„Langfristige Programme brauchen kurzfristige Erfolge“
Dipl.-Kfm. Frank Gumbinger, CFO der Semperit AG Holding, über Restrukturierungs- und Transformationsprozesse
Dipl.-Kfm. Frank Gumbinger (geboren 1968) studierte Betriebswirtschaftslehre an der Goethe-Universität Frankfurt und war von 1996 bis 1998 Wirtschaftsprüfer und Berater bei PwC. 1999 wechselte er zur Delton AG, wo er bis 2008 verschiedene Führungspositionen innerhalb der zugehörigen Konzernunternehmen innehatte. Von 2001 bis 2005 war er bei der ERGO-PHARM Beteiligungsgesellschaft mbH/Heel GmbH Leiter des Controllings und hat dann auch den Bereich Unternehmensentwicklung und Strategie aufgebaut. Anschließend wechselte Gumbinger innerhalb des Konzerns als CFO zur CEAG AG. Ab 2009 war er bei der Progroup AG in Landau als CFO tätig. Seit Dezember 2016 ist er Finanzvorstand der Semperit AG Holding und verantwortet die Finanzbereiche der Sektoren Industrie und Medizin sowie Accounting & Tax, Controlling, Information Technology, Internal Audit, Investor Relations, Legal, Procurement, Risk Management und Treasury. Gumbinger ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Kombination aus Ausbildung und Praxis
Der Aktienkurs eines Unternehmens ist vor allem ein Indikator für seine wirtschaftliche Entwicklung. Bei der Semperit AG Holding war die Kursentwicklung in den letzten vier Jahren wenig erfreulich. Nach einem Hoch im Juli 2014 sank der Kurs nahezu kontinuierlich um fast zwei Drittel. Ursache waren bzw sind Schwierigkeiten in wichtigen Bereichen des Traditionsunternehmens. In solchen Fällen braucht es Spezialisten, die das Unternehmen wieder auf Kurs bringen. Bei Semperit wurde seit 2016/2017 der Vorstand neu bestellt. Als CFO wurde Frank Gumbinger engagiert. Wer ist er?
In seinem Büro in der 8. Etage des Modecenter-Komplexes in Wien Landstraße empfängt ein sehr freundlicher Herr mittleren Alters. Der in Rüsselsheim geborene Hesse, dessen Vater beim dortigen Renommierunternehmen Opel im kaufmännischen Bereich Leitungsfunktionen innehatte, kombinierte schon früh einen praktischen Bezug mit der Ausbildung als Büro- und Industriekaufmann im Rahmen eines Modellversuchs schulisch-beruflich integriertes Lernen bei der Adam Opel AG. „Ich musste als Auszubildender selbst buchen, lernte das von der Pieke auf“, erzählt Gumbinger. „Im Rahmen dieser Ausbildung erlangte ich die Hochschulreife, hatte aber parallel immer zusätzlich einen beruflichen Zweig dabei. Schon vor dem Studium hatte ich eine Ausbildung zum Wirtschaftsinformatik-Assistenten absolviert, hatte programmiert. Dabei stellte ich fest, dass ich gerne mit Fokus auf den Zahlenbereich Dinge koordinierte und weiterentwickelte.“
Während des Betriebswirtschaftsstudiums arbeitete Gumbinger parallel nicht nur, um das Studium zu finanzieren, sondern auch um festzustellen, welche Bereiche für ihn interessant wären. Er liebäugelte mit einem Chemiestudium, doch damals gab es in Chemie noch keinen Studiengang für das Wirtschaftsingenieurwesen. Jetzt findet er bei Semperit den Konnex zur Chemie. Was er bei seinem Studium und speziell im Rahmen seiner Diplomarbeit über „Activity based costing“, die er bei General Motors erarbeitete, auch noch feststellte: „Es war sehr spannend, hat mir aber gezeigt, dass ein Großunternehmen in der Dimension von GM für mich nicht das Richtige ist. Ich will mein Wirken unmittelbarer sehen. Bei Großunternehmen arbeitet man ein, zwei Jahre in einem stillen Kämmerlein an einem Projekt, aber bis dahin hat sich die Welt schon wieder verändert und das Ganze kann im Extremfall umsonst gewesen sein.“
Kaufmännische Bereiche auf Vordermann bringen
Nach dem Ende des Studiums im Jahr 1995 entschied sich Gumbinger, in die Wirtschaftsprüfung und -beratung zu gehen, wobei die Beratung damals bei den großen Prüfungsgesellschaften einen wesentlich höheren Anteil ausmachte als heute. Er begann bei Coopers & Lybrand, erlebte dort den Merger mit Price Waterhouse: „Das war spannend, weil hier unterschiedliche Kulturen zusammenkamen. Aber ich habe auch gesehen, dass man aus der Beratung und Prüfung heraus gar nicht so viel bewirken oder beeinflussen kann. Daher entschied ich mich, in die Industrie zu gehen.“ 1999 trat Gumbinger in die Delton AG ein, die strategische Management-Holding des Unternehmers Stefan Quandt. Die AG hatte damals fünf verschiedene Geschäftsbereiche. Als Stefan Quandt den Aufsichtsratsvorsitz übernahm, wurde alles auf den Prüfstand gestellt und Gumbinger durfte „als kleiner Indianer unter vielen Häuptlingen“ bei vielen interessanten Analysen mitarbeiten, Erfahrungen sammeln und wurde bald zum Konzerncontroller befördert.
