Mehr Purpose, mehr Performance

Warum Unternehmen mit einem klaren WHY im Ergebnis besser abschneiden

Purpose in Unternehmen ist kein Modethema, sondern eine Steuerungslogik. Der Artikel zeigt, wie Steuern mit Sinn funktioniert und warum das in Zukunft noch relevanter wird. Vor allem betrachten wir die messbaren Effekte: Wie wirkt sich die Steuerung mit Purpose auf die zentralen Kennzahlen aus?


1. Warum überhaupt Purpose?

Der Purpose eines Unternehmens ist sein Kern: Wofür gibt es uns? Für wen leisten wir welchen Beitrag und welche Wirkung wollen wir damit erzielen? In ihm liegt die Identität und der Daseinsgrund der Organisation. Das Bild des Nordsterns trifft es am besten: Eine gemeinsame übergeordnete Ausrichtung. Google sagt: „We organize the world’s information and make it universally accessible.” Patagonia sagt: „We are in business to save our home planet.”

WHY – wofür gibt’s uns – ist mehr als die Beschreibung, was wir gerade tun. Es ist eine Überzeugung, es drückt aus, wonach wir uns strecken.

Ihnen ist der Begriff garantiert nicht neu – viele reden jetzt darüber und auch bei McKinsey und Co wird überall nach Purpose gesucht. Das hat einen Grund: Je höher die Komplexität, mit der ein Unternehmen oder ein Unternehmensbereich zu tun hat, umso schneller kommen die bewährten Steuerungsmodelle an ihre Grenzen.

Mit Komplexität meine ich das Zusammenspiel aus der Vielfalt der Erwartungen von Stakeholdern und der Volatilität von Umfeldbedingungen. Die Matrix in Abbildung 1 macht es anschaulich: Mit varity/diversity auf der x-Achse und volatility/dynamics auf der y-Achse, ergibt sich ein klares Bild der unterschiedlichen Komplexitätslagen.

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Abb 1: Die Komplexitätsmatrix © Neuwaldegg.

Je weiter rechts ich liege, umso zahlreicher und zum Teil widersprüchlicher sind die Erwartungen und Anforderungen von außen. Kunden wollen zum Beispiel beste Leistung, in kürzester Zeit, zum günstigsten Preis, möglichst maßgeschneidert und ins Haus geliefert, aber bitte umweltfreundlich und lokal produziert.

Je weiter oben ich bin, umso schneller verändert sich mein Umfeld und umso unvorhersagbarer wird es. Ganz oben befinde ich mich in einem schnellen, disruptiven, globalen Markt und hänge auch noch von unvorhersehbaren politischen, ökonomischen und ökologischen Bedingungen ab.

Ordnen Sie Ihr Unternehmen und dann Ihren Verantwortungsbereich selbst hier ein. Wie ist Ihre Komplexitätslage im Moment?

Links unten ist es überschaubar – zum Beispiel in der Massenproduktion, in der Grundstoffchemie, oder in Rechenzentren. Sie können auf wenige Erwartungen fokussieren und die Bedingungen sind stabil und vorhersehbar. Im Management setzen Sie auf Effizienz und Standardisierung. Hierarchische und direktive Steuerung leisten hier gute Dienste.

Der erste Lockdown durch Corona hat einige Unternehmen nach links oben geschoben. Akute Krise, der Umsatz bricht weg, Strategien oder detaillierte Pläne fliegen über den Haufen, die Steuerung wandert in der Hierarchie nach oben und der Fokus ist auf Turnaround und aufs Überleben gerichtet.

Wahrscheinlich sind Sie aktuell aber woanders – vielleicht rechts unten – zusammen mit Forschungsinstituten oder Universitäten. Dann fokussieren Sie im Management auf Wissen und Expertise. Die Bedingungen sind stabil, aber die Erwartungen Ihrer diversen Stakeholder sind zahlreich. Wenn Sie keine öffentliche Verwaltung sind, dann erproben Sie hier vielleicht schon moderne Führungsansätze. Führen bedeutet hier weniger „Ansagen machen“, sondern mehr Rahmen zu setzen und für die notwendigen Ressourcen zu sorgen.

