Business Judgement Rule

Adäquate Vorbereitung „unternehmerischer Entscheidungen“


Aus den Präzisierungen der Gesetze zur sogenannten Business Judgement Rule (BJR) in der Rechtsprechung ergeben sich für Vorstände und Geschäftsführer Anforderungen an die Entscheidungsvorbereitung, zB im Hinblick auf eine Risikoanalyse, die oft noch zu wenig beachtet werden.

1. Überblick

Zur Vermeidung von Sorgfalts­pflichtverletzungen und Schadensersatzansprüchen ist es notwendig, dass bei der Vorbereitung „unternehmerischer Entscheidungen“ Entscheidungsvorlagen existieren, die die entscheidungsrelevanten Informationen in angemessenem Umfang enthalten. Anders als noch vor einigen Jahren ist inzwischen klar, was zB in Entscheidungsvorlagen dokumentiert werden muss. Die Entscheidungsvorlagen müssen nachvollziehbar und neutral eine Beurteilung aller relevanten Handlungsoptionen ermöglichen und dabei insbesondere die mit diesen verbundenen Chancen und Gefahren (Risiken) aufzeigen.

Mit Umsetzung der Anforderungen aus der BJR wird erreicht, dass sich die Qualität der Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen verbessert, was offensichtlich wichtig ist, weil von den unternehmerischen Entscheidungen der nachhaltige Erfolg des Unternehmens abhängt.

2. Neue Herausforderungen durch die Business Judgement Rule

Die BJR regelt schadensersatzträchtige Pflichtverletzungen von Vorständen und GmbH-Geschäftsführern. 1 Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn ein Vorstandsmitglied bei einer „unternehmerischen Entscheidung“ auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft handelt. Damit die BJR greift, muss im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten gewählt werden und die Entscheidung bestimmte Eigenschaften aufweisen. Der Entscheidungsprozess muss sich zudem an geeigneten betriebswirtschaftlichen Methoden der Entscheidungslehre orientieren.

Es ist die zentrale Intension des Gesetzgebers mit der BJR, sicherzustellen, dass kein Vorstand 2 für Pech haftet. Unternehmertum und unternehmerische Entscheidungen sind unvermeidlich mit Chancen und Gefahren (Risiken) verbunden. Mit jeder unternehmerischen Entscheidung, zB bezüglich einer großen Investition, Akquisition oder Produktneuentwicklung, geht das Unternehmen Risiken ein. Risiken, die der Vorstand mit seiner Entscheidung eingeht, können natürlich auch einmal eintreten und schwere negative Planabweichungen, eine Gewinnwarnung, Verluste oder schlimmstenfalls sogar eine Insolvenz auslösen. Ob sich ein Risiko realisiert, ist eine Frage von Glück oder Pech, also Zufall. Es ist entsprechend aus wissenschaftlicher Perspektive unsinnig einen Entscheider zu verurteilen, wenn er einfach Pech hatte (also ein an sich bekanntes Risiko in einem erwartbaren Umfang eingetreten ist). Genau so ist auch die BJR zu verstehen: Kein Entscheider haftet für das Pech, dass sich ein eingegangenes Risiko realisiert.

Statt einer Haftung für das Ergebnis einer Entscheidung steht nun eine Sorgfalts­pflicht für die Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsvorlage. Welche Informationen „angemessen“ sind, ergibt sich inzwischen sehr klar aus der Rechtsprechung und den dortigen Verweisen auf die betriebswirtschaftlichen Methoden der Vorbereitung von Entscheidungen unter Risiko. Anders als manchmal zu hören, kann ein Vorstand oder Geschäftsführer nicht nach Belieben festlegen, was er als „angemessen“ ansieht (sonst wäre das Gesetz auch wirkungslos).

Dass die Implikationen der Gesetze zur BJR mit einiger Verzögerung in den Unternehmen angekommen sind, liegt daran, dass man erst jetzt nach Präzisierungen durch die Rechtsprechung und Klärung zentraler Begriffe (wie „angemessene Informationen“) klare Anforderungen an die Managementsysteme ableiten kann (wie sie nun auch in Standards erfasst worden sind, speziell solchen zum Risikomanagement (siehe COSO ERM und in Deutschland DIIR RS Nr 2)).

