Interview: „Wir müssen die analytisch starken jungen Leute für das Controlling gewinnen!“

Prof. Dr. Utz Schäffer ist Direktor des Instituts für Management und Controlling (IMC) der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar. Im Interview spricht er über die Zukunftsthemen in der Finanzorganisation und die notwendige Kompetenzentwicklung im Controlling.


CFOaktuell: Prof. Schäffer, wir haben das letzte Mal im Jahr 2017 gesprochen; auch damals über Ihre WHU-Zukunftsstudie. Wie haben sich denn die Prioritäten der Controller in den letzten vier Jahren verändert laut den Ergebnissen in Ihrer Studie?

Utz Schäffer: Kurz zusammengefasst: relativ wenig. Die Veränderungen in den Top-Themen der Zukunftsstudie sind überschaubar. Digitalisierungsbezogene Themen dominieren weiterhin. Informationssysteme, Data-Management, Effizienz und digitale Kompetenzen, diese vier bilden unverändert die Spitzengruppe. Die Reihenfolge hat sich ein bisschen verschoben, aber im Kern sind digitalisierungsbezogene Themen weiter dominant.

CFOaktuell: Das COVID-19-Thema hält die Welt ja bereits seit über einem Jahr im Klammergriff. Bei den Controllern hat man den Eindruck, dass sich weder die Zukunftsthemen noch der Workload verändert haben. Wie stehen denn aus Ihrer Sicht die Controller in diesem Krisenmodus da?

Schäffer: Aus einer kurz­fristigen Perspektive stehen die Controller super da. In der Krise können sie glänzen. All ihre Themen, wie etwa Kostenmanagement und Liquiditäts­sicherung, sind gefragter denn je. Time to shine für die Controller. Ich habe das in einem anderen Kontext so formuliert: „Wer es in dieser Krise nicht schafft, als Business Partner auf Augenhöhe ernstgenommen zu werden, der schafft es nie.“

Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Daneben gibt es noch eine zweite Perspektive: die lang­fristige. Dahinter steht die grundlegende Transformation der Finanzfunktion, die wegen der Krise nicht aufhört. Ganz im Gegenteil, die Krise beschleunigt die Digitalisierung und die damit verbundene Transformation. Herausforderungen wie Agilität, Nachhaltigkeit und Resilienz kommen dazu. Ich glaube, zunehmend reift die Einsicht, dass es im Controlling wirklich eine ganz grundlegende Veränderung braucht. Und daraus ergeben sich natürlich auch Chancen, gar keine Frage, aber auch nur, wenn wir uns als Community wirklich auf den Weg machen.

CFOaktuell: Ganz oben bei den Top-Themen stehen Datenmanagement und Informationssysteme, beide Themen hängen mehr oder weniger zusammen. Was muss das Controlling aus Ihrer Sicht machen, um sich hier in einer Lead-Funktion zu positionieren? Was würden Sie Controllern empfehlen? Ist es sinnvoll, dass die Controller die Hoheit über die Daten haben, also die Single Source of Truth im Unternehmen sind?

Schäffer: Single Source of Truth zu sein, ist der traditionelle Anspruch jedes guten Controllers. Und genau hier stehen wir heute vor einer großen Herausforderung:

Wer ist denn der Gatekeeper zu nichtfinanziellen Daten? Der Controller ist traditionell der Gatekeeper für finanzielle Daten, bei nichtfinanziellen Daten. Da kommen auch andere Player ins Spiel: etwa Marketing oder Supply-Chain. Das ist nichts Neues, aber der Konflikt wird jetzt spannender. Warum? Weil zum einen die Verbindung von finanziellen und nichtfinanziellen Daten zunehmend zum Thema geworden ist und zum anderen, weil wir verstärkt über die Analyse großer Mengen an nichtfinanziellen Daten reden. Und da muss sich das Controlling positionieren.

Controller müssen tief genug im Themenfeld Analytics drin sein, sonst gehen die guten und spannenden Fragen schnell an diejenigen, die mehr Expertise haben.

Wer weiter Single Source of Truth sein will, muss die Herausforderung der Verbindung von finanziellen und nichtfinanziellen Daten annehmen und seine Kompetenz in der Analyse großer Datenmengen weiterentwickeln.

CFOaktuell: Da fehlt dann vielleicht noch die digitale Kompetenz der Controller? Das ist ja auch bei den Zukunftsthemen auf Platz 3. Was bedeutet digitale Kompetenz für Controller und vor allem, wie kommen die Controller an diese digitale Expertise?

Schäffer: Ja, das sind ganz zentrale Fragen. Wir haben 2019 eine Delphi-Studie zum Thema zukünftige Rollen und Kompetenzen der Controller gemacht, die sich genau diesem Thema widmet.

Aber vielleicht noch ein Punkt vorneweg: Unsere Zukunftsstudie hat auch gezeigt, dass es in den meisten Unternehmen noch immer keine klare Strategie für den Ausbau digitaler Kompetenzen gibt. Nur 22 % der Befragten haben berichtet, dass es in ihrer Organisation eine klare Strategie für den digitalen Kompetenzaufbau gibt. Dieser Wert hat sich seit der letzten Zukunftsstudie in 2017 auch kaum verändert. Da herrscht massiv Handlungsbedarf. Von daher kann man die Dringlichkeit nicht genug betonen.

