Ausnahmesituationen im IFRS-Konzernabschluss
Wirtschaftliche Ausnahmesituationen in Form von hoher oder sogar ausgeprägter Inflation sowie – häufig damit Hand in Hand gehende – politische Restriktionen hinsichtlich Wechselkursniveau und Devisenverkehr bergen vielfältige bilanzielle Herausforderungen im Anwendungsbereich verschiedener Standards der internationalen Rechnungslegung.
Grundlegendes
In seiner jüngsten Publikation über die beobachteten Inflationsraten bestimmter Länder hat die International Practice Task Force (IPTF) des Centers for Audit Quality (CAQ) der amerikanischen Börsenaufsicht SEC erstmals für Argentinien, das schon seit längerer Zeit unter Beobachtung steht, eine kumulierte Inflation in den nächsten drei Jahren von mehr als 100 % prognostiziert. 1 Für Zwecke der Rechnungslegung nach IFRS ist nunmehr davon auszugehen, dass für Unternehmen, deren funktionale Währung der argentinische Peso ist, IAS 29 „Rechnungslegung in Hochinflationsländern“ anzuwenden ist. 2 Darüber hinaus hatte sich das International Financial Reporting Interpretations Committee (IFRIC) in seinen letzten Sitzungen mit Fragestellungen zu Wechselkurs- und Devisenverkehrsbeschränkungen, insb in Venezuela, zu beschäftigen. Die bilanziellen Implikationen solcher wirtschaftlichen und politischen Ausnahmesituationen sind vielfältig und beschränken sich nicht alleine auf die Anwendung von IAS 29.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit zentralen Fragestellungen zu den Auswirkungen erhöhter und hoher Inflation ( wirtschaftliche Ausnahmesituationen) sowie mit den Herausforderungen von Wechselkurs- und Devisenbeschränkungen ( politische Ausnahmesituationen) im Konzernabschluss nach IFRS.
Wirtschaftliche Ausnahmesituationen (Hochinflation)
Feststellung von Hochinflation
IAS 29, der die Besonderheiten der Rechnungslegung von Unternehmen regelt, deren funktionale Währung jene eines Hochinflationslandes ist, enthält keine absoluten Grenzen, ab denen ein Unternehmen davon auszugehen hat, dass Hochinflation vorliegt. Vielmehr handelt es sich um eine Ermessensfrage, hinsichtlich derer der Standardsetter jedoch ausdrücklich eine einheitliche Auslegung für wünschenswert erachtet. Als Anhaltspunkte nennt der Standard einleitend neben qualitativen Faktoren, die insb die Verwendung der Landeswährung durch die Bevölkerung und bei der allgemeinen Preisbildung betreffen, als quantitativen Faktor, dass sich die kumulative Inflationsrate innerhalb von drei Jahren 100 % nähert oder diese Grenze überschreitet. 3
Das International Accounting Standards Board ( IASB) überwacht diese Indikatoren nicht und gibt auch keine Empfehlung darüber ab, ob eine Volkswirtschaft als hochinflationär einzustufen ist. Demgegenüber ist unter US-GAAP die Definition von Hochinflation klarer abgegrenzt und liegt jedenfalls ab Erreichen einer kumulierten Inflation von etwa 100 % in drei Jahren vor. 4 Für Zwecke der Rechnungslegung nach US-GAAP untersucht die IPTF des CAQ der amerikanischen Börsenaufsicht SEC die Inflationsraten ausgewählter Länder regelmäßig 5 und veröffentlicht diese in einem unverbindlichen Diskussionspapier. Wenngleich die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hochinflation zwischen US-GAAP und IFRS nicht deckungsgleich sind, 6 kann die Unterlage des IPTF als Anhaltspunkt für die Bestimmung, ob Hochinflation vorliegt, herangezogen werden. Die Analysen stützen sich in der Regel auf Daten des International Monetary Fund (IMF).
