Was ist Process Mining?

Was ist Process Mining?

Stellen Sie sich vor, Sie haben die Nase voll von der Digitalisierung. Ständig wird Ihnen erzählt, wie tolle IT- und Data-Analytics-Tools die Welt verändern. Ihr Unternehmen scheint dafür aber entweder zu klein oder zu wenig liquide zu sein bzw sind Ihre Kunden zu ignorant, als dass eine echte Wertschöpfung zu erkennen wäre. Vielleicht gehen Sie jedoch falsch an die Sache heran, und der eigentliche Hebel der Digitalisierung liegt nicht in den Tools, sondern in den profanen, aber essenziellen Grundlagen Ihres Unternehmens, nämlich in den Prozessen und den Kompetenzen Ihrer Mitarbeiter.


Neben der Notwendigkeit, Kompetenzen zu entwickeln, ist der Bedarf zur Anpassung der Prozesse das am meisten unterschätzte Thema der Digitalisierung. Schließlich verspricht die Digitalisierung eine substanzielle Veränderung der Art und Weise, wie Unternehmen funktionieren. Da Prozesse das sind, was die Potenziale des Unternehmens in Leistungen für den Kunden umwandeln, wird ein Großteil des Nutzens der Digitalisierung über Anpassung, dh Verbesserung der Prozesse erreicht. Erst in den letzten Jahren wurden dazu effiziente und praktikable Methoden entwickelt, die eine genaue Analyse der Prozesslandschaft rasch ermöglichen.

Prozessanalyse

Jede Prozessanalyse versucht, die Tätigkeiten der Mitarbeiter und die sie begleitenden Informationen im Zeitablauf darzustellen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Schnittstellen zwischen verschiedenen Tätigkeitsbündeln gelegt, weil vor allem dort Ineffizienzen und Fehler entstehen können. Ein idealer Prozess hat einen klar definierten Beginn- und Endpunkt, an dem Entscheidungen, Verantwortungen, Ergebnisse und Informationen von einem Abwickler zum nächsten eindeutig übergehen.

Die Erfassung derartige Prozessmuster ist größtenteils noch immer Handarbeit. Je nach Genauigkeits­anspruch kann eine Selbsteinschätzung durch die Mitarbeiter, ein Rückgriff auf Zeitaufschreibungen oder eine direkte Beobachtung und Dokumentation durch Externe mit Checkliste und Stoppuhr durchgeführt werden. In allen Fällen erhält man nur ein Blitzlicht der Situation, das vor allem in saisonalen oder wachsenden Unternehmen irreführend sein kann. Gerade auch im Controlling kann eine Erfassung aufgrund der zeitlich unregelmäßigen Belastung (Budgetierung, Forecast, Monatsberichte …) schwierig sein.

Engpässe überwinden

Process Mining versucht, diese Engpässe zu überwinden, indem anstelle einer Beobachtung eine Analyse der Zugriffe und Tätigkeiten innerhalb der IT-Systeme vorgenommen wird. Auf Basis von Logfiles, die beliebig in die Vergangenheit zurückreichen können, werden mit Data-Mining-Methoden Muster und Abläufe sichtbar, die zu Workflows zusammengefügt werden. Es entsteht eine Grafik der Unternehmensprozesse mit allen Schnittstellen, Zeitabläufen und Häufigkeiten.

Process Mining eignet sich für alle Prozesse, deren Schritte aus einem IT-System nachvollziehbar sind. In der Regel kann eine Process-Mining-Software derartige Analysen nicht nur ex post, sondern auch real-time mitlaufend zu den aktuellen Tätigkeiten durchführen. Je nach gewählter Software kann dies nur innerhalb eines Systems oder auch über Systemgrenzen hinaus bis hin zum E-Mail-Verlauf erfolgen. Dadurch kann auch erkannt werden, wo Prozesse stoppen und nach einem Systembruch außerhalb des Systems wieder im System fort­gesetzt werden.

Zwecke des Process Minings

Je nach Aufgaben­stellung kann Process Mining drei Zwecke erfüllen:

  • Discovery: Liegt kein Vorwissen über die Prozesse vor, kann Process Mining aus einer Summe von Tätigkeiten Prozesse sichtbar machen, die vorher nicht bekannt waren.
  • Conformance: Will man überprüfen, ob bekannte und definierte Prozesse eingehalten werden, kann das Process Mining Abweichungen vom Normprozess aufzeigen.
  • Enhancement: Auf Basis der bei der Conformance erkannten Abweichungen wird ein neuer, verbesserter Prozess definiert und implementiert.

Die Stärken des Process Minings zeigen sich dann, wenn eine Vielzahl von Prozessschritten relativ standardisiert durchlaufen wird. Die Analysesoftware kann dann aufzeigen, welcher Anteil an Prozessdurchläufen planmäßig erfolgt, welcher fehlerhaft ist und wann welche Umwege genommen werden. So wird erkennbar, an welcher Stelle lange Wartezeiten auftreten, wo Schleifen aufgrund von Fehlern passieren und wie viel Zeit dadurch verlorengeht. Bei der Analyse zahlt es sich aus, vor allem auf die Ausreißer zu achten und sich nicht mit einem durchschnittlichen Bild zufriedenzu­geben.

Sollte zB herausgefunden werden, dass 20 % der monatlichen Kreditformulare aufgrund von Fehlern neu einge­geben werden müssen und diese Schleife jeweils 20 Minuten dauert, so könnte sich hier ein nutzbringendes Anwendungsfeld für eine Web-App ergeben. Auch für die Compliance ist Process Mining hilfreich, wenn man zB erkennt, wie oft ein Projekt ohne Auftragsbestätigung gest­artet wird und welchen Workaround der findige User gebaut hat, um nicht aufzufallen.

In vielen Fällen ist ein Prozess-Redesign oder die Investition in digitale Tools gar nicht notwendig, wenn eine einfache Schulungen, motivatorische Maßnahmen oder klare Führung ausreichend sind. Auch dazu kann das Process Mining wertvolle Hinweise liefern.


Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 2/2019) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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