Die meisten von Ihnen werden sich in der Mitte finden, genauso wie die Mobilfunkbranche, Automobilhersteller, Versicherungen, Konsum­güter und viele mehr. Management ist hier herausfordernd, weil Sie mit vielen und widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert sind und das in einem sich laufend verändernden Umfeld. Der Fokus ist hier auf Leistung und auf Ergebnisse. Gesteuert wird mit vielen KPIs, Matrix-Strukturen werden eingeführt, Lean-Management implementiert. Viele Bereiche beginnen hier mit der agilen Organisation.

Seite 234 Hier herrscht also schon Komplexität und die wird größer, je weiter sie nach rechts oben wandern. In dieser Bubble finden wir Start-Ups, Tech-Unternehmen, IT-Firmen, Agenturen, Inkubatoren oder R&D-Abteilungen. Alles ist laufend in Bewegung, wenig ist vorhersehbar. Hier braucht es eine agile Organisation, die in der Lage ist, sich laufend anzupassen, Chancen zu sehen und Chancen zu nutzen. Deshalb ist der Management-Fokus auf Flexibilität und Kreativität. Hierarchische Organisation oder eine Matrix-Struktur wären hier hinderlich. Durch die Konzentration von Entscheidung in der Hierarchie nach oben wäre die Organisation in diesem Umfeld zu unflexibel und zu langsam.

Hier wird Autorität verteilt, hier entstehen autonome, vernetzte Teams, die sich selbst organisieren. Die sogenannte agile Organisation – flache Hierarchien und viel Freiraum. Klare Spielregeln und eine gemeinsame Ausrichtung stellen sicher, dass die Firma auf Kurs bleibt, auch wenn hier viele mit Entscheidungsautorität ausgestattet sind.

Und diese klare Ausrichtung – das ist der Purpose. Ohne ihn funktioniert agile Organisation nicht. Es muss klar sein, woran sich alle Bereiche, Abteilungen, Teams, ja sogar jede einzelne Rolle orientiert.

Die Matrix ist für mich ein wichtiges Diagnosetool in der Arbeit mit Unternehmen. Sie macht deutlich, dass es je nach Situation eine andere Art der Steuerung braucht: Im linken Feld eher direktiv, top-down – im rechten Feld eher das Gegenteil – hier will ich viele einbeziehen, um beweglich zu sein. Und für diese „Kontext­steuerung“ entstehen derzeit weltweilt Modelle, wie Firmen sich agil organisieren. Ein wesentliches Element davon ist Purpose – die klare gemeinsame Ausrichtung.

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Abb 2: Umstellen von klassischer Hierarchie auf verteilte Verantwortung.

2. Wie funktioniert steuern mit Sinn?

Die sogenannten Purpose Driven Organizations tun im Wesentlichen drei Dinge:

1.Sie orientieren alle Entscheidungen am Purpose.
2.Sie setzen auf verteilte Verantwortung und autonome Teams mit klaren Spielregeln.
3.Sie achten bei der Personalauswahl und Besetzung darauf, dass sich die Personen mit dem Why identifizieren können und sie bieten ihren Mitarbeitern viele Entwicklungschancen.

Dafür wird der Unternehmenspurpose heruntergebrochen – was trägt jeder Bereich zum Ganzen bei, was jede Abteilung, was jedes Team und was jede einzelne Funktion. Diese Konkretisierung macht es dann leicht, die Entscheidungen am Purpose auszurichten. Das stellt sicher, dass das Unternehmen auf Kurs bleibt trotz der Selbst­organisation. Mithilfe von Kennzahlen wird gemessen, wie gut diese Ausrichtung gelingt. Die Strategie wird aus dem Purpose abgeleitet, genauso wie konkrete Zielbilder.

Ein Beispiel aus der Praxis: Die Werkzeugsp­arte eines Konzerns mit 20.000 Mitarbeitenden entwickelt für sich die „Organisation der Zukunft“. Durch die Veränderungen im Markt und im Kundenverhalten kommt die Matrix-Struktur an ihre Grenzen. Aus den funktionalen Geschäftsbereichen (Entwicklung, Fertigung, Verkauf, Marketing etc) werden zehn Geschäftseinheiten, die eine Markt-Kunden-Kombination abbilden (zB Handwerker in Australien). Darin sitzen die Purpose-Teams crossfunktional zusammen – Ingenieure, Controller, Marketing-Experten und andere an einem Tisch. Die Probleme der Kunden stehen im Mittelpunkt ihres Tuns. Die Teams sind selbst­organisiert und nicht mehr an Berichts- und Abstