Schlagwortarchiv für: Buchtipp

Déjà-vu im Panikmodus

„Diesmal ist alles anders“ – mitnichten! Extremsituationen sind die Regel, nicht die Ausnahme


Sind wir denn alle durchgedreht? Waldsterben, saurer Regen, Ozonloch und Y2K-Bug sind längst vergessen. Auch nach der erst kürzlich überstandenen Corona-Hysterie sind die Virologen von den TV-Bildschirmen endlich wieder in ihre Labors zurückgekehrt, doch von einem Abschied vom medialen Panikmodus kann keine Rede sein. Statt Corona jetzt also die Angst vor der ultimativen Klima-Apokalypse. Und so pilgern nun selbst gestandene Manager mit ebenso voluminösen wie nutzlosen ESG-Berichten vor den Klima-Altar und machen ihren Kotau vor der (schein-)heiligen Greta, während zerzauste Friday-for-Future-Kleber:innen allen Ernstes im Fernsehen skandieren „So ein Sommer darf sich nie mehr wiederholen.“

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Zwei Wiener Parvenüs und die Suche nach den fehlenden Milliarden

Der Fall Wirecard aus der Sicht seines wichtigsten Aufdeckers

Die besten Krimis schreibt das echte Leben. Gegen die realen abenteuerlichen Vorgänge rund um den einstigen DAX-Konzern Wirecard verblassen alle belletristischen Kriminalstücke, mit denen zahlreiche Autoren die Bücherregale seit einigen Jahren in wachsender Zahl und eher sinkender Qualität überfluten.

Nun liegt unter dem Titel „House of Wirecard“ eine umfassende Aufarbeitung des größten Wirtschafts­betrugs Deutschlands aus der Sicht von Dan McCrum vor, jenes unerschrockenen und hartnäckigen Journalisten der renommierten „Financial Times“, der mit seinen Recherchen das Kartenhaus aus Lügen und Bluff des einstigen Superstars am deutschen Börsenparkett zum Einsturz brachte.


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Der damalige Mitt-Dreißiger Dan McCrum erhielt bereits 2014 von einem australischen Hedge­fonds-Manager den Tipp, sich „ein paar deutsche Gangster“ näher anzusehen. Es ging um das Unternehmen Wirecard, damals noch ein Fintech-Start-Up mit einem Börsen­wert von vier Milliarden Euro. McCrum nahm die Herausforderung dankend an und notiert launisch: „Es war Sommerflaute, und jeder Gedanke an Gefahr wirkte lächerlich in der vornehmen Atmosphäre einer Zeitung, deren Reporter eher einen Milliardär auf dessen Jacht interviewen würden als einen Gangster.“

Schon die Gründerzeit der Vorgängerfirmen von Wirecard verlief turbulent. Um die Jahrtausendwende erwarb ein mit dem Betrieb von Porno-Websites reich gewordener Münchner Unternehmer die damalige Wire Card und brachte über eine trickreiche rechtliche Konstruktion die neue Firma 2005 an die Börse. 2006 folgte die Umbenennung in Wirecard und die Aufnahme in den TecDax. Der Aktienkurs belief sich damals auf vier Euro, der Börsen­wert wurde mit 300 Millionen Euro errechnet. Mit an Bord waren seit Beginn die beiden aus Wien stammenden Manager Markus Braun und Jan Marsalek.

Neben der „normalen“ Abwicklung von Internet-Zahlungen sowie Kredit- und Prepaid-Karten zählten von Anfang an Aktivitäten in den Bereichen Online-Glücksspiel, Porno und die Abwicklung von Zahlungen an Lieferanten dubioser Wunderpillen zu den wesentlichen Einnahmequellen von Wirecard. Die Sache wurde noch brisanter, als 2013 der damalige US-Präsident George W. Bush ein Gesetz unterzeichnete, wonach es Kreditk­artenfirmen, Banken und Bezahl­diensten fortan untersagt war, Geld an die meist außerhalb der USA ansässigen Glücksspiel-Betreiber zu überweisen. US-amerikanische Spieler konnten somit ihre Einsätze und Wetten nicht mehr auf legalem Weg platzieren. Wirecard geriet in der Folge wiederholt aufgrund des Vorwurfs in die Schlagzeilen, illegale Glücksspiel-Transaktionen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar durch Einsatz falscher Konten abgewickelt zu haben. Mit den Einnahmen aus diesen hoch riskanten, aber sehr profitablen Geschäftsbereichen sollten, so der bereits damals geäußerte Verdacht, Verluste aus dem laufenden, „normalen“ Transaktions­geschäft kaschiert werden.

Trotz immer wieder auftauchenden Gerüchten über Bilanzmanipulationen und diversen Shortseller-Attacken hatte die Wirecard Aktie 2014 einen Kurs von 29 Euro erreicht, was einem theoretischen Börsen­wert von ansehnlichen 3,6 Milliarden Euro entsprach. Vor allem das von Jan Marsalek aufgebaute Geschäft im Nahen Osten und in Asien schien sich prächtig zu entwickeln und trug wesentlich zur guten Börsenstimmung rund um Wirecard bei. In diese Zeit fällt auch der Aufbau des Geschäftes in Indien, welches, so Dan McCrum in seinen Recherchen, durch eine besonders große Anzahl äußerst fragwürdiger Transaktionen mit dubiosen Geschäftemachern einen traurigen Höhepunkt in der „Erfolgsstory“ von Wirecard darstellt.

