„Es muss eine Digital Readiness vorhanden sein“
Jörg Hönemann, CFO von Bahlsen, über die Digitalisierung als Realität. Das Gespräch führte MMag. Sarah Blaimschein.
CFOaktuell: Bahlsen ist eines der traditionsreichsten Unternehmen Deutschlands und vermutlich jedem Kind ein Begriff. Welche Strategie verfolgt Bahlsen in Bezug auf die Digitalisierung und wie schafft das Familienunternehmen diesen Spagat?
Jörg Hönemann: Ich sehe hier keinen Widerspruch und denke, dass auch ein traditionsreiches Familienunternehmen die Chancen der Digitalisierung für sich nutzen sollte, und das tun wir auch. Bahlsen ist in unserem traditionellen Kerngeschäft Bake & Sweet Snacking klarerweise nicht das junge, moderne Start-up, das mit einem digitalen Geschäftsmodell aufwartet, aber wir arbeiten intensiv daran, die Chancen der Digitalisierung für uns zu nutzen.
Wie gehen wir dabei voran? Wir haben uns im Laufe der letzten Monate im Rahmen eines sehr strukturierten Ansatzes überlegt, wie wir uns die Potenziale der Digitalisierung erschließen können. Es gibt in allen Funktionsbereichen Initiativen und erste Erfolge sowie konkrete Anwendungen, weshalb wir ein sogenanntes Digital Readiness Assessment durchgeführt haben. Faktisch war das eine online-basierte Befragung, bei der die Mitarbeiter eine Einschätzung zum Reifegrad mit Blick auf die Digitalisierung in ihrem und anderen Funktionsbereichen geben konnten. Auf diesem Weg erhielten wir eine Transparenz, die wir davor nicht hatten. Ausgehend vom Digital Readiness Assessment haben wir festgelegt, in welchen Bereichen die großen Pain Points für uns liegen. Dann galt es zu überlegen, ob wir diese Pain Points mittels moderner Technologien – für mich ist Digitalisierung nichts anderes als der Oberbegriff für eine Vielzahl neuer Technologien – adressieren können.
Digitalisierung spielt für uns aktuell in erster Linie im Bereich der Optimierung des bestehenden Kerngeschäfts bzw der Kerngeschäftsprozesse eine Rolle. In zweiter Linie geht es um „extending the core“, also neue Formen der Interaktion mit dem Kunden und Konsumenten. In dritter Linie geht es schließlich darum, digitale Geschäftsmodelle aufzubauen. Unser Fokus liegt jetzt in der Optimierung des Kerngeschäfts. Wir schauen, wo wir neue Technologien anwenden können, um Dinge zu automatisieren, Datensätze zu nutzen, bessere Insights zu bekommen bzw Entscheidungen zu fällen. Danach werden wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Horizonte 2 und 3 umsetzen können – wobei Horizont 2, die Kundenschnittstelle, also alles, was das Marketing angeht, schon heute sehr digital aufgesetzt ist. Hier sind wir schon einen Schritt weiter als in anderen Bereichen.
Zusammengefasst: Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen und sehen keinen Widerspruch zwischen Traditionsreichtum und Modernität.
CFO aktuell: Mit TET Ventures geht Bahlsen neue Wege abseits des Kerngeschäfts und gründet oder kauft junge Start-ups, die auf neue Geschäftsmodelle setzen. Welche bekannten Beispiele gibt es dazu bereits?
Jörg Hönemann: Bei TET Ventures haben wir bisher drei Beteiligungen. Das erste Unternehmen, das wir akquiriert haben, war Rawbite, ein dänisches Unternehmen, das organische Food & Nut Riegel herstellt. Das ist eine gute Ergänzung zu unserem Kerngeschäft. Hier können wir unser Produktportfolio um den Bereich Healthy Snacking erweitern.
Das zweite Unternehmen war das Hermann‘s aus Berlin, gegründet von Verena Bahlsen, der Tochter Werner M. Bahlsens. Das Hermann‘s beschäftigt sich mit Food-Trends der Zukunft. Es ist Restaurant und Versuchsküche und fungiert als Plattform, auf der Start-ups und etablierte Unternehmen zueinanderfinden, sich über die Trends der Zukunft austauschen und vielleicht zusammen Arbeitsmodelle finden. Hier geht es uns darum, bei neuen Food-Trends – auch jenseits von Bake & Sweet Snacking – nah dran zu sein. Diese Kompetenz und Vernetzung im Food-Start-up Eco-System bieten wir seit diesem Jahr auch als externe Consulting-Leistung an.
