Corona und M&A

Richtiges Handeln im günstigen Zeitfenster.


1. M&A-Aktivität nach disruptiven Ereignissen

Der Kapitalismus hat gegenüber dem Sozialismus den Vorteil, dass seine Krisen nicht systemischpermanent, sondern lediglich zyklisch und damit von jeweils vorübergehender Natur sind. Dies konnte man zuletzt in der Weltfinanzkrise ab 2007 an einer Vielzahl von Indikatoren ablesen. So verringerte sich beispielsweise zwischen September 2007 und März 2009 die weltweite M&A-Aktivität sowohl nach Anzahl als auch nach Gesamt­wert der Transaktionen um fast ein Drittel. Nach etwa fünf Jahren waren die entsprechenden Vorkrisen­werte wieder erreicht. Die als Kaufpreis erzielbaren EBITDA-Multiples erholten sich deutlich schneller. Lag das entsprechende Ausgangsniveau bei einem Faktor von über zehn, sackte der Wert binnen weniger Monate auf den Tiefpunkt von 6,5 ab, um sich dann aber bereits 2011 wieder der Zehnermarke zu nähern. 1

Zwar sind dies alles branchen- und länderübergreifende Durchschnitts­werte ohne große Aussagekraft für die einzelne Transaktion. Aber dennoch lässt sich daran ablesen, dass sich im Großen und Ganzen ein (nur) relativ kurzes Zeitfenster geöffnet hatte, in dem Zukäufe zu besonders günstigen Konditionen möglich waren. Studienergebnisse legen zudem nahe, dass Unternehmen, die sich früh wieder in größerem Umfang am Transaktionsmarkt beteiligten, davon überdurchschnittlich und nachhaltig profitieren konnten. Untersuchungen zum Total Shareholder Return (TSR) etwa ergaben, dass Unternehmen, die bereits in der Spätphase der Finanzkrise mindestens im Umfang von 10 % ihres Markt­wertes in Zukäufe oder strategische Kooperationen investierten, noch drei Jahre nach der Finanzkrise durchschnittlich einen deutlich höheren Wert (10,5 %) aufwiesen als weniger aktive Marktteilnehmer (3,3 %). 2

2. Private M&A

Selbstredend sind M&A-Transaktionen auch und gerade in Krisenzeiten keine Selbstläufer. Sie bedürfen besonders sorgsamer Analyse der spezifischen Situation im konkreten Einzelfall. Dies gilt gegenwärtig umso mehr, als die Corona-Krise zwar durch einen letztlich nicht-ökonomischen Faktor ausgelöst wurde, dieser aber nahezu zeitgleich beinahe das gesamte wirtschaftliche Leben auf allen Kontinenten erfasst. Dabei ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieser Faktor in absehbarer Zeit – nach Entwicklung einer Behandlungsmöglichkeit oder eines Impfstoffes – wieder abrupt verschwinden wird. Freilich wird dies nicht ohne längeren Nachhall geschehen. Auch aus rechtlicher Sicht ist daher eine Berücksichtigung der neuen Marktge­gebenheiten von großer Wichtigkeit. Davon sind bei privaten Transaktionen zahlreiche Aspekte betroffen, angefangen bei der Prozessplanung über die Due Diligence bis hin zur Vertragsgestaltung.

Bei der Prozessplanung kann man einerseits getrost darauf setzen, dass sich durch die inzwischen eingeübte konsequente Nutzung von Videokonferenzen und internetgestützten Präsentationen hier und da etwas Zeit sparen lässt. Andererseits wird gerade im internationalen Kontext die atmosphärische Verdichtung durch persönliches Aufeinandertreffen, die es in kritischen Verhandlungssituationen regelmäßig braucht, nicht ohne weiteres in vollem Umfang kurz­fristig herstellbar sein. Auch ein physisches Closing mag bis auf Weiteres nur mit Schwierigkeiten durchführbar sein. Zudem haben Wettbewerbsbehörden und andere Regulatoren vielfach erhebliche Mühe, in den bisherigen Zeitfenstern Freigaben zu erteilen. Dies gilt umso mehr als in zahlreichen Ländern neue oder verschärfte Investitionskontroll­verfahren eingeführt wurden. Daher gilt es, einen angemessenen Zeitpuffer einzuplanen. Entsprechendes gilt auch bei der Vereinbarung von Long-Stop-Terminen.

