Der digitale Controlling-Regelkreis

Vorweg ein unbefriedigender empirischer Befund: Das Controlling nimmt heute als Treiber der Digitalisierung über alle Branchen und Unternehmensgrößen hinweg meist nur eine passive Rolle ein. Das gilt sowohl für die Digitalisierung des Gesamt­unternehmens als auch für die Nutzung der Digitalisierung im Controlling selbst. In der aktuellen Phase der digitalen Transformation vieler Unternehmen entsteht das Risiko, dass durch diese Passivität Kompetenzen ungewollt an andere Funktionsbereiche abgetreten werden und das Controlling somit an Relevanz im Unternehmen verliert. Die defensive Grundhaltung zur Digitalisierung mag dadurch verursacht sein, dass die Controlling-Perspektive im fachlichen Diskurs häufig nicht im Vordergrund steht und die Nutzenpotenziale für das Controlling nicht klar genug herausgearbeitet werden. Vielmehr erfolgt in der Regel eine Annäherung an die Thematik aus einem technologischen Blickwinkel, um erst in einem weiteren Schritt die Anwendungsfelder im Controlling zu identifizieren. Für die Schärfung des Rollenbilds des Controllings in einem digitalen Umfeld erscheint es jedoch zielführend, den Themenkomplex stärker durch die Brille des Controllings zu betrachten.

1. Umfassende Integration digitaler Möglichkeiten

Die Digitalisierung ist heute keine revolutionäre Vision mehr, die nur für die häufig zitierten globalen Digital­unternehmen Google, Facebook Co eine Rolle spielt. Sie ist in der Realität aller Unternehmen angekommen und führt – je nach Branche – zu evolutionären bis disruptiven Veränderungen der Geschäftsmodelle. Darüber hinaus sind innerhalb der Unternehmen enorme Auswirkungen auf Prozesse, Systeme und die Organisation zu beobachten. Diese Entwicklungen werden sich mit immer höherer Geschwindigkeit fortsetzen. Die Frage, die sich einzelne Unternehmen dabei stellen müssen, ist nicht ob, sondern zu welchem Zeitpunkt und in welcher Intensität sie betroffen sein werden. Die Digitalisierung hat auch eine substanzielle Auswirkung auf das Controlling. Analog zum Gesamt­unternehmen leiten sich somit zwei wesentliche Aspekte für das Controlling ab:

▪ Digital Business: Controlling-Unterstützung bei der Entwicklung und Steuerung innovativer und disruptiver Geschäftsmodelle im digitalen Umfeld.

▪ Digital Controlling: Steigerung von Effektivität und Effizienz in den Controlling-Kernprozessen durch Einsatz digitaler Technologien.

Das hier dargelegte Konzept des digitalen Controlling-Regelkreises fokussiert vor allem auf den zweiten Aspekt: die Auswirkungen auf die Controlling-Kernprozesse und -Instrumente sowie auf die Controlling-Organisation selbst. Als Ausgangspunkt wird folgende dem Konzept zugrunde liegende Vision eines digitalen Controllings definiert:

Durch die Digitalisierung des Controllings sollen:

▪ im Umfeld der digitalisierten Wertschöpfungskette,

▪ aus einer komplexen Datenlandschaft,

▪ in kürzeren Zeiträumen,

▪ bei erhöhter Prozesseffizienz und Automatisierung sowie

▪ unter Einsatz digitaler Technologien

die relevanten Zusammenhänge erkannt und interpretiert werden, um durch eine verbesserte Unternehmens­steuerung eine nachhaltige Wertsteigerung im Unternehmen zu erreichen.

Diese Definition dient als Anhaltspunkt und muss den Anforderungen des Unternehmens entsprechend und in Abstimmung mit der Unternehmensvision individuell entwickelt werden. Hervorzuheben ist, dass die Weiterentwicklung des Controllings differenziert und in unterschiedlichen Ausbaustufen erfolgen kann. Es ist entscheidend, die nächsten Schritte unmittelbar hin zum gesetzten Ziel zu gehen, damit der lange Weg unter Erreichung von Etappenzielen bewältigt werden kann. Um die Potenziale der Digitalisierung im Controlling nutzen und entstehende Risiken managen zu können, bedarf es somit einer strukturierten Herangehensweise, aus der das Controlling für sich selbst eine Digitalisierungs-Roadmap entwickeln muss.

2. Das Konzept: Der digitale Controlling-Regelkreis

Die Digitalisierung im Controlling kann heute durch konkrete Methoden und Technologien mit zahlreichen Anwendungsbeispielen belegt werden, wobei in der Regel spezifische Teilbereiche im Fokus stehen. Im Hinblick auf eine gesamtheitliche Herangehensweise bedarf es eines umfassenden Konzepts, das die wesentlichen Elemente eines Digital Controllings, die Digital Controlling Practices, integriert.

Der entwickelte Ansatz stellt eine Weiterentwicklung des etablierten Controlling-Regelkreises dar. Dieser muss um einige relevante Komponenten ergänzt werden, um einen integrierten digitalen Ansatz für das Controlling abbilden zu können.

Die acht definierten Digital Controlling Practices ermöglichen eine Leistungssteigerung in den Controlling-Kernprozessen. Eine Reihe digitaler Technologien dient als Enabler der Elemente des digitalen Controlling-Regelkreises. In der Folge wird im Detail auf die einzelnen Controlling Practices eingegangen und anschließend zu den Controlling-Kernprozessen übergeleitet.

Abb 1: Der Controlling-Regelkreis unter Nutzung der acht Digital Controlling Practices

Abb 1: Der Controlling-Regelkreis unter Nutzung der acht Digital Controlling Practices.

2.1. Mass Data Engine

Verfügbarkeit und Verarbeitbarkeit von Massendaten nehmen in allen Unternehmen zu. Die systematische Sammlung, Verarbeitung und Interpretation aus heterogenen Datenquellen ist eine Grund­voraussetzung für die meisten digitalen Ansätze. In Zukunft sollen Daten wesentlich zeitnäher und teilweise in Echtzeit abrufbar sein. Dadurch wird die Möglichkeit, geschäftsnahe und relevante Analysen durchführen und Zusammenhänge besser erkennen zu können, erheblich gesteigert. Zentralisierung und Harmonisierung der Daten aus ERP-Systemen spielen für das Controlling eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus gilt es jedoch, Daten aus weiteren internen und externen Quellen zu integrieren, um einen wesentlichen Mehrwert aus den digitalen Technologien generieren zu können. Datenqualitäts­sicherung und Governance rücken dabei in den Mittelpunkt.

2.2. Data-based Modelling

Werttreibermodelle werden in Zukunft um quantitativ ableitbare Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge aus Big-Data-Analyse­verfahren erweitert. Ein evolutionärer Ansatz auf Basis qualitativ entwickelter Modelle, sukzessive erweitert um quantitative Erkenntnisse, gilt hierbei als zu präferierendes Vorgehensmodell. Somit werden anstelle von aggregierten Top-KPIs Detaildaten, die als tatsächliche Treiber identifiziert wurden, an Bedeutung gewinnen, wobei ein stärkerer Fokus auch auf nichtmonetäre Treiber gerichtet ist. In einem Praxisbeispiel eines Autoherstellers wurde bei Big-Data-Analysen ua festgestellt, dass die Arbeitslosenquote einer Region zwar nicht mit dem Absatz der Pkw-Sparte korreliert, sehr wohl aber mit jenem der Lkw-Sparte. Dementsprechend wurde das Modell der Mittel­fristplanung um diesen Treiber erweitert.

Diese Modelle sind ein zentrales Tool für die Quantifizierung von Unternehmenszielen. Sie führen zu einer wesentlichen Verbesserung der Unternehmens­steuerung und bilden die Grundlage für Technologien der Digitalisierung wie Predictive Analytics.

2.3. Continuous Planning/Scenarios

Die Planung zu definierten Zeitpunkten im Planungszyklus bis zur untersten Detailebene wird an Bedeutung verlieren. An ihre Stelle wird eine auf Advanced und Predictive Analytics basierende kontinuierliche Planungs­rechnung mit hohem Automatisierungsgrad treten. Zu jedem Zeitpunkt können als Entscheidungsgrundlage datenbasierte Handlungsalternativen in Form von Szenarien abgeleitet und zwischen Controlling und Topmanagement abgestimmt werden. In einem konkreten Fallbeispiel eines multinationalen Konzerns wurde in einigen Ländern – dank nachweislich geringerer Prognosefehler – in einem ersten Schritt die Sales-Planung auf Basis automatisierter Prognosen umgesetzt. In anderen Ländern wurden zur Verifizierung manuelle Planungen herangezogen.

