E-Mail from Bosten: Farewell or Goodbye?

Dr. Brigitte W. Mühlmann ist Professorin am Babson College in Babson Park, Massachusetts, USA. Sie meldet sich regelmäßig mit ihrer „E-Mail from Bosten“ und berichtet über aktuelle Geschehnisse. Dabei gelingt es ihr immer auch einen Blick über den US-amerikanischen Tellerrand zu werfen. In dieser E-Mail geht es nicht nur um die vorherrschende Pandemie in Amerika,  sondern auch um die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Massachusetts.


Liebe Leserinnen und Leser,

in den USA herrschen derzeit zwei Pandemien: Die globale COVID-19 Pandemie, wie auch in vielen anderen Ländern rund um die Welt, und eine USA-eigene Rassismus-Pandemie, die vor ein paar Wochen in Boston gegen Ende einer friedlichen Demonstration in Vandalismus und Plünderungen von Geschäften ausartete. Seither ersetzen raue Spanplatten kunstvoll gestaltete Schaufenster. So manches Geschäft hat reduzierte Öffnungszeiten oder ist gar gesperrt. Auch mehrere Hotels sind geschlossen. Das Fairmont Copley Plaza hat angeschrieben, dass die Schließung vorübergehend ist und es sich hierbei um ein „farewell“ handelt, nicht um ein „goodbye“. Für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt ist das schlimm. Die gesamte Anzahl der Arbeitsplätze in Massachusetts ist laut dem U.S. Bureau of Labor Statistics von 3,7 Millionen im März 2020 auf 2,9 Millionen im April gesunken.

Die Federal Reserve Bank of Boston hat am 1. Juli 2020 einen Bericht über die Entwicklung der lokalen Wirtschaft veröffentlicht: Die Lohnbeschäftigung ging in Massachusetts von Mai 2019 bis Mai 2020 um 16,4 % zurück. Die Arbeitslosenrate stieg von 2,8 % im März 2020 auf 16,3 % im Mai. Im Bezirk von New Bedford kletterte die Arbeitslosigkeit im April sogar auf 23,7 %. Besonders hart waren die Freizeit- und Gastgewerbebranchen mit einem Rückgang von 59,9 % betroffen. Im Supersektor für Information, Fertigung sowie professionelle und geschäftliche Dienst­leistungen waren die Verluste in Massachusetts gering. Weniger Rückgang als im Rest des Landes erlitt mit 1,1 % auch der Finanz­dienstleistungssektor.

So hart wie heuer war die Wirtschaft von Massachusetts schon lange nicht getroffen, obwohl es im Staat nicht immer rosig ausgesehen hat. In einer ebenfalls schwierigen Phase befand sich Massachusetts vor 50 Jahren. Damals beschäftigte das Department of Commerce and Development einen jungen Wirtschaftswissenschaftsprofessor von der Bentley University im Werkvertrag, der, mit Unterstützung von zwei Mitarbeitern erstmals eine Einschätzung der Wirtschaft von Massachusetts mit Vorschlägen für eine Strategie erstellte, durch die der Staat wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte zu beeinflussen suchte, um seiner Wohnbevölkerung sowohl einen Arbeitsplatz als auch einen Lebensraum zu bieten. Fünf wesentliche Symptome der in Schwierigkeit geratenen Wirtschaft zeigte der Autor des Berichts auf. Diese waren (1) eine hohe Arbeitslosenrate, (2) eine hohe Anzahl an Sozialhilfeempfängern, (3) ein drastischer Rückgang an Produktionsarbeitsplätzen, (4) ein allgemeiner Rückgang der Beschäftigungsmöglichkeiten und (5) eine hohe Wissenschafterarbeitslosigkeit.

Damals wie heute war die Arbeitslosenrate in Massachusetts in kurzer Zeit von unter dem Durchschnitt auf weit darüber angestiegen. Auch die Anzahl der Sozialhilfeempfänger schoss in die Höhe. Da die Arbeitgeber in einem Staat in einen Treuhand­fonds einzahlen, aus dem das Arbeitslosengeld landesweit nach derselben Formel ausgezahlt wird, ist eine hohe Arbeitslosigkeit aufgrund der Unterstützungs­kosten durch die produktiven Arbeitskräfte ein Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Staaten. Eine hohe Anzahl an Empfängern von Sozialhilfe, ebenfalls ein Anzeichen unzureichender Beschäftigungsmöglichkeiten, ist daher ein soziales Problem im Staat, obwohl das ausgezahlte Geld von der Bundesregierung und nicht auf Staatsebene finanziert wird.

Bei den Produktionsarbeitsplätzen hat sich in Massachusetts seit 1970 viel verändert. Damals gingen in drei Jahren rund 130.000 von etwa 700.000 Arbeitsplätzen in der Fertigung verloren, die nicht in anderen Branchen aufgewogen wurden. Wie heute war erfreulich, dass die Umwelt umgehend weniger verschmutzt wurde. Allerdings sank damit die Lohnsumme um etwa eine Milliarde US-Dollar und daher auch die damit verbundene Wertschöpfung. Nun hat Massachusetts nur noch etwa 240.000 Arbeitsplätze in der Produktion. Die führenden Branchen sind zurzeit Computer sowie elektronische und chemische Produkte, die oftmals im Gesundheitsbereich eingesetzt werden, während es 1970 Maschinen, Textilien und Gummi waren.

Für die Wissenschafterarbeitslosigkeit wurde damals der Mangel eines Regierungsplans für einen sanften Übergang von den wissenschaftlichen 1960er zu den ökologischen 1970er Jahren verantwortlich gemacht. Dieses Jahr sind die Auswirkungen auf Wissenschafter noch ungewiss. Für alle, die an Universitäten arbeiten, wird es davon abhängen, welche Auflagen der Governor erteilen wird und wie daher das kommende akademische Jahr ablaufen wird. Die Studenten aus der ganzen Welt sind ein wichtiger Wirtschafts­faktor in Massachusetts. Ihre Ankunft in Boston wird mitentscheiden, wie bzw ob das eine oder andere Geschäft überleben wird. Offen ist auch, ob es sich bei der Schließung des Fairmont Copley Plaza Hotels wirklich um ein vorübergehendes „farewell“ oder ein „goodbye“ handeln wird.

Der Autor der ersten Studie über die Wirtschaft von Massachusetts war Dr. K Heinz Mühlmann aus Zell am See, mein Gatte. Er hat im Staat seinen Arbeitsplatz und Lebensraum gefunden, interessierte sich für die Vielfalt der Einwohner, liebte Skifahren, Tennis spielen, sowie Segeln und Fischen. Beruflich beeinflusste er über viele Jahre das Wohlergehen der Wirtschaft von Massachusetts. Heinz setzte sich stets für eine kleine Bürokratie, Schutz privaten Eigentums und Individualismus im Allgemeinen ein. Ich durfte ihn in Boston kennen und lieben lernen. Vor ein paar Wochen verabschiedete er sich vom irdischen Leben; sagte für immer „goodbye“.

So long – Auf Wiedersehen – Farewell aus Boston. Ihre Brigitte Mühlmann


Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 4/2020) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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