Die Wirecard-Niederlassung in Singapur übernahm eine wichtige Rolle bei der Koordination des Asien-Geschäftes. Marsalek, @so der Autor, baute den Leiter des dortigen Finanzteams gezielt zum Troubleshooter auf, vor allem um die immer drängender werdenden Fragen der Wirtschafts­prüfung Ernst Young in Schach zu halten. Anfang 2019 fiel der Aktienkurs von Wirecard von gut 167 Euro auf unter 86 Euro aufgrund mehrerer Berichte von Dan McCrum in der „Financial Times“, wonach die Wirecard-Mitarbeiter in Singapur Umsätze und Kunden erfunden hätten, um eine Geschäftslizenz in Hongkong zu erhalten und die Ertragsziele von Wirecard zu erreichen. Eine Polizeirazzia in der Filiale Singapur verlief ergebnislos, Wirecard bestritt alle Vorwürfe und reichte Klage gegen die „Financial Times“ ein. Die deutsche Finanz-Aufsichtsbehörde BaFin verbot in weiterer Folge sogar Leerverkäufe von Wirecard-Aktien, eifrig beklatscht von einigen deutschen Wirtschaftsmedien und Finanzanalysten, welche es einfach nicht wahrhaben wollten, dass der mittlerweile in den DAX aufgestiegene Fintech-Star eine einzige Chimäre sein soll.

Eindrucksvoll beschreibt McCrum die langjährigen, mit akribischer Verbissenheit betriebenen Recherchen, welche er mit verlässlichen Mitstreitern aus der „Financial Times“-Redaktion über viele Jahre und gegen wachsenden Widerstand seitens Wirecard betrieb. Der Vorstandsvorsitzende Markus Braun kommt in dem Buch nicht besonders gut weg, mit seinem meist im schwarzen Rollkragenpullover vorgetragenen, pseudo-visionären Technologie-Geschwurbel wirkte er zunehmend wie eine tragikomische Figur, eine Art Steve Jobs für Einfältige. Als Strippenzieher im Hintergrund und zentrale Figur bei zahlreichen Fällen von Bilanzfälschung agierte – so McCrum – der mittlerweile steckbrieflich gesuchte Jan Marsalek. Wiener Parvenü trifft Münchner Großmaultum und Luxusleben – eine wahrhaft toxische Mischung. Im Gegensatz zum sich feinnervig und intellektuell gerierenden Markus Braun gab sein österreichischer Landsmann Marsalek den Mann fürs Grobe, mit guten Kontakten zur Halbwelt und diversen Geheim­diensten, ein gerissener Brutalo, mit dem man sich am besten nicht anlegte.

Im Oktober 2019 erweiterte die „Financial Times“ ihre Vorwürfe, worauf Wirecard die Wirtschafts­prüfungsgesellschaft KMPG mit einer Sonder­prüfung beauftragte. Der Rest ist Wirtschaftsgeschichte … In einem dramatischen Finale im Juni 2020 verweigerte der Konzernprüfer Ernst Young das Testat, weil sich die in der Bilanz mit annähernd zwei Milliarden Euro ange­gebenen Treuhand-Guthaben auf zwei philippinischen Banken als nicht existent herausstellten. Am 25. Juni 2020 meldete Wirecard Insolvenz an. Markus Braun wurde verhaftet und wartet seither in einem Gefängnis in Bayern auf seinen Prozess. Ihm wird „bandenmäßiges Vorgehen“, die Veruntreuung des Wirecard-Vermögens, Bilanzfälschung und die Manipulation des Aktienkurses des Unternehmens vorgeworfen. Jan Marsalek entzog sich der Verhaftung durch eine abenteuerliche Flucht im Privatjet nach Minsk und wird seither in Russland vermutet, jenem aktuellen Ober-Pariastaat, in dem es auf eine zwielichtige Gestalt mehr oder weniger auch schon nicht mehr ankommt.

„House of Wirecard” ist ein spannend geschriebenes, solide recherchiertes Kabinettstück über Gier, Selbstgefälligkeit, Inkompetenz, Dreistigkeit und Wirtschaftskriminalität. Der investigativen Beharrlichkeit von Dan McCrum ist es zu verdanken, dass dem Wirtschaftsplatz Deutschland nicht noch größerer Schaden entstanden ist. Zudem illustrieren die von ihm zusammengetragenen Fakten eindrucksvoll und erschütternd klar die Dimensionen eines langjährigen institutionellen Multi-Organversagens von deutscher Politik, Börsen- und Wirtschaftsaufsicht, Wirtschafts­prüfung, Justiz und Wirtschaftspresse, das letztlich erst dank des Einsatzes mutiger britischer Journalisten aufgedeckt werden konnte.

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House of Wirecard. Wie ich den größten Wirtschafts­betrug Deutschlands aufdeckte und einen DAX-Konzern zu Fall brachte Dan McCrum Econ Verlag, Berlin 2022, € 25,70.

Literaturtipp: Organisation des Controllings

Der Controlling-Berater: Den Spagat zwischen Effizienz und Flexibilität bewerkstelligen.

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Literaturtipp: IFRS 2021

Berater, Prüfer, Mitarbeiter im Rechnungswesen und Controlling sowie Bilanzanalysten benötigen umfassende Kenntnisse der IAS/IFRS, denn überholte oder unvollständige Fachkenntnisse sind ein erheblicher Risikofaktor bei der täglichen Arbeit. Hier setzt der Praxisleitfaden IFRS 2021 an: Er ermöglicht es Ihnen, die ständig steigenden Anforderungen in der Rechnungslegungspraxis zu bewältigen und die Fortentwicklung der IFRS zu begleiten.

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Literaturtipp: Financial Steering

Von der Bewertung über KPI-Management bis hin zum Zusammenspiel mit IFRS.

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