KITCHENTOWN ist das jüngste Mitglied der TET-Ventures-Familie, dessen Eröffnung diesen Sommer auch in Berlin erfolgt. KITCHENTOWN ist eine Mischung aus einer industriell ausgestatteten Küche und Bäckerei, die man tage-, wochen- oder monatsweise anmieten kann. Damit füllen wir eine Lücke für Start-ups, die aus der mütterlichen Küche herausgehen, aber noch nicht groß genug für eine eigene industrielle Produktion sind. Sie können bei uns Geräte und Produktionskapazitäten anmieten und dann im kleinen Rahmen, inklusive Verpackung, produzieren. Wir wollen genau diese Lücke zwischen heimischer Küche und industrieller Produktion schließen. So schaffen wir es auch, im Dialog mit Gründern und nah an den Trends rund um moderne, gesunde Lebensmittel zu sein. Darüber hinaus planen wir den Gründern nicht nur unsere Infrastruktur, sondern auch ein Beteiligungsmodell anzubieten. Damit wollen wir sie bereits in der (Pre-)Seed-Phase mit unserem Know-how rund um die Lebensmittelherstellung und den Vertrieb und auch finanziell unterstützen.
CFOaktuell: Sie sind nun seit einem knappen Jahr als CFO bei Bahlsen für die Bereiche Finance & Taxation, Controlling, IT, Digital & Analytics Transformation, Corporate Development & Sustainability sowie Legal und Compliance verantwortlich. Was hat sich in dieser Zeit getan? Was waren Ihre Highlights in dieser Funktion?
Jörg Hönemann: Ich habe zuerst drei Monate ein Onboarding durchlaufen, um das Unternehmen und die Branche näher kennen gelernt, weil ich ja Branchenneuling war und nicht aus der Fast-Moving-Consumer-Goods-Branche kam. Parallel machte ich finanzielle Analysen zum Unternehmen, betrachtete alle Stärken und Schwächen näher. Darauf aufbauend erstellte ich eine 100-Tage-Präsentation: Was habe ich alles gehört? Was habe ich alles analysiert? Was ist die Erkenntnis daraus, um mit den Kollegen eine Shared Reality über das Unternehmen teilen zu können? Wie ist der Status des Geschäfts? Wie sieht die Realität aus?
Wir waren uns zum Glück alle einig, dass meine Sicht auch die geteilte Sicht ist und haben daraus Handlungspakete abgeleitet. Wie können wir besser werden? Wie können wir unseren Zielen noch näher kommen? So haben wir unsere Bahlsen-2025-Now!-Strategie erarbeitet. Es war für mich ein Highlight, wie man in drei Monaten Analyse, Gespräche, Zuhören und in drei weiteren Monaten eine solche Strategie inklusive Handlungsfeldern mit den Kollegen der Geschäftsleitung und den Führungskräften des Unternehmens erarbeiten kann. Aktuell arbeiten wir das weiter aus und setzen es nach und nach um. Es ist großartig, wie schnell man bei Bahlsen Dinge verändern kann – und wie hoch Veränderungsbereitschaft sowie Kompetenz der Kollegen sind. Diese besondere Bahlsen-Kultur mit offenem, wertschätzendem und respektvollem Umgang macht sehr viel Spaß. Mut und Neugier tragen dazu bei, dass wir solche Veränderungen schnell umsetzen können. Ich glaube, dass es ohne diese Unternehmenskultur nicht möglich wäre, alles so schnell hinzubekommen.
CFOaktuell: Die Digitalisierung ist kein Trend, sondern Realität. Was sind Ihrer Meinung nach die drei wesentlichen Trends, die auf der CFO-Agenda stehen müssen?
Jörg Hönemann: Ich möchte, dass wir als Finance den anderen Funktionen faktenbasiert echte und handlungsleitende Empfehlungen geben. Datenbasierte Insights für ein richtig gutes Geschäftsverständnis und Empfehlungen, wie wir unser Geschäft weiterentwickeln können, sollten das Ziel sein, sodass die Gesamtperformance des Unternehmens vorangetrieben wird. Dazu gehört, dass wir Kompetenzen in den Bereich Analytics und Big Data aufbauen. Zudem müssen wir uns jetzt – mit Blick auf unsere Next-Generation-ERP-Landschaft – in besonderer Weise mit den Konzepten und Systemen beschäftigen. Wenn wir den Trends nachgehen, stellt sich natürlich die Frage, was am Markt passiert: Mit dem Akronym VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) ist die hohe Veränderungsgeschwindigkeit in unserer Gesellschaft und Branche vielfach beschrieben. Wir wollen uns darauf einstellen, dass wir flexibler, agiler sein müssen, um auf Veränderungen schneller reagieren zu können.