Im Rahmen der Due Diligence sollte auf der Liefer- bzw Produktionsseite analysiert werden, ob besondere Abhängigkeiten bestehen und wie anpassungsfähig vorgefundene vertragliche Strukturen sind; Synergiepotenziale sollten daneben angemessen, aber zurückhaltend bewertet werden. Kundenseitig gilt es, ein Ausfallrisikoprofil über das Gesamtportfolio zu erstellen. In operativer Hinsicht ist die Belastbarkeit der IT-Strukturen sowie das Potenzial weiterer Digitalisierung auszuleuchten. Des Weiteren sollten die im Kontext der Pandemie getroffenen innerbetrieblichen wie externen Maßnahmen sowohl im Hinblick auf ihre Effektivität als auch ihre Rechtmäßigkeit untersucht werden; auch Auswirkungen auf den Betriebsfrieden sind dabei nicht außer Acht zu lassen. Schließlich sollte die Finanzierungsstruktur auf Angemessenheit, Nachhaltigkeit und erforderlichenfalls auf Justierbarkeit abgeklopft werden; auch die Frage, inwieweit Wirtschafts­güter des Zielunternehmens noch als Sicherheiten im Rahmen der Akquisitionsfinanzierung genutzt werden können, kann von besonderer Relevanz sein.

Bei der Vertragsgestaltung stehen zwei Themenbereiche besonders im Fokus:

Zum einen wird es den Parteien um die Allokation des einstweilen fortbestehenden, aber schwer quantifizierbaren Pandemie-Risikos gehen. Käufer werden bestrebt sein, sich ein Kündigungs­recht für den Fall auszubedingen, dass sich ein besonders nachteiliges Szenario (Stichwort: zweiter Lockdown) verwirklicht; die Diskussion um die Belebung und Modifikation von Material-Adverse-Change-Klauseln (MAC) ist bereits in vollem Gange. Die Verkäufer werden dagegen eine Einpreisung dieses nunmehr dem Grunde nach bekannten Risikos verlangen. Mit einer W&I-Versicherung lässt sich diese Kontroverse nicht abfedern. Selbst wenn sich der Verkäufer in diesem Punkt durchsetzt, wird es für ihn im Zusammenhang mit den sog Business Covenants zwischen Abschluss und Vollzug des Unternehmenskauf­vertrages heikel: Kann er sich wirklich auf die standardmäßige Verpflichtung einlassen, die Geschäfte im gewöhnlichen Geschäftsgang wie bisher fortzuführen oder bedarf es hier nicht größerer Flexibilität? Umgekehrt wird der Käufer aber gerade im Falle einer erneut negativen Pandemieentwicklung wegen der möglicherweise lang­fristigen Folgen für das Zielunternehmen darauf drängen, ein größeres Mitsprache­recht im Hinblick auf die Art und Weise des Gegen­steuerns zu bekommen. Hier gilt es, im Rahmen des wettbewerbs­rechtlich Zulässigen, akzeptable Kompromisse zu finden. Die Vereinbarung eines möglichen Aktionsplans sowie von Mitteilungs- und Kooperations­pflichten kann dabei immerhin hilfreich sein.

Zum anderen wird es darum gehen, Bewertungsthemen und -probleme vertraglich abzubilden. Kann der Käufer einen hohen Preisabschlag durchsetzen, mag der Verkäufer versucht sein, sich diesen für den Fall einer (unerw­artet) positiven künftigen Geschäftsentwicklung über einen (in der Regel komplexen) Earn-out (teilweise) zurückzuholen. Gelingt dies dem Käufer nicht, wird er zumindest für den Fall einer entsprechenden tatsächlichen Risikoverwirklichung bis zum Vollzug eine Kaufpreis­minderung geltend machen wollen. Dies muss im Kaufpreismechanismus vertraglich abgebildet werden; zudem kann es dann geboten sein, eine entsprechende Sicherung in Form eines teilweisen Kaufpreiseinbehalts oder einer Treuhand ( Escrow) vorzusehen. Selbst ohne diese Komplikationen kann die vertragliche Festlegung eines variablen Kaufpreises unter den gegebenen Umständen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. So stellen sich beispielsweise die Fragen, ob und in welchem Umfang es dem Verkäufer gestattet oder geboten sein soll, Liquidität über das außerhalb des Pandemiekontextes übliche Niveau hinaus im Zielunternehmen vorzuhalten, oder welche Zielgröße für das Working Capital vertraglich fixiert werden soll. Kontrovers kann auch darüber diskutiert werden, in welchem Umfang Debitoren aus Lieferung und Leistung kaufpreiswirksam berücksichtigt werden sollen, oder Lagerbestände vorgehalten werden dürfen bzw müssen. Daher wird sich aus Verkäufersicht der Drang zum Locked-Box-Ansatz noch weiter verstärken.