Zu seinen Aufgaben gehörte die Restrukturierung des Bereichs Mode (Label Van Laack). „Das waren für mich persönlich sehr wichtige Erfahrungen. Ich bin immer wieder in meinem Lebenslauf dazu gekommen, kaufmännische Bereiche auf Vordermann zu bringen. Ich habe dabei Situationen erlebt, in denen eine ganze Reihe von Themen nicht abgearbeitet wurde, was dazu führte, dass manchmal größere Einschnitte notwendig waren. Daher wollte ich die Dinge in meinem Verantwortungsbereich möglichst so entwickeln, dass solche Einschnitte vermeidbar waren.“ Der Modebereich von Delton wurde saniert und 2002 schließlich verkauft.
Gumbinger übernahm 2001 den Aufbau des weltweiten Controllings im Geschäftsbereich Arzneimittel ( Ergo-Pharm Beteiligungsgesellschaft/Heel GmbH). Risikomanagement, Konsolidierung und Management Reporting waren schon damals seine Themen – und sind es bei Semperit heute wieder. Strategie und Business Development lagen ebenfalls in seinem Bereich. 2006 übernahm er bei der zu Delton gehörenden CEAG AG erstmals bei einem börsenotierten Unternehmen die Funktion des CFO. „Das war eine spannende strategische und interkulturelle Herausforderung, denn wir hatten damals für die Fertigung von Handy-Ladegeräten in der Spitze 20.000 Mitarbeiter in Asien. Ich absolvierte ein spezielles Training, um mich darauf einzustellen, denn in China zB heißt ‚Ja‘ nicht unbedingt ‚Ja, ich mache das‘, sondern ‚Ja, ich habe es gehört‘. Die Mitarbeiter brauchen also eine deutlich direktivere Ansprache.“
Solche Unterschiede kennenzulernen und das Unternehmen, das aus einer Restrukturierung kam, weiterzuentwickeln, war eine neue Herausforderung. Eines der beiden Unternehmenssegmente, das vorwiegend Ladegeräte für Nokia herstellte, wurde schließlich an Flextronics verkauft. Rechtzeitig, denn wenig später kam Nokia bekanntlich in Schwierigkeiten. „Es war keine einfache Transaktion, und in meiner Karriere sicher ein wichtiger Meilenstein. Danach hätte ich in der CEAG den Alleinvorstand übernehmen können, aber aus verschiedenen Opportunitäten heraus suchte ich mir ein spannendes neues Umfeld.“
Das war 2009 die Progroup AG in Landau in der Pfalz, eine unternehmergeführte Firma in erster Generation, die mit Hightech-Anlagen produziert, die weltweit zu den Schnellsten zählen; im Kerngeschäft Wellpappenformate. Eigene Papierproduktion und eigene Dienstleistungsgesellschaften leisten Prozessoptimierung an neun Standorten in Europa. Damals stand die größte Wachstums- und Investitionsphase im Unternehmen an. Für den CFO an sich schon eine große Aufgabe. Dazu kam aber die Finanz- und Wirtschaftskrise, in der dieses gewaltige Investitionspaket zu stemmen war. „Es war phasenweise sehr zermürbend“, gesteht Gumbinger heute, „um mit Restrukturierung aus diesem Tal der hohen Verschuldung wieder herauszukommen. Dabei mussten auch die externen Investoren und das Bankenkonsortium bei Laune gehalten werden. Aber es ist mit dem CEO, der natürlich jede Schraube im Unternehmen kannte, gelungen, die Profitabilität zu steigern, sodass das Unternehmen 2015/2016 schließlich sehr gut aufgestellt war und am Markt refinanziert werden konnte.“
Nach dem Verkauf der Reifenerzeugung im Jahr 1985 wurde die Semperit AG Holding reorganisiert und auf Medizin und technische Produkte fokussiert. In der Holding sind der Sektor Medizin (Sempermed) und der Sektor Industrie (Semperflex, Sempertrans und Semperform) zusammengefasst. An 17 Produktionsstandorten sind knapp 7.000 Mitarbeiter beschäftigt. Der Gruppenumsatz lag 2017 bei 874 Millionen Euro, das EBIT 38 Millionen Euro. Die Mehrheit des Aktienkapitals liegt bei der B & C Holding. Derzeit befindet sich das Unternehmen in einem Restrukturierungs- und Transformationsprozess mit dem Ziel, die EBITDA-Marge bis Ende 2020 auf 10 % zu steigern.