Vergangenheitsorientierte Plan-Ist-Abweichungsanalysen werden eine geringere Rolle spielen, weil der Fokus auf die zukunftsorientierte Steuerung gelenkt wird. Vergleiche zu Vorperioden (Ist/Ist) nehmen dort zu, wo Planungsdetails reduziert wurden. Für operative Einheiten soll der Planungsaufwand erheblich reduziert werden.

2.4. Digital Reporting

Durch Digital Reporting werden alle relevanten Unternehmensdaten direkt aus den zentralen Massendaten cloudbasiert auf unterschiedlichen Devices abgerufen. Die Daten können dynamisch dargestellt und die benötigten Details zu den Top-Kennzahlen ad hoc analysiert werden. Dabei kann auf praxiserprobte Dashboard-Lösungen von einer Reihe von Anbietern zurückgegriffen werden. Aktuell setzt sich zB SAP stark mit dem Thema eines voll integrierten Digital Boardrooms auseinander. Hier sollen mithilfe intuitiver User Experience ua Real-Time-Informationen und integrierte Business Insights als Entscheidungsgrundlage sowie Ad-hoc-Analysen bereitgestellt werden.

Da der Blick in die Zukunft stärker in den Fokus rückt, wird bei der Datenvisualisierung auch die Darstellung von Szenarien eine wesentliche Rolle spielen. Die periodische Aufbereitung von Papier-Reports wird hingegen an Bedeutung verlieren.

2.5. Real/Near Time Management

Durch Echtzeit- und zeitnahe Steuerung gelingt es im Unternehmen, eine wesentliche Reduktion der Reaktionszeit zu erreichen. Dank der schnelleren Verfügbarkeit können Steuerungsmaßnahmen durch das kontinuierliche Monitoring relevanter Steuerungsgrößen schneller eingeleitet werden. Durch digitale Technologien wie Advanced Analytics können Wirkungszusammenhänge identifiziert werden, um daraus konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. In der Praxis gibt es ua in den Bereichen Produktion und Logistik Anwendungsfälle, in denen ein direkter Zugriff auf Echtzeitdaten Seite 115 und somit ein unmittelbares Treffen von Steuerungs­entscheidungen erfolgen kann.

Mittel­fristig werden nicht alle Daten in Echtzeit zur Verfügung stehen. Dank wesentlicher Prozesseffizienzsteigerungen (ua Daten zu Periodenabschlüssen) werden diese aber zunächst schneller und in einem weiteren Schritt auch in kürzeren Intervallen verfügbar sein. Dadurch wird eine bessere Steuerung von Financials und Non-Financials möglich sein.

2.6. Process System Excellence

Controlling-Prozesse können durch digitale Technologien, effizientere Systemarchitekturen (zB HANA) und den Einsatz von Automatisierungstechnologien wesentlich effizienter und effektiver gestaltet werden. Klassische Controlling-Aufgaben wie das Erstellen von Periodenabschlüssen oder das Erstellen und die Kommunikation von Reports können automatisiert und somit schneller, häufiger sowie mit reduzierter Fehlerquote durchgeführt werden. Mittel­fristig ist auch denkbar, dass Artificial Intelligence komplexere Aufgaben übernommen wird. Controller werden bei operativen Standardtätigkeiten – wie schon so oft angekündigt – nachweisbar entlastet werden, um sich noch stärker auf inhaltliche und methodische Tätigkeiten fokussieren zu können.

2.7. Automatic Decision Support

Durch verschiedene digitale Ansätze wird die automatisierte Entscheidungsunterstützung auch im Controlling an Relevanz gewinnen. Über das Thema Predictive Analytics hinaus werden dabei vor allem Technologien der Artificial Intelligence zunehmend wichtiger. Im Zuge manch einer operativen Tätigkeit ist es möglich, dass Entscheidungen – etwa über die Plausibilität einer Kostenposition – kontinuierlich und vollkommen automatisiert getroffen werden. In Bezug auf Management­entscheidungen können automatisierte Entscheidungshilfen zu einer wesentlich verbesserten Steuerung des Unternehmens führen.