Die Anforderungen an die Vorbereitung „unternehmerischer Entscheidungen“ und den Inhalt von Entscheidungsvorlagen, sind also klar (vgl die Zusammenfassung bei RMA, 2019) – aber diese Anforderungen werden oft noch nicht erfüllt, was Sorgfalts­pflichtverletzungen und persönliche Haftungsrisiken zur Konsequenz haben kann. Dies ist insbesondere in der Zwischenzeit gegeben, weil die entsprechenden Anforderungen in Deutschland seit Ende 2018 durch den neuen Revisionsstandard des Deutschen Instituts für interne Revision (DIIR RS Nr 2) klar ausgedrückt werden.

3. Auswirkungen für das Controlling, das Risikomanagement und für die Entscheidungsvorbereitung

Grundsätzlich fordert der Gesetzgeber, dass „unternehmerische Entscheidungen“ auf Grundlage „angemessener Informationen“ zu treffen sind (und natürlich dem Wohl der Gesellschaft dienen sollen); 3 in Deutschland gilt klar eine Beweislastumkehr (§ 93 Abs 2 dAktG). Der Vorstand kann sich dabei seinen Sorgfalts­pflichtanforderungen (und Haftungsrisiken) auch nicht entledigen, wenn er die Zustimmung des Aufsichtsrats einholt. Auch wenn der Aufsichtsrat einer unternehmerischen Entscheidung zugestimmt hat, bleibt die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Vorbereitung – und damit eine adäquate Entscheidungsvorlage – beim Vorstand bzw Geschäftsführer.

Bei einer Entscheidung unter Unsicherheit sind es insbesondere die Risikoinformationen, die bei der Entscheidungsvorbereitung wesentlich sind und Vorstand bzw Geschäftsführer zur Verfügung gestellt werden müssen, damit dieser über „angemessene Informationen“ verfügt. Die Konsequenz ist eine engere Verknüpfung von Controlling und Risikomanagement für die Entscheidungsvorbereitung („entscheidungsorientiertes Risikomanagement“) und die Betrachtung der Risiken zu dem Zeitpunkt, bei dem man sie besonders beeinflussen kann: nämlich in der Entscheidungssituation.

Aus der Rechtsprechung 4 und den Erkenntnissen der Betriebswirtschaftslehre (speziell zu Entscheidungs­methoden) lassen sich klare inhaltliche Anforderungen an die „angemessenen Informationen“ ableiten. Die nachfolgend genannten inhaltlichen Anforderungen sind speziell komplett relevant für Entscheidungen über

  • Änderungen der Unternehmensstrategie,
  • Jahresplanung (Jahresbudget),
  • Akquisitionen und größere Investitionen,
  • Änderung bei Versicherungsschutz oder wesentlichen Risikobewältigungsmaßnahmen (wie zB Hedging),
  • Finanzierungs­entscheidungen (speziell mit Kredit­vereinbarungen/Covenants) und
  • Großprojekte (mit Kunden oder im Bereich Forschung und Entwicklung).
  • Graumann 5 fordert ausgehend von der Rechtsprechung insbesondere die Beantwortung folgender Fragen bei der Vorbereitung solcher Entscheidungen:
  • Welche Ziele werden bei der Entscheidung verfolgt?
  • Welche Handlungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?
  • Wie wirken sich die Handlungsmöglichkeiten auf die Ziele aus?
  • Wie sind die prognostizierten Wirkungen im Hinblick auf Nutzen und Risiko zu bewerten?

Entscheidungsvorlagen müssen insbesondere folgende Informationen enthalten: Ausgangssituation und Zielsetzung der Entscheidung, bestehende Handlungsoptionen, geplante Auswirkungen der Entscheidungen (Prognose), die der Prognose zugrundeliegenden Annahmen sowie die mit der Entscheidung verbundenen Chancen und Gefahren (Risiken). Zu beachten ist, dass Prognosen „erwartungstreu“ – also nicht ambitioniert – sein müssen, also „im Mittel“ realisierbar erscheinen, was die Betrachtung von Chancen und Gefahren erfordert (und damit eine Risikoanalyse). 6 Zudem sollte in der Entscheidungsvorlage gezeigt werden, wie die Wirkung der Entscheidung auf Ertrag und Risiko gegeneinander abgewogen werden („Bewertung“). 7