Die Inflation in Argentinien ist bereits seit einigen Jahren hoch, konsistente Daten dazu wurden nicht veröffentlicht (so fehlen für die Jahre 2014 bis 2016 Daten ganz oder teilweise). Nach mehreren Monaten rückläufiger Inflationsentwicklung kam es Anfang 2018 zu einem signifikanten Anstieg. Die kumulierte Inflationsrate der letzten drei Jahre, die auf Basis verschiedener Kombinationen von Einzelhandels- und Konsumentenpreisindizes errechnet wurde, lag in den letzten Monaten über 100 % und steigt weiter an. Lokale Prognosen lassen vermuten, dass die auf Basis von Konsumentenpreisen kalkulierte, kumulierte Inflation in den Jahren 2019 bis 2022 um die 120 % liegen wird. Auf Basis eines vergleichsweise herangezogenen Großhandelspreisindex hat die Inflation die 100%-Marke durchschlagen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese im Jahr 2019 deutlich unter 100 % sinken wird. Die qualitativen Faktoren zeigen nach wie vor ein gemischtes Bild; zieht man jedoch die jüngsten Entwicklungen ins Kalkül, etwa die Abwertung des argentinischen Peso, sprechen diese nicht gegen eine Einstufung von Argentinien als hochinflationäre Volkswirtschaft. 7
Erhöhte Inflation
Wie oben ausgeführt, macht IAS 29 das Vorliegen von Hochinflation neben qualitativen Faktoren insb am Vorliegen einer kumulierten Inflationsrate über drei Jahre von annähernd oder über 100 % fest. Diesbezüglich hatte das IFRIC im Jahr 2014 zu diskutieren, ob bei anhaltend erhöhter Inflation, die jedoch die genannten quantitativen Grenzen nicht erreicht, IAS 29 im Sinne des im Rahmenkonzept festgeschriebenen Kapitalerhaltungsgrundsatzes 8 der IFRS freiwillig angewendet werden könne. Das IFRIC verneinte dies mit der Begründung, dass das Rahmenkonzept der IFRS primär dazu dient, dem Standardsetter bei der (Weiter-)Entwicklung von Standards zu helfen und nicht zur (abweichenden) Auslegung von Standards. Eine Heranziehung zur Auslegung eines Standards ist nur dann angemessen, soweit keine konkreten Regelungen in den IFRS vorhanden sind. 9 Eine „freiwillige“ Anwendung von IAS 29 unter Heranziehung des Konzepts der Kapitalerhaltung bei Nichterfüllung der Anwendungsvoraussetzungen stünde im Widerspruch zur Bilanzierung von Vermögenswerten zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Diese werden sowohl in IAS 16 als auch IAS 38 definiert als „der zum Erwerb oder zur Herstellung entrichtete Betrag an Zahlungsmitteln oder Zahlungsmitteläquivalenten bzw der beizulegende Zeitwert einer anderen Entgeltform zum Zeitpunkt des Erwerbs bzw der Herstellung“ 10 .
Eine Anpassung der fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten an einen allgemein gültigen Preisindex analog zu IAS 29 würde dieser Definition entgegenstehen. 11 Das Risiko erhöhter Inflationsraten in bestimmten Regionen ist vom Bilanzierenden im Lagebericht hinsichtlich der Beschreibung der Ertragslage und der diesbezüglich bestehenden Risiken zu beschreiben. 12 Inflationsdifferenziale im Wechselkurs spiegeln darüber hinaus unterschiedliche Nachfragen und damit einhergehend unterschiedliche Preissteigerungsraten wider.
Hochinflation
Die Anwendung von IAS 29 bedingt die Anpassung sämtlicher, zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten bilanzierter nichtmonetärer Vermögenswerte und Schulden an einen allgemeinen Preisindex. 13 Die meisten nichtmonetären Posten werden zu ihren Anschaffungskosten bzw fortgeführten Anschaffungskosten angesetzt und damit zum zum Erwerbszeitpunkt geltenden Betrag ausgewiesen. Der Kaufkraftverlust wird direkt erfolgswirksam erfasst, weil die Inflation ein Ausmaß erreicht hat, bei dem historische Anschaffungskosten nicht mehr aussagekräftig sind.