3. Public M&A

Ist das Erwerbsobjekt einer M&A-Transaktion (im regulierten Markt) börsennotiert, werden durch das Übernahme­recht des jeweiligen Landes gegenüber einer Private M&A-Transaktion in stärkerem Maße gesetzliche Rahmenbedingungen vorge­geben. Kernthemen der Strukturierung einer Public M&A-Transaktion in Krisenzeiten sind (i) die gesetzlichen Vorgaben zum Mindestpreis, (ii) die Liquiditätsschonung durch Abgabe eines Tauschangebots, (iii) die Absicherung der Wertrelation der Transaktion durch MAC-Klauseln und Abgabe eines „reinen“ Tauschangebots (soweit gesetzlich möglich) sowie (iv) eine mögliche Befreiung vom Pflichtangebot in Sanierungskonstellationen. Diese Themen sollen nachfolgend unter Bezug auf das deutsche und das österreichische Übernahme­recht 3 überblicks­artig behandelt werden.

3.1. Mindestpreis

Gibt der Bieter nach Erwerb einer Kontrollbeteiligung (von 30 % der stimmbe­rechtigten Aktien) an der Zielgesellschaft ein öffentliches Pflichtangebot an die übrigen Aktionäre der Zielgesellschaft ab oder beabsichtigt er die Abgabe eines Übernahmeangebots, das auf den Erwerb von mind 30 % der Zielgesellschaft abzielt, muss dieses Angebot jedenfalls zum gesetzlichen Mindestpreis erfolgen. Mindestpreis ist hierbei der höchste für den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft in den letzten sechs Monaten (in Deutschland) bzw zwölf Monaten (in Österreich) vor Einreichung/Anzeige der Angebotsunterlage bei der zuständigen Behörde 4 gezahlte Preis. Des Weiteren bildet der volumengewichtete Durchschnittskurs der Aktie der Zielgesellschaft in den letzten drei Monaten (in Deutschland) bzw sechs Monaten (in Österreich) vor Bekanntgabe der Entscheidung zur Abgabe des Angebots die Untergrenze des Angebotspreises. Hiervon kann auch bei einem sich verschlechternden Gesamtmarkt oder einer sich verschlechternden Lage der Zielgesellschaft nicht nach unten abgewichen werden. Besonderes Augenmerk ist daher auf die Absicherung der Wertrelation der Gegen­leistung zu richten. Dies kann – jedenfalls teilweise – durch die Nutzung von MAC-Klauseln oder die Abgabe eines Tauschangebots erfolgen (vgl hierzu unter Ziffer 3.3.).

3.2. Liquiditätsschonung durch Tauschangebot

Um in Krisenzeiten die Liquiditätslage des Bieters zu schonen, bietet sich die Abgabe eines Tauschangebots an. Anstelle einer Gegen­leistung in bar werden Aktien des Bieters oder des Bietermutter­unternehmens angeboten. In Deutschland ist die Abgabe eines Übernahme- bzw Pflichtangebots in Form eines (alleinigen) Tauschangebots zulässig, wenn die Bieter-Aktien spätestens bei Vollzug des Angebots zum Handel am regulierten Markt zugelassen sind und ein liquider Handel in diesen Aktien zu erwarten ist. In Österreich besteht diese Möglichkeit der Abgabe allein gegen Aktiengegen­leistung nicht; vielmehr ist zusätzlich stets eine Bargegen­leistung anzubieten. Gleichwohl kann auch in einer solchen Konstellation die Annahme der Aktiengegen­leistung hinreichend attraktiv sein, sei es im Hinblick auf die ursprüngliche Festsetzung des Umtausch­verhältnisses, die Wertentwicklung der Aktien von Bieter und Zielgesellschaft während des Laufs der Annahme­frist oder die Teilhabe am Synergiepotenzial des zusammengeschlossenen Unternehmens.

3.3. Absicherung der Wertrelation

Die im Rahmen eines Übernahme- oder Pflichtangebots angebotene Gegen­leistung wird unter Berücksichtigung der Mindestpreisregeln in der Angebotsunterlage fixiert und kann danach nicht mehr reduziert werden. Verschlechtern sich der Gesamtmarkt oder die Lage der Zielgesellschaft nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage, kann die Angebotsgegen­leistung insbesondere bei Barangeboten übermäßig attraktiv werden.