Es ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass alleine das Eintreten eines Risikos, das zu negativen Planabweichungen geführt hat, nicht als Sorgfalts­pflichtverletzung aufgefasst werden kann. Risiken, die mit unternehmerischen Entscheidungen unvermeidlich verbunden sind, können sich auch realisieren. Ein starkes Indiz für eine Sorgfalts­pflichtverletzung infolge einer unzureichenden Entscheidungsvorlage (speziell unzureichenden entscheidungsvorbereitenden Risikoanalysen) ist gegeben, wenn

  • ein in der Entscheidungsvorlage nicht genanntes Risiko zu gravierenden negativen Planabweichungen und Verlusten führt (infolge einer fehlenden systematischen Risikoidentifikation) und/oder
  • negative Planabweichungen durch Risiken in einem so hohen Umfang eingetreten sind, der durch die erforderliche quantitative Risikoanalyse nicht zu erklären ist (der Umfang der Verluste also größer ist als der Risikoumfang). 8

Diese zu prüfen ist Aufgabe einer Planabweichungsanalyse: keine Planabweichung ohne zugrunde liegendes Risiko.

Empirische Studien zeigen, dass insbesondere das Risikomanagement bisher noch nicht auf die Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen – die alle als Management­entscheidungen unter Risiko aufgefasst werden müssen – ausgerichtet ist. Damit ergeben sich in den Entscheidungsvorlagen insbesondere Defizite bei der entscheidungsvorbereitenden Risikoanalyse. Aber darüber hinaus finden sich eine Vielzahl von Schwächen in Entscheidungsvorlagen, die eine Verbesserung der Systeme zur Vorbereitung von unternehmerischen Entscheidungen anraten lassen. 9 So sieht man beispielsweise oft, dass

  • lediglich Anträge und keine neutralen, transparenten Entscheidungsvorlagen vorliegen,
  • Argumente für eine bestimmte Handlungsoption (zB eine Investition) vorgetragen werden, aber andere Handlungsoptionen mit ihren Vor- und Nachteilen nicht genannt werden, und
  • die den Prognosen zugrundeliegende (unsichere) Annahmen nicht genannt und die mit der Entscheidung verbundene Risiken nicht fundiert abgeleitet werden.
  1. Implikationen für Vorstände und Geschäftsführer: die Empfehlungen

Aus den Erläuterungen oben lassen sich nachfolgende konkrete Empfehlungen für Vorstände und Geschäftsführer ableiten:

  1. Definieren Sie präzise, was bei Ihnen im Unternehmen „unternehmerische Entscheidungen“ sind, und was nicht.
  2. Erstellen Sie eine Checkliste mit Mindestinhalten an unternehmerischen Entscheidungen, möglichst mit „Mustervorlagen“, die dann bei unternehmerischen Entscheidungen verwendet werden.
  3. Stellen Sie sicher, dass bei jeder Entscheidungsvorlage die wichtigsten Informationen tatsächlich enthalten sind, wie zB Benennung von Handlungsmöglichkeiten, Annahmen, und insbesondere eine nachvollziehbare Ableitung der Risiken (diese Angaben sollten neutral und geprüft sein: Qualitäts­sicherung von Entscheidungsvorlagen).
  4. Erstellen Sie eine Liste sämtlicher „unternehmerischer Entscheidungen“ (mit fortlaufender Nummer etc).
  5. Archivieren Sie alle Entscheidungsvorlagen (mit der getroffenen Entscheidung).
  6. Wenn Planabweichungen bei Projekten (oder bei der Jahresplanung) auftreten, sollte eine Abweichungsanalyse durchgeführt werden, um zu prüfen, ob die Ursachen eingetretener Planabweichungen auf bekannte Risiken zurückzuführen sind.
  7. Wenn Sie von Vorwürfen bezüglich (1) möglicher „Fehlentscheidungen“ oder (2) Planabweichungen (seitens anderer Geschäftsführer oder der Gesellschafter) hören, setzen Sie sich aktiv und schriftlich damit auseinander.
  8. Die Unternehmensführung muss gewährleisten, dass die Managementsysteme weiterentwickelt werden, um sicherzustellen, dass in Vorlagen zu unternehmerischen Entscheidungen alle relevanten Informationen enthalten sind, auch die Risikoinformationen (was einhergeht mit einer entscheidungsorientierten 10 Ausrichtung des Risikomanagements: vgl die Anforderungen im DIIR RS Nr 2 von 11/2018).