Nun zur Frage, was sind digitale Kompetenzen? Im engeren Sinne sind das natürlich Kompetenzen im Bereich Technologie und Analyse. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass noch weitere Kompetenzfelder dazu kommen müssen: etwa im Bereich des Managements. Denken Sie nur an Projekt- und Change-Management, insbesondere auch agile Techniken. Daneben die Fähigkeit, das Business wirklich zu verstehen und ein profundes Geschäftsverständnis. Wenn ich Daten auswerte, aber dabei das Geschäft nicht verstehe, habe ich ein Problem. Und noch etwas ist von zentraler Bedeutung: kommunikative und soziale Fähigkeiten, letztlich auch persönliche Eigenschaften wie Ambiguitätstoleranz und Durchhalte­vermögen. Ein weites Feld …

Prof. Dr. Utz Schäffer

ist ein deutscher Ökonom und Inhaber des Lehrstuhls für Controlling und Unternehmens­steuerung sowie Direktor des Instituts für Management und Controlling der WHU – Otto Beisheim School of Management, Vallendar, Deutschland. Unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Dr. Marko Reimer, Prof. Dr. Utz Schäffer und Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber bündelt das Institut für Management und Controlling (IMC) die zahlreichen Forschungs-, Lehr-, und Praxisaktivitäten der beteiligten Hochschullehrer, Mitarbeiter und Doktoranden, etwa das WHU Controller Panel und die WHU Zukunftsstudie.



CFOaktuell: Wie schätzen Sie die Rolle des Controllers ein? Wie fest ist er als Business Partner heute, 2021, in den Unternehmen verankert?

Schäffer: Ich glaube, was verankert ist, ist die Rhetorik. Aber die Umsetzung lässt in vielen Fällen doch noch zu wünschen übrig. Oft muss man einfach eine gewisse Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit konstatieren. Das ist natürlich nach zwanzig, dreißig Jahren Business-Partner-Rhetorik ein bisschen frustrierend, vor allem, weil das Thema dringlicher ist als je zuvor. Der Anspruch des Business Partnering ist im Kontext des Wegfalls der Routineaufgaben und der Automatisierung von Prozessen keine Kür mehr, sondern Pflicht.

In Großunternehmen kommt die Automatisierung langsam in Gang, das wird sich perspektivisch dann in den Mittelstand, in kleinere Unternehmen kaskadieren. Sprich die nächsten fünf bis zehn Jahre wird das, worüber wir lange geredet haben, wirklich auch großflächig passieren. Routinetätigkeiten verschwinden und werden zentralisiert, standardisiert und vor allem auch automatisiert. Wenn es dann die Rolle des Business Partners auf Augenhöhe, der genug von Analytics versteht und gemeinsam mit dem Management Probleme löst, nicht gibt, hat das Controlling ein Problem. Dann wird diese Profession an Bedeutung verlieren und am Ende verschwinden. Aber wir müssen der Wirklichkeit ins Auge schauen. Die gute Nachricht: wir können jetzt gegen­steuern!

CFOaktuell: Risikomanagement ist ein bisschen mehr in den Fokus gerückt aufgrund der globalen Pandemie. Damit hat das Risikomanagement auch einen Aufschwung im Unternehmen und ist mehr im Fokus des Managements. Wie sehen Sie die Rolle des Controllings, um das noch breiter zu implementieren? Haben Sie Empfehlungen dafür?

Schäffer: Im ersten Schritt denke ich, ist es nicht nur eine Frage des breiteren Implementierens, sondern auch des richtigen Blicks auf das Thema. Risikomanagement muss ausdifferenziert sein, ich muss unterschiedliche Risikotypen auch unterschiedlich angehen. In der Praxis wird das Risikomanagement viel zu oft von Compliance-Fragen und der Quantifizierung und dem Reporting bekannter operativer Risiken dominiert. Das ist auch alles wichtig. Häufig werden wir damit aber zwei wichtigen Risiko­arten nicht gerecht:

Zum einen sind das strategische Geschäftsrisiken, also Risiken, die ich eingehen möchte, die Teil des Geschäftsmodells sind und die ich gar nicht vermeiden kann. Hier sind Compliance und Regeleinhaltung ein schlechter Weg. Es braucht einen Risikodialog des Managements und eine Risikokultur. Vor allem: das Management muss definitiv in den Fahrersitz, in die erste Verteidigungslinie, wenn Sie so wollen, und Controller und Risikomanager unterstützen es dabei.