Neue Herausforderungen
Ein guter Zeitpunkt für Gumbinger, sich nach neuen Herausforderungen umzusehen. Da bot sich zunächst der Minicomputer-Hersteller Kontron an. Kontron, ein weltweit führender Anbieter von Embedded-Computer-Technologie (ECT), war damals in einer Krise, und Gumbinger sollte mit Beginn 2017 die CFO-Funktion übernehmen. Allerdings stieg im Oktober 2016 der österreichische Konkurrent S&T mit 30 % bei Kontron ein und übernahm in der Folge das Unternehmen zur Gänze. Gumbinger nahm das CFO-Mandat nicht an und entschied sich stattdessen für Semperit.
„Ich bin seit Ende 2016 CFO mit einem recht breiten Portfolio an Verantwortungsbereichen. Semperit ist ein mit Potenzial gefülltes Unternehmen, in dem es aber einige Dinge aus der Historie gibt, die aufzuarbeiten sind. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass bestimmte Systeme, Controlling-Tools, das Reporting schon weiterentwickelt gewesen wären, als ich hinzukam. Aber ich kann und will nicht beurteilen, welche Herausforderungen vor etlichen Jahren bestanden. Wenn man es von den Zahlen her betrachtet, kann man schon sehen, dass Semperit für knapp 900 Millionen Umsatz doch sehr viele Produktionsstandorte hat. Wie passt das zusammen? Das ist im Einzelnen vielleicht nicht unbedingt ein direktes Profitabilitätsproblem, aber wenn man bei der Vielzahl von Produktionsstandorten etwa in eine State-of-the-Art-Technologie investieren will, ist das in Summe einfach zu viel. Wir sind bei einigen nicht unwichtigen Systemen nicht State-of-the-Art. Das betrifft nicht nur meinen Verantwortungsbereich, sondern auch übergreifende Themen. Es geht nicht nur darum, wie man quartalsweise die Ergebnisse verbessert. Es geht um nachhaltige Weiterentwicklung. Wir haben eine ganze Reihe von Punkten umgesetzt, indem wir die Finanzorganisation, und damit auch die Segmente, gestärkt haben. In jedem gibt es ein Dreigestirn aus Managing Director, Operations-Verantwortlichen und Finance-Verantwortlichen, um die Finance-Agenden vorantreiben zu können. Wir arbeiten auf Basis einer Matrixorganisation und haben das Projekt ‚Finance Transformation‘ aufgesetzt, um unser sogenanntes ‚House of Finance‘ auf Vordermann zu bringen. Es wird sicher einige Zeit dauern, jedoch man kann schon im Jahresturnus sehen, wo klare Fortschritte gemacht wurden. Aber das sind Themen, mit denen ich mich in anderen Unternehmen schon vor 15 Jahren beschäftigt habe.“ Gumbingers erste Aufgabe war die heiße Phase der Joint-Venture-Auflösung mit dem thailändischen Partner im Sektor Medizin. „Die zunehmende Transparenz der Ergebnisse hat unsere Hauptproblembereiche aufgezeigt und klargemacht, woran wir am intensivsten arbeiten müssen.“
Im Vorjahr wurde von CEO Martin Füllenbach das Programm SemperMOVE10 – 10 % EBITDA-Marge ab Ende 2020 zu erreichen – initiiert. „Ein sehr umfangreiches Projekt, mit dem wir alle Maßnahmen (mehr als 600) über die vier Segmente in einem gesamthaften Tool zusammenführen. Darüber erfolgt ein sehr enges Monitoring. Es war viel Aufwand, wir mussten auch entsprechend investieren, aber anders wäre der Restrukturierungs- und Transformationsprozess gar nicht bewältigbar. Man kann nicht über mehrere Sektoren, Segmente und Business Units 50 vollkonsolidierte Gesellschaften, 17 Produktionsstandorte, knapp 7.000 Mitarbeiter über fünf Controller mit vier Excel-Sheets managen. Da verliert man den Überblick. Dafür braucht man ein professionelles Tool, in dem jeder Verantwortliche seine Maßnahmen entsprechend pflegt.