Die angepassten bzw fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten jedes Postens werden bestimmt, indem man auf die historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten und die kumulierten Abschreibungen die zwischen Anschaffungsdatum und Bilanzstichtag eingetretene Veränderung eines allgemeinen Preisindexes anwendet. 14 Der Anpassungsfaktor wird auf Basis des allgemeinen Preisanstiegs ermittelt. In den meisten praktischen Anwendungsfällen ist zu vermuten, dass Unternehmen im Konzernverbund, deren funktionale Währung die Währung eines Hochinflationslandes ist, in einer stabilen Währung (meist €) an das Mutterunternehmen berichten. In diesen Fällen sind gemäß den allgemeinen Grundsätzen die Abschlüsse zuerst um die Inflationseffekte gemäß IAS 29 anzupassen, bevor gemäß IAS 21 eine Umrechnung in die Berichtswährung erfolgt. Allerdings ist es in solchen Fällen nicht notwendig, die in der stabilen Währung berichteten Vorjahreswerte um die Inflationseffekte auf die am Bilanzstichtag geltende Maßeinheit anzupassen. 15 Die erstmalige Anwendung von IAS 29 stellt eine Änderung von Rechnungslegungsmethoden iSd IAS 8 dar. 16 Dies bedingt zusätzliche ausführliche Anhangangaben gemäß IAS 8.28.
Die zentrale Anwendungsfrage von IAS 29 ist die Ableitung eines allgemeinen Preisindex. Dieser hat die Veränderungen in der allgemeinen Kaufkraft widerzuspiegeln. Zwar macht IAS 29 hierzu keine Vorgaben, allerdings äußert der Standardsetter eine Präferenz dafür, dass alle Unternehmen, die in der Währung derselben hochinflationären Volkswirtschaft berichten, denselben Index verwenden. 17 Die Anwendung von IAS 29 erfolgt primär auf Ebene des betroffenen Tochterunternehmens als Vorstufe zur Umrechnung in die Berichtswährung nach IAS 21. Dementsprechend sind uE auch lokale Datenquellen für die Inflationsermittlung zu bevorzugen.
Politische Ausnahmesituationen
Devisenverkehrsbeschränkungen
Häufig gehen wirtschaftliche Ausnahmesituationen mit politischen Restriktionen hinsichtlich der Möglichkeit zur Rückführung von Devisen aus betroffenen Ländern (zur Verhinderung von unkontrolliertem Kapitalabfluss) sowie hinsichtlich verfügbarer Kurse zur Währungsumrechnung einher. 18 Fraglich könnte in solchen Fällen sein, ob das Mutterunternehmen weiterhin seine Verfügungsgewalt so nutzen kann, dass es dadurch die variablen Rückflüsse aus dem Unternehmen kontrolliert. 19 Ein Investor hat eine Risikobelastung durch bzw Anrechte auf schwankende Renditen aus seinem Engagement bei dem Beteiligungsunternehmen, wenn sich die Renditen, die der Investor mit seinem Engagement erzielt, infolge der Ertragskraft des Beteiligungsunternehmens verändern können. Die Renditen des Investors können ausschließlich positiv, ausschließlich negativ oder sowohl positiv als auch negativ sein (IFRS 10.15).