CFOaktuell: Wie soll sich die CFO-Organisation verändern, um mit den Entwicklungen der Digitalisierung Schritt halten zu können?
Jörg Hönemann: Zu Beginn muss eine Digital Readiness, eine Art eigener digitaler Reifegrad, vorhanden sein – idealerweise in der ganzen Mannschaft. Das heißt, ich muss wissen, welche neuen technischen Möglichkeiten es gibt und welche ich in meinem Verantwortungsbereich gewinnbringend zum Einsatz bringen kann, um durch neue Technologien Prozesse zu automatisieren, Kommunikation zu verbessern und bessere Insights zu erlangen. Ich muss nicht alles selbst können, aber ich brauche Beurteilungskompetenz, um entscheiden zu können, welche Maßnahmen überhaupt Sinn machen. Wenn ich darüber hinaus neue Geschäftsmodelle berechne, die jenseits meines Kerngeschäfts sind, habe ich auch neue Risiken und KPIs. Hier muss die CFO-Organisation ihr Reporting, ihre Analyseschwerpunkte ändern, diese Geschäftsmodelle ganz genau verstehen, um dann entsprechende Steuerungsimpulse setzen zu können.
Und wenn man über die Digitalisierung nachdenkt: Es gibt so viele Möglichkeiten, zu investieren, dass man entscheiden muss, was für die Organisation die beste Option für den besten Return on Investment ist. Als CFO kann ich ohnehin nicht alles gleichzeitig machen, weder aus finanziellen noch aus personellen Ressourcen heraus. Deshalb war es mir auch so wichtig, dass es eine Roadmap gibt und wir Priorisierungen haben. Ich muss festlegen, was für mich den größten Nutzen schafft und somit alle wesentlichen Alternativen bewertet haben.
CFOaktuell: Digitalisierung bedeutet in der CFO-Organisation vor allem, dass Prozesse – im Sinne einer Prozessautomatisierung – radikal verändert werden. Zusätzlich kommt es oft zu einer Automatisierung von Entscheidungsunterstützungen, etwa im Bereich Advanced Analytics. Welche Beispiele gibt es dazu bei Bahlsen?
Jörg Hönemann: Das Thema Advanced Analytics ist bei uns sehr wichtig. Ich habe zu Beginn meiner Tätigkeit einen Doktor der Mathematik eingestellt, der diese analytischen Kompetenzen ins Haus brachte.
Es hat bei Bahlsen jedoch auch schon vorher erste Ansätze dazu gegeben. Ein kleines Team versuchte herauszufinden, wie gut die Sales Prediction, also die Vorhersage des Absatzes bei einem Standardartikel für ausgewählte Kunden ist, wenn man sie nicht manuell, sondern über Analytik-Methoden macht. In diesem Proof of Concept stellte sich heraus, dass ein Computer das mindestens so gut kann wie wir manuell. Da es geglückt ist, den Absatz für einen Artikel in einer Business Unit besser vorherzusagen, haben wir uns gesagt, dass das auch für andere Artikel gehen muss. Wir werden das weiter erproben, automatisieren und kriegen dann Konfidenzintervalle, um innerhalb einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussagen zu können, wie hoch unser Absatz (in einer Range) sein wird.
In der Produktion versuchen wir, Analytics in den Bereichen Predictive Maintenance oder Ausschuss zum Einsatz zu bringen. Das sind die Handlungsfelder, die wir aktuell abarbeiten.
CFOaktuell: Setzen Sie auf SAP S/4HANA? Falls ja: Wie haben Sie bei Bahlsen das Projekt aufgesetzt und welche Strategie verfolgen Sie bzw wie bereitet sich die CFO-Organisation darauf vor?
Jörg Hönemann: Wir haben SAP S/4HANA noch nicht implementiert, aber wir haben im Kern SAP im Einsatz. Wir planen in den nächsten Wochen eine Next Generation ERP Pre-Study. Das machen wir in einem ganzheitlichen Ansatz mit B.digital, wobei B für Bahlsen steht. Dies umfasst den Einsatz neuer Technologien, und Next ERP bezieht sich dann nur auf die SAP-Landschaft. Mit dieser Vorstudie wollen wir abschätzen, wie wir die Prozesse den neuen Gegebenheiten anpassen können. Dabei hinterfragen wir SAP sehr bewusst. Es ist schon wahrscheinlich, dass wir in unseren Kernprozessen SAP auch in Zukunft zum Einsatz bringen, aber je weiter wir in wettbewerbsdifferenzierte und innovationsgetriebene Bereiche vordringen, desto wahrscheinlicher erscheint es, dass wir hie und da auch andere sinnvolle Alternativen finden. Genau darüber soll die Pre-Study Transparenz schaffen.
Wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit im Kern auf SAP S/4HANA umsteigen, aber es ist jetzt zu früh, das so zu sagen. Dazu machen wir nämlich die Next Generation Pre-Study. Im Sommer wissen wir dann mehr und welches Tool für uns am geeignetsten ist bzw wie wir es dann implementieren.
CFOaktuell: Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Rolle von Controlling und Finance durch die digitale Transformation ändern? Werden sich auch die Kompetenzen in der Finanzfunktion verändern? Haben Sie dazu bei Bahlsen ein Zielbild erstellt?
Jörg Hönemann: Wir haben in den letzten Monaten eine Finance Strategic Ladder erstellt. Wir haben uns überlegt, wie die CFO-Funktion im Jahr 2025 aussehen soll und welche Anforderungen wir erfüllen müssen. Da stellt sich grundlegend die Frage, welche Aufgaben ein Controller eigentlich zu erfüllen hat. Ich denke, er muss ein gesamtunternehmerisches Prozessdenken haben und cross-functional arbeiten können. Er muss internationale Kompetenz und Auslandserfahrung haben sowie vor allem nicht nur monatliche Standardreports abliefern, sondern gewohnt sein, projektorientiert zu arbeiten und die Finanzperspektive auf allen Ebenen des Unternehmens einzubringen – also in Return on Investment, in Szenarien, in Interdisziplinaritäten denken und darin dann mit modernen Reporting Tools arbeiten. Eine weitere wichtige Anforderung wäre für mich auch das Storytelling, dass man also in der Lage ist, Finanzen, Zahlen und Tabellen in eine Geschichte zu kleiden, die die Zahlen so erzählt, dass auch ein Nicht-Finanzer sie versteht.
CFOaktuell: Immer wieder wird vom Chief Future Officer gesprochen. Wie schätzen Sie das Bild des CFOs ein? Glauben Sie, dass das ein gutes Zielbild ist?
Jörg Hönemann: Als ich diese Bezeichnung zum ersten Mal gelesen habe, hat sie mir sehr gut gefallen – in dem Sinne, dass ein moderner CFO die Performance und Fortentwicklung des Unternehmens treiben muss. In meinen Verantwortungsbereich fällt auch der Bereich Corporate Development, insofern passt es ganz gut, dass das jetzt in einer Hand liegt. Ich denke, der CFO gestaltet gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Geschäftsleitung die Zukunft des Unternehmens ganz maßgeblich mit. Deshalb empfinde ich den Titel als gelungen, und er spricht mich auch persönlich an.
CFOaktuell: Wie muss das Unternehmen Bahlsen in zehn Jahren aussehen, damit Sie sagen können: Mission accomplished?
Jörg Hönemann: Ich würde mich freuen, wenn das Unternehmen Bahlsen auch für die nächste Generation zukunftsfähig aufgestellt ist. Zukunftsfähig heißt – mit Blick auf die Food-Trends und die Konsumentenzentrierung –, dass wir auch als Global Player international gut aufgestellt sind.
Das Familienunternehmen Bahlsen ist der erfolgreichste deutsche Gebäckhersteller und zählt zu den bekanntesten und beliebtesten Unternehmen in Deutschland. Über 90 % der deutschen Bevölkerung kennen und schätzen das Unternehmen, das mit seinen Marken BAHLSEN und LEIBNIZ in Deutschland Marktführer und auch europaweit einer der wirtschaftlich stärksten Anbieter ist.
Mit nicht mehr als zehn Mitarbeitern startete der visionäre Geschäftsmann Hermann Bahlsen 1889 die Hannoversche Cakesfabrik H. Bahlsen. Heute, über 125 Jahre später, ist das Unternehmen mit seinen Keksen, Waffeln, Riegeln und Kuchen international präsent und beschäftigt weltweit rund 2.880 Angestellte, die im Jahr 2018 einen Umsatz von 545 Mio € erwirtschafteten.
Jörg Hönemann (geboren 1970) kam im August 2018 als Mitglied des Management Boards zu Bahlsen. In seiner Funktion als CFO ist er verantwortlich für die Bereiche Corporate Finance & Taxation, Corporate Information Management, Corporate Controlling, Corporate IT, Analytics & Digital Transformation, Corporate Development & Sustainability, Legal und Compliance. Hönemann war zuvor Managing Partner bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Der zweifache Vater leitete dort das Automotive- und Transportation-Team für die DACH-Region. Er ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Certified Public Accountant.
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