Artificial-Intelligence-Lösungen können auf Basis unstrukturierter Daten zB laufend Ad-hoc-Analysen durchführen, wobei auch neue Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge erkannt werden. Auch das selbständige und kontinuierliche Erstellen von Forecasts und deren Bereit­stellung für das Management sind dabei möglich.

2.8. Controlling Role Organization

Die Digitalisierung stellt die Controlling-Organisation, aber auch die Rolle des Controllers selbst vor neue Herausforderungen. Dementsprechend muss diesbezüglich in den nächsten Jahren eine wesentliche Transformation stattfinden. Das notwendige Know-how im Bereich der digitalen Technologien und Methoden muss in der Organisation aufgebaut werden. Dies kann sowohl durch die Erweiterung der Skills bestehender Mitarbeiter, aber auch durch die Aufnahme von Fachexperten (zB Data Scientists) erreicht werden. Da diese Transformation zu einer Reduktion des Aufwands für operative Standardtasks führt, wird die Fokussierung auf die Rolle als Business Partner ermöglicht. Somit wird das Controlling in Zukunft noch stärker inhaltlich zum Erfolg des Unternehmens beitragen können.

2.9. Einordnung der Digital Controlling Practices

Um den Transfer der Digital Practices in die Controlling-Kernprozesse zu erleichtern, ist es von Bedeutung, eine Verbindung zum Controlling-Prozessmodell der International Group of Controlling darzustellen. Im IGC -Prozessmodell 2.0 werden die relevanten Kernprozesse des Controllings gesamthaft beschreiben, wobei ihrer Dokumentation, Analyse, Gestaltung und Kommunikationsunterstützung gedient werden soll. 3 Ziel ist es, die definierten Controlling-Prozesse in einem digitalen Umfeld zu unterstützen. Der Einfluss und die sich ergebenden Nutzenpotentiale sind zwar unterschiedlich groß, grundsätzlich aber bei allen Kernprozessen vorhanden. In Abb 2 werden die Zusammenhänge beider Modelle dargestellt.

Abb 2: Überleitung Digital Controlling Practices zum IGC-Prozessmodell 2.0.

Abb 2: Überleitung Digital Controlling Practices zum IGC-Prozessmodell 2.0.

3. Die digitalen Enabler: Ein Blick auf relevante Technologien

Digitale Technologien und Methoden dienen im Konzept des digitalen Controlling-Regelkreises als Enabler. Wie in Abb 3 dargestellt, werden sie in der Regel bei diversen Digital Controlling Practices eingesetzt. Auch neu aufkommende Technologien werden der jeweils relevanten Practice zugeordnet und haben somit keine Auswirkung auf den integrierten Digital-Controlling-Ansatz. Aus Perspektive der Digital Controlling Practices ist im Umkehrschluss jeweils eine Reihe digitaler Technologien relevant.

Welche Technologien und Methoden in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt im Controlling zu etablieren sind, muss anhand eines gesamtheitlichen Ansatzes – wie dem digitalen Controlling-Regelkreis – im Zuge der Entwicklung einer Digitalisierungs-Roadmap festgelegt werden.

Abb 3: Relevante Technologien für die Digital Controlling Practices.

Abb 3: Relevante Technologien für die Digital Controlling Practices.

Auf den Punkt gebracht

Auch wenn sich das Controlling meist noch in einer eher passiven Rolle befindet, erkennen Unternehmen die Relevanz der Digitalisierung für das Controlling. Aktivitäten, um Potenziale zu realisieren, wurden bis dato häufig erst in geringem Ausmaß gesetzt. Die stärkere Betrachtung des Themas aus Controlling-Perspektive – anstelle eines technologischen Blickwinkels – verfolgt das Ziel, den Nutzen eines integrierten Gesamtkonzepts klarer darzustellen.

Im Konzept des digitalen Controlling-Regelkreises werden die wesentlichen Practices des Controllings in einem digitalen Umfeld integriert abgebildet. Es soll dem Controlling als Rahmenwerk für eine strukturierte Herangehensweise dienen, um die Vision eines Digital Controllings verwirklichen zu können. Dies führt zu einer besseren Unternehmen­steuerung und somit nachhaltigen Wertsteigerung des Unternehmens. So gelingt es dem Controlling, bei der Digitalisierung eine treibende Rolle einzunehmen.


Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 3/2018) erschienen. Hier geht’s zum DOWNLOAD
Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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