Es ist wie eine Matrix: Auf der einen Seite die vier Segmente, auf der anderen die Funktionsbereiche Sales, Operations, Einkauf etc. Für jeden Bereich gibt es eine Vorgabe, welchen Ergebniseffekt wir uns daraus erwarten. Das ist genau heruntergebrochen und die einzelnen Verantwortlichen arbeiten mit Maßnahmen darauf hin. Die Maßnahmen haben einen Degree of Implementation, einen Reifegrad von 1 bis 6 (das ist der Höchste, der schon in der GuV als Ergebnis aufscheint). So monitoren wir das genau. Wenn wir beispielsweise in einem Bereich sehen, dass die bis Ende 2020 zu erreichenden Zielsetzungen heute schon in einem hohen Reifegrad erfüllt sind, sieht es gut aus. Sehen wir aber, dass bestimmte Maßnahmen nicht so durchschlagen, müssen wir korrigieren, einen Schritt zurückgehen, um neue Maßnahmen zu setzen und damit den Topf wieder zu füllen. Natürlich werden wir auch Überraschungen sehen, die wir nicht auf dem Radar hatten. Daher ist unser Anspruch, zu schauen, dass wir mehr Maßnahmen finden, um allenfalls genügend Gegenmaßnahmen zur Hand zu haben. Wir haben eine klare Delegation von Verantwortlichkeiten vorgenommen, denn das kann nicht nur der Vorstand tragen. Das muss von mehreren Schultern getragen werden, sonst wird es nicht funktionieren.“
Thema sind dabei auch Change Management und bessere Kommunikation. „Wir wollen möglichst viele Mitarbeiter auf die Reise mitnehmen, sie motivieren und ihnen Perspektiven geben. Da in solchen Phasen natürlich größere Unruhe im Unternehmen herrscht, ist die regelmäßige Kommunikation besonders wichtig.“
Wie würde Gumbinger seine Aufgabe mit jenen im Laufe seiner bisherigen Karriere vergleichen und einordnen? „Auf einer Skala von 1 bis 6 wäre es nicht 7, aber 5 ist es derzeit sicherlich. Doch das Schöne ist, dass ich sehr viele dieser Themen schon einmal gesehen habe, und wenn man so etwas zum zweiten oder dritten Mal umsetzt, geht man es mit einem anderen Blickwinkel, einer gewissen Erfahrung und – sehr wichtig – auch einer gewissen Ruhe an. Hektik und Aktionismus sind manchmal erforderlich, aber man sollte es sich sehr gut überlegen, ob das wirklich notwendig ist. Finance Transformation und SemperMOVE10 sind langfristige Programme, bei denen wir auch immer wieder kurzfristige Erfolge brauchen. Aber insgesamt geht das nicht von heute auf morgen, daher braucht es Stringenz und eine ruhige Hand.“
Frank Gumbinger ist verheiratet und lebt mit seiner Familie in Wien. In der Stadt fühlt er sich wohl, auch wenn er bisher wenig Zeit hatte, sie wirklich näher kennenzulernen. Zwei bis drei Sporteinheiten wöchentlich führen ihn eher in den nahen Wienerwald. Wenn dann noch Zeit bleibt, ist er auch als Privatpilot von Wiener Neustadt aus über Österreich unterwegs. „Das alles macht den Kopf frei und man reflektiert die Dinge dann doch noch etwas anders. Als CFO kann man sich erst richtig wohl fühlen, wenn man sieht, dass die Zahlen gesamthaft in einem Korsett sind, das passt. Da sind wir noch nicht, aber wir sind auf dem Weg dorthin.“ Gumbinger wirkt dabei jedenfalls ruhig und zuversichtlich.
Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 6/2018) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at
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