Wie (ir)rational sind wir im Controlling?

Controlling hat in der Regel die Aufgabe der Rationalitätssicherung im Unternehmen – durch wie rational ist Controlling eigentlich selbst und was ergibt sich daraus?


Die Erwartungen ans heutige Controlling sind hoch – verschiedenste Rollen, unternehmerische Dynamik sowie State-of-the-Art-Tools bescheren Führungskräften und Controlling-Spezialist:innen volle Kalender.

Der Fokus auf eine Kernaufgabe – Entscheidungsvorbereitung bzw. -findung – rückt da rasch in den Hintergrund. Allerdings ist gerade dieser Bereich besonders kritisch.

Eine Studie der Universität Giessen widmete sich 2020 der Frage, welche Rolle der Faktor Mensch im Entscheidungsprozess spielt. 90 % der Befragten (primär CFOs, Heads of Controlling sowie Personen im Controlling) gaben an, dass Unconscious Biases negative Folgen für ihr Unternehmen haben können. Daneben führten drei von vier befragten Personen Fehlentscheidungen in der Vergangenheit zumindest teilweise auf Biases zurück.

Es scheint ein gewisses Bewusstsein zu geben, dass menschliche Faktoren eine negative Rolle spielen können – doch worauf genau? Wer ist primär betroffen von Biases?

Irrationalität im Controlling

Der homo oeconomicus ist eine Annahme, die sich durch die Wirtschaftstheorie zieht. Die rationalen „Econs“ treffen perfekt rationale Entscheidungen und optimieren zum Besten des jeweiligen Unternehmens. Menschen hingegen glauben an ihre Fähigkeiten Dinge stärker beeinflussen zu können als sie real dazu in der Lage sind. Sie verwechseln einfach abrufbare Informationen mit wichtigen, tendieren zu überzogenem Optimismus und nehmen verstärkt Informationen wahr, die ihre vorherrschende Meinung bestätigen. Und vieles mehr.

Gehören Controller:innen nun eher zu Richard Thalers „Econs“ oder zu den „Humans“?

Vorurteilsfreiheit, Objektivität und Neutralität sind Attribute, die für den Berufsstand wichtig sind und wohl auch zum eigenen Bild der Rolle gehören.

Können wir von einer grundsätzlich stärkeren Rationalität im Controlling verglichen zu anderen Funktionen ausgehen?

Nein.

Das menschliche Gehirn arbeitet grundsätzlich selektiv und mit verschiedensten Denkabkürzungen. Nur ein kleiner Bruchteil der jede Sekunde eintreffenden Informationen landen im Bewusstsein.

Eine Studie der Duke University untersuchte die Fähigkeit von CFOs den Markt (S&P Aktienindex) vorherzusehen. Bei über 11.000 Forecasts zeigte sich eine Korrelation von unter null – bei Prognosen eines Marktrückgangs stieg dieser etwa und vice versa. Gleichzeitig wurden die Prognosen mit einem Konfidenzintervall von 80% abgefragt. Dies bedeutet, dass die CFOs in dieser Studie zwar von ihren Fähigkeiten überzeugt waren den Markt zu prognostizieren, diese Fähigkeit aber im Schnitt nicht besaßen.

Können wir aus diesem Beispiel für den Overconfidence Bias schließen, dass Controlling & Finance möglicherweise mehr von Biases betroffen ist als andere?

Nein.

Wir können davon ausgehen, dass Denkverzerrungen und Fehlschlüsse in dieser Funktion ebenso vorkommen wie in allen anderen. Unconscious Biases wirken universell.

Das Berufsbild im Allgemeinen und die persönliche Identität im Speziellen können allerdings dazu führen der eigenen Betroffenheit weniger aufgeschlossen gegenüberzustehen.

Ist Digitalisierung & KI die Lösung?

Der Anspruch ans Controlling die Rationalitätssicherung im Unternehmen zu gewährleisten bedeutet, dass die Funktion auf eine breite Toolbox zurückgreifen kann. Die methodische Kompetenz sowie die Möglichkeit Prozesse im Unternehmen (mit) zu gestalten stellen bereits effektive De-Biasing Potentiale dar – Biases sind auch in Unternehmen in Prozessen, Strukturen und Abläufen verankert, betreffen daher mehr als die individuelle Ebene.

Controlling hat daher eine grundsätzlich gute Position auf der Basis von entsprechendem Wissen über Unconscious Biases im Allgemeinen und die konkreten Auswirkungen im Speziellen (daher auf die handelnden Personen bzw. Prozesse) positiv zu wirken.

Welches Potential steckt dabei in der verstärkten Digitalisierung bzw. Künstlichen Intelligenz?

Grundsätzlich stellen diese weitere methodische Möglichkeiten dar Beurteilungs- bzw. Entscheidungsprozesse rationaler zu gestalten. Es gilt hier jedoch zwei wesentliche Punkte zu beachten:

  • Algorithmen werden von Menschen entwickelt bzw. (im Falle selbstlernender Systeme) beeinflusst – wie etwa Fälle diskriminierender Rekrutierungssoftware zeigen, sind diese nicht per Definition Bias-frei.
  • Weitere Systeme unterstützen in der Regel Entscheidungsprozesse, „entmenschlichen“ diese aber nicht komplett – abgesehen von der Frage, ob dies erstrebenswert wäre, bedeutet dies, dass Biases nach wie vor wirken, nur möglicherweise anders.

Der ICV (Internationale Controller Verein) konstatiert, dass Controlling-Arbeit neben Methodik ebenso Verhaltenskenntnis erfordert. Die Kenntnis über eigenes Verhalten sowie das anderer macht die Arbeit effektiv – dazu gehört auch sich Kompetenzen über die Faktoren anzueignen, die dieses Verhalten negativ beeinflussen.

Es passiert nicht viel

In der bereits genannten Umfrage der Universität Giessen wurde ebenfalls abgefragt, wie viele Unternehmen systematisches De-Biasing implementiert haben – 12%!

Neun von zehn Unternehmen erkennen die Problematik, nur eines von zehn tut etwas dagegen.

De-Biasing ist nicht trivial – es erfordert neben Fokus auf den individuellen Kontext auch die Bereitschaft eigene Denkmuster und Handlungsweisen zu hinterfragen bzw. zu ändern. Der Schutz der eigenen Identität spricht hier manchmal dagegen.

Dennoch: es besteht unzweifelhaft viel Potential – nicht zuletzt deshalb, weil es ein herausforderndes Thema ist, das nicht jede Organisation bereit ist zu meistern.

Nutzen Sie diese Chance!


Weiterbildungstipps:

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Seminar Unconscious Biases und Fehlurteile im Controlling & Finanzbereich

Hier finden Sie den Bereichsfolder „Leadership & Innovation


Hier finden Sie weiterführende Texte und Hintergründe

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