertung externer Risiken für das Unternehmen, wie Compliance-, Reputations- oder Marktrisiken. Darüber hinaus nimmt die Risikoanalyse im Rahmen von CS3D eine „Inside-Out“-Perspektive ein, die gefährdete Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt stellt und die Auswirkungen des Unternehmens und seiner Wertschöpfungskette auf Gesellschaft und Umwelt hervorhebt. Zu diesem Zweck arbeiten die Einkaufsabteilung, das Risikomanagement und die Abteilung für Nachhaltigkeit häufig zusammen. Oft ist es auch von Vorteil, die Produktentwicklung, den Vertrieb, die IT-Abteilung, die Personalabteilung, die Compliance-Abteilung und die Rechtsabteilung einzubeziehen.

Die richtige Priorisierung und Gewichtung von identifizierten Menschen­rechts- und Umweltrisiken sind kritische Bestandteile der routinemäßigen Due Diligence, um effektive Präventions- und Überwachungsmaßnahmen abzuleiten. Dazu ist ein enger Austausch mit den notwendigen Stellen im eigenen Geschäftsbereich oder zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern in der Wertschöpfungskette erforderlich. Hintergrundrecherchen und öffentlich zugängliche Informationen gehören ebenso zu den Überwachungsinstrumenten wie Selbstauskünfte, entsprechende Zertifikate, strengere Vertragsbedingungen, ein verbesserter Verhaltenskodex für Lieferanten und neue Leitlinien. Die Selbst­verpflichtungen müssen dann validiert werden. Dies kann zB durch Vor-Ort-Audits erfolgen, die direkt vom CS3D-betroffenen Unternehmen oder von externen Partnern durchgeführt werden. Kommt es zu einem Verstoß, müssen Korrekturmaßnahmen ergriffen werden, die je nach Schweregrad von Schulungen bis zur Beendigung der Zusammenarbeit reichen können.

4. Mehr als nur Compliance

Mithilfe regelmäßiger Due-Diligence-Prüfungen können über den Compliance-Aspekt hinaus zahlreiche Chancen und neue Potenziale im globalen Wettbewerb für Österreichs Unternehmen entstehen. Risiken und Chancen über die ganze Wertschöpfungskette besser einordnen zu können, unterstützt die Innovationkraft und treibt die Differenzierung voran, damit resilientere, umweltfreundliche Produkte und Prozesse entwickelt werden können.

Darüber hinaus sind Unternehmen besser auf plötzliche Veränderungen in der bestehenden Kette gewappnet, weil das Risikomanagement mit der zusätzlichen Perspektive gestärkt wird und rechtzeitig proaktive Maßnahmen ergreifen kann. Auch der Druck der Stakeholder ist nicht zu unterschätzen. Klare Dokumentation und kontinuierliches Stakeholder-Engagement in der Wertschöpfungskette fördert den Ruf des Unternehmens und vermeidet unerwünschte Reputationsrisiken gegenüber Verbraucher:innen und Investor:innen, die zunehmend auf Greenwashing aufmerksam werden. Weiters wird man als Arbeitgeber:in noch attraktiver für neue Talente und steigert gleichzeitig die Bindung bestehender Kräfte, weil man über den eigenen Geschäftsbereich hinaus Verantwortung übernimmt.


Auf den Punkt gebracht

Die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wertschöpfungskette ist eine Reise mit vielen Herausforderungen und Chancen. Zum Start ist es wichtig, die kommenden Anforderungen im Rahmen der CS3D zu identifizieren und Wissen innerhalb der Organisation aufzubauen. Auf dieser Basis können die bisherigen Prozesse, Strategien und Strukturen analysiert werden, um bestehende Lücken zu dokumentieren. Daraus ist es wichtig, einen Fahrplan zu entwickeln, der klare Prioritäten setzt, Verantwortlichkeiten definiert und sich dem Zielbild der nachhaltigen Wertschöpfungsketten schrittweise annähert.

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