Es bietet sich daher an, den Vollzug des Übernahmeangebots (bei Pflichtangeboten ist dies nicht zulässig) unter eine Material-Adverse-Change-Klausel stellen, um sich bei Eintritt des MACs wieder vom Angebot lösen zu können. MAC-Klauseln sind bei Public M&A-Transaktionen sowohl in der Ausprägung eines market-MAC als auch eines target-MAC etabliert. Eine vollständige Risikoab­sicherung ist hierdurch jedoch nicht möglich, da nach der Verwaltungspraxis in Deutschland und Österreich MAC-Klauseln nur auf das Ende der (regulären) Annahme­frist bezogen werden dürfen. Daher kann sich der Bieter nur bis zu diesem Zeitraum gegen eine wesentliche wirtschaftliche Verschlechterung absichern, nicht aber für den – im Falle erforderlicher regulatorischer Freigaben – ggf mehrmonatigen Zeitraum zwischen Ablauf der Annahme­frist und Vollzug des Übernahmeangebots.

Des Weiteren können in Deutschland Tauschangebote für strategische börsennotierte Bieter eine zusätzliche Absicherung bieten. Insbesondere wenn Bieter und Zielgesellschaft in derselben Branche tätig sind, spiegelt sich eine Verschlechterung des Marktumfelds häufig in ähnlicher Weise in der Aktienkursentwicklung beider Unternehmen wider; anders als bei Barangeboten bleibt die Wertrelation der bei Veröffentlichung der Angebotsunterlage fest­gesetzten Aktiengegen­leistung in einer solchen Konstellation erhalten.

3.4. Sanierungs­befreiung

In Krisenzeiten rückt schließlich die Sanierungs­befreiung verstärkt in den Fokus. Befindet sich eine börsennotierte Gesellschaft in erheblicher wirtschaftlicher Schieflage, können Investoren unter bestimmten Voraussetzungen eine Beteiligung von mehr als 30 % der stimmbe­rechtigten Anteile an dieser Gesellschaft erwerben, ohne zur Abgabe eines Pflichtangebots an die übrigen Aktionäre verpflichtet zu sein. Sowohl die BaFin als auch die Übernahmekommission stellen hierbei jedoch hohe Anforderungen an die Sanierungsbedürftigkeit der börsennotierten Gesellschaft; es müssen bestandsgefährdende Risiken bestehen bzw die Insolvenz bereits deutlich absehbar sein. Des Weiteren muss die Sanierungsfähigkeit der börsennotierten Gesellschaft durch ein aussagekräftiges Sanierungskonzept belegt werden, das auch den Sanierungsbeitrag des Investors zugunsten der in wirtschaftliche Schieflage geratenen Gesellschaft (etwa Zeichnung oder Back-Stop einer Kapitalerhöhung oder Darlehensausreichung) enthält. Strenger als die BaFin ist in diesem Kontext die Übernahmekommission, die Paket­erwerbe von veräußernden Großaktionären nur für eine symbolische Gegen­leistung zulässt.

Die profunde Kenntnis und Beachtung insbesondere der genannten Vorgaben ist mitentscheidend, um eine M&A-Transaktion – auch in Krisenzeiten – zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen und das krisen­bedingt gesunkene Preisniveau mit etwas Fortune bei der Wahl des exakten Abschlusszeitpunktes bestmöglich zu nutzen.


Quellen:

1 Vgl www.ey.com, www.dealogic.com (Zugriff jeweils am 2. 7. 2020).

2 Vgl www.ey.com, www.capitaliQ.com, Fortune (Zugriff jeweils am 2. 7. 2020).

3 Das österreichische Übernahme­gesetz gilt im Wesentlichen bei Zielgesellschaften mit Sitz und Börsennotierung in Österreich; das deutsche Wertpapier­erwerbs- und Übernahme­gesetz gilt im Wesentlichen entsprechend bei Sitz und Börsennotierung in Deutschland.

4 In Deutschland die Bundesanstalt für Finanz­dienstleistungsaufsicht („BaFin“), in Österreich die Übernahmekommission.


Der Beitrag ist in CFOaktuell (Heft 4/2020) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at


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1 Antwort
  1. teamCon GmbH
    teamCon GmbH sagte:

    Vielen Dank für diesen wirklich informativen und interessanten Artikel! Wie schon im Beitrag erwähnt, sind die richtigen Kenntnisse und umfangreiche Beobachtungen und Analysen der Schlüssel zum Erfolg bei einer M&A Transaktion. Dann braucht man beim perfekten Timing rund um den Abschlusszeitpunkt nur noch ein gutes Händchen! Liebe Grüße und danke für den spannenden Beitrag über Mergers & Acquisitions in Zeiten wie diesen – oder wie es so schön beschrieben ist „richtiges Handeln im günstigen Zeitfenster“!

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