Bei größeren Unternehmen wird die Umsetzung dieser Empfehlungen sicherlich maßgeblich von Fachabteilungen durchgeführt werden, wie dem Controlling oder dem Risikomanagement. Die Verantwortung für das System zur Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen verbleibt jedoch bei der Geschäftsleitung. Es ist zu beachten, dass durch das Regelwerk zur BJR Anforderungen für die Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen formuliert werden (und nicht primär für die unternehmerische Entscheidung selbst).

  1. Fazit

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass durch die BJR persönliche Haftungsrisiken von Vorständen und Geschäftsführern abgewendet werden können, wenn – und sofern – diese die gebotene Sorgfalt bei der Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen belegen können. Von einer Sorgfalts­pflichtverletzung muss man im Allgemeinen ausgehen, wenn bei „unternehmerischen Entscheidungen“ keine adäquaten Informationen in den Entscheidungsvorlagen zu finden sind, also speziell wenn nicht erkennbar ist, welche Veränderungen bei Chancen und Gefahren (Risiken) sich durch die Entscheidung ergeben würden. Die damit geforderte Risikoanalyse erfordert insbesondere die Einbeziehung des Risikomanagements in die Entscheidungsvorbereitung („entscheidungsorientiertes Risikomanagement“ im Sinne der Anforderungen des neuen deutschen Standards DIIR RS Nr 2 oder die internationale COSO ERM Richtlinie, vgl Hunziker, 2019). Defizite in Methode und Prozess der Entscheidungsvorbereitung sowie im Risikomanagement führen dazu, dass die nun präzisierten Anforderungen in vielen Unternehmen noch nicht erfüllt sind. Geschäftsführer und Vorstände sollten – im Interesse des Unternehmens und dem eigenen Interesse – hier bestehende Defizite so schnell wie möglich beseitigen und zB das Risikomanagement entscheidungsorientiert ausrichten. Die in diesem Beitrag erläuterten Empfehlungen zeigen die wichtigsten Aufgaben.



Quellen

1 Vgl § 84 Abs 1 AktG und § 25 Abs 1 GmbHG sowie § 93 dAktG.

2 Oder GmbH-Geschäftsführer.

3 Siehe dazu Graumann, Die angemessene Informationsgrundlage bei Entscheidung, WISU 2014, 317; Gleißner, Entscheidungsvorlagen für den Aufsichtsrat: Fallbeispiel Akquisition, Der Aufsichtsrat 2017, 54; RMA (Risk Management Association e.V.), Management­entscheidungen unter Risiko. Haftung – Recht – Business Judgement Rule, Management­entscheidungen unter Risiko (2019).

4 Siehe dazu ausführlich RMA, Management­entscheidungen unter Risiko.

5 Vgl Graumann, Die angemessene Informationsgrundlage, 317, mit Bezug auf die weitgehend identische Rechtslage in Deutschland (siehe § 93 dAktG). Siehe auch Graumann/Linderhaus/Grundei, Wann ist die Risikobereitschaft bei unternehmerischen Entscheidungen „in unzulässiger Weise überspannt“? BFuP 2009, 492.

6 Vgl Gleißner, Grundlagen des Risikomanagements (2017).

7 Zu den Methoden des Abwägens von Ertrag und Risiko und damit einer „risikoge­rechten Bewertung“, speziell Strategie­bewertung, siehe Gleißner, Die risikoge­rechte Bewertung alternativer Unternehmesstrategien: ein Fallbeispiel jenseits CAPM, Bewertungspraktiker 2013, 82.

8 Zur Risikoquantifizierung und Risikoaggregation sowie den Methoden für die Prüfung der Angemessenheit von Risikoanalysen siehe Gleißner, Grundlagen des Risikomanagements; Gleißner, Wertorientierte Unternehmensführung, Strategie und Risiko (2019) und Gleißner, Risikoanalyse (II): Ein Leitfaden zur Risikoquantifizierung, Controller Magazin 2019, 31.

9 Siehe dazu RMA, Management­entscheidungen unter Risiko.

10 Vgl Gleißner/Kimpel, Prüfung des Risikomanagements und der neue DIIR Revisionsstandard Nr 2 – Anforderungen der § 91 und 93 AktG an das Risikomanagement im Fokus, Zeitschrift Interne Revision 2019, 148.


Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 6/2019) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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