Den Chancen und Risiken aus diesen variablen Rückflüssen 20 ist das Mutterunternehmen in aller Regel trotz bestehender Devisenverkehrsbeschränkungen weiterhin ausgesetzt. Diese verschärfen lediglich die negative Variabilität der Rückflüsse. Diese Auffassung wird auch dadurch gestützt, dass das IASB bei der Überarbeitung der Konsolidierungsstandards (Übergang von IAS 27 auf IFRS 10) die Regelung, dass ein Tochterunternehmen bei schwerwiegenden und langfristigen Devisenverkehrskontrollen ( „Severe and long-term restrictions impairing ability to transfer funds to the parent“) keine Kontrolle mehr hat, bewusst und explizit nicht mehr aufgenommen hat. Als Begründung dafür gibt der Standardsetter an, dass solche Beschränkungen nicht per se zum Verlust von Beherrschung führen, sondern lediglich als Einflussfaktor
Den Chancen und Risiken aus diesen variablen Rückflüssen 20 ist das Mutterunternehmen in aller Regel trotz bestehender Devisenverkehrsbeschränkungen weiterhin ausgesetzt. Diese verschärfen lediglich die negative Variabilität der Rückflüsse. Diese Auffassung wird auch dadurch gestützt, dass das IASB bei der Überarbeitung der Konsolidierungsstandards (Übergang von IAS 27 auf IFRS 10) die Regelung, dass ein bei der Beurteilung von Beherrschung zu berücksichtigen sind. 21
Wechselkursbeschränkungen und fehlende Wechselkurse
Kürzlich hatte das IFRIC – in Wiederaufnahme einer bereits früher geführten Diskussion 22 – darüber zu beraten, wie mit offiziell verordneten Wechselkursbeschränkungen in der Rechnungslegung nach IFRS umzugehen sei. 23 Im konkret vom IFRIC diskutierten Fall wurden die von der venezolanischen Regierung verhängten offiziellen Umrechnungsmechanismen dahingehend betrachtet, ob sie mit der Vorgabe von IAS 21, dass der Stichtagskurs dem Kassakurs (dh dem Wechselkurs bei sofortiger Ausführung einer Transaktion) der Währung am Abschlussstichtag zu entsprechen hat, in Einklang stehen. 24
Unternehmen greifen zur Umrechnung in der Praxis häufig auf jenen Umrechnungsfaktor zurück, zu dem sie Kapital aus dem Unternehmen in das Mutterunternehmen transferieren können ( „investment related remittance rate“ 25 ). In Fällen offiziell festgesetzter Wechselkurse ist fraglich, ob zu diesem Wechselkurs eine Transaktion stattfinden kann. Wechselkursbeschränkungen können in unterschiedlichen Formen auftreten, zB durch die betragliche Beschränkung oder (erhebliche) zeitliche Verzögerungen beim Devisenerwerb oder durch Einschränkungen hinsichtlich der Zweckwidmung von Beträgen in fremder Währung (häufiges Beispiel ist die Einschränkung, dass keine Dividenden in fremder Währung gezahlt werden dürfen). 26
Fälle eines langfristigen Fehlens eines verwendbaren Umrechnungskurses sind von IAS 21 nicht gedeckt. Dieser schreibt nur Vorkehrungen für ein vorübergehendes Aussetzen des Austausches von zwei Währungen fest. In diesen Fällen ist der erste auf dieses Aussetzen folgende Kurs zu verwenden, sobald ein Austausch wieder möglich ist (dh regelmäßig im Werterhellungszeitraum gemäß IAS 10). 27 In der aktuell für Venezuela 28 geltenden Situation geht das IFRIC davon aus, dass die offiziellen Umrechnungswerte die oben beschriebene Definition in IAS 21 nicht mehr erfüllen. 29 Diese sind zwar beobachtbar, jedoch nur eingeschränkt verwendbar, weshalb das IFRIC die Schätzung des Wechselkurses unter Berücksichtigung von Inflationseffekten befürwortet. 30 Solche Schätzungen sind gemäß IAS 1 offenzulegen. 31
Auf den Punkt gebracht
Wirtschaftliche Ausnahmesituationen in Form von hoher oder sogar ausgeprägter Inflation sowie – häufig damit Hand in Hand gehende – politische Restriktionen hinsichtlich Wechselkursniveau und Devisenverkehr bergen vielfältige bilanzielle Herausforderungen im Anwendungsbereich verschiedener Standards der internationalen Rechnungslegung. Ist die funktionale Währung eines Unternehmens jene Währung eines Landes, das als hochinflationär einzustufen ist, ist IAS 29 anwendbar. Dies wurde kürzlich für Argentinien bestätigt. Ferner hatte das IFRIC in jüngster Zeit weitere Bilanzierungsprobleme, die sich aus politischen Restriktionen, die sich mittelbar oder unmittelbar aus den wirtschaftlich schwierigen Gegebenheiten ergeben, zu diskutieren.
Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 5/2018) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at
1 Vgl Center for Audit Quality (CAQ), IPTF Document for Discussion: Monitoring Inflation in Certain Countries (16. 5 2018) 4 f, https://www.thecaq.org/our-committees/international-practices-task-force (Zugriff am 13. 8. 2018).
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