Zum anderen müssen wir uns mehr mit externen, unkontrollierbaren Risiken befassen. Werde ich dem Risiko einer Pandemie mit Internal Audit und Compliance gerecht? Nein, nicht wirklich. Da muss ich ganz anders rangehen und etwa über Business Continuity Management und Krisenreaktionsteams nachdenken. Breiter gefasst: Ich muss die Organisation auf den Fall des Falles vorbereiten, auch auf das, was ich gar nicht antizipieren kann. Hier kommt dann Agilität ins Spiel, aber auch die Frage nach dem rechten Maß an „Slack“: wieviel Reserven brauche ich und wo? Wieviel Redundanz muss in meinen Systemen und Prozessen stecken? Das sind Frage­stellungen, bei denen sich Controller mit ihrem starken Fokus auf Effizienz nicht immer leicht tun.

Sie sehen: diese drei Risikotpyen sind ganz unterschiedlich gestrickt und müssen unterschiedlich adressiert werden. Als Unternehmen muss ich mir daher genau überlegen, wer wofür zuständig ist und was wie viel Aufmerksamkeit bekommt. Gerade im Bereich der Geschäftsrisiken und der Vorbereitung des Unternehmens auf externe Schocks könnten Controller eine zentrale Rolle einnehmen!

CFOaktuell: Kommen wir zum Thema Role Making. Das ist die zentrale Empfehlung in den Ergebnissen Ihrer Studie. Wie schaut der Controller der Zukunft aus, wenn er sein Rollenbild selbst gestaltet?

Schäffer: Ich bleibe hier bei meiner Aussage von vor drei Jahren: Wenn die Controller es nicht selbst in die Hand nehmen, wenn sie dieses Role Making nicht machen, dann wird es sie in zehn bis zwanzig Jahren nur noch in sehr homöopathischen Dosen geben.

Die Herausforderungen sind groß. Auch für den einzelnen Controller. Daher macht es Sinn, über eine stärkere Ausdifferenzierung der Controller-Rollen nachzudenken.

Ausdifferenzierung heißt nicht, dass ich jetzt plötzlich zehn verschiedene Leute mit zehn verschiedenen Titeln oder Jobbezeichnungen im Unternehmen benötige, sondern dass ich mir bewusster mache, was die verschiedenen Rollenbausteine des Controllers sind und in welchem Umfang ich die in Zukunft brauche. Wir haben das in der WHU-Delphi-Studie konzeptionell erarbeitet und in den letzten Jahren haben sich nun einige Unternehmen auf den Weg gemacht und die Ausdifferenzierung ihrer Rollenlandschaft in Angriff genommen. Ein konkretes Beispiel ist die Robert Bosch GmbH, die im April mit ihrem Umsetzungskonzept den ICV Controlling Excellence Award gewonnen hat.

Die Quintessenz ist hier, dass es keine eierlegende Wollmilchsau gibt und ein einzelner Controller nicht alles können kann und nicht alles können muss. Daher gilt es, stärker in verschiedenen Rollen zu denken und rollenspezifische Kompetenzprofile zu entwickeln. Gerade auch weil sich die Anforderungen über die Zeit verändern. Der digitale Business Partner der Zukunft hat nicht das gleiche Kompetenzprofil wie ein Business Partner vor zehn Jahren.

CFOaktuell: Nächste Zukunftsstudie: Was würden Sie sich wünschen, wie der Controller dasteht oder wie er seine Rolle von heute auf dann verändert hat?

Schäffer: Die nächste Studie ist ja schon in zwei Jahren. Da wird sich wenig verändert haben. Wir sprechen hier über einen Marathon, eine ganz grundlegende Transformation, das geht nicht von heute auf morgen. Was ich mir wünschen würde – um im Bild des Marathons zu bleiben – ist ein von uns allen geteiltes Verständnis dafür, dass wir auf dem langen und steinigen Weg nach Athen sind. Und dass alle in der Community diese Herausforderung als eine Chance verstehen.

Ich wünsche mir ein tieferes, stärkeres Bewusstsein dafür, wo die Herausforderungen liegen, wie intensiv die Herausforderung ist und natürlich – ich bleibe weiterhin im Bild – dass wir dann auch wirklich loslaufen.

Wenn wir es richtig angehen, hat das Controlling eine blühende Zukunft. Rationalitäts­sicherung ist wichtiger denn je! Wir müssen uns aber weiter entwickeln, um dem veränderten Umfeld gerecht zu werden. Dazu müssen wir uns auch weiter öffnen. Wir müssen als Community jünger, weiblicher und auch im Hinblick auf sexuelle Diversität offener werden. Wir müssen die Tore für alle Analysten und Data Scientists aufmachen, die sich in Richtung Controlling und Management weiter entwickeln wollen. Ich denke hier auch an meine Studierenden: die finden Analytics und Data Science spannend, finden diese Inhalte im Curriculum aber eher in anderen Bereichen, nicht zuletzt im Marketing und im Supply-Chain-Bereich. Warum eigentlich? Wir müssen die smarten und analytisch starken jungen Leute auch in Zukunft für das Controlling gewinnen. In Hochschulen, aber auch in den Unternehmen. Ohne Öffnung, ohne Veränderung wird das nicht funktionieren.


Der Beitrag erschien zunächst in CFOaktuell (Heft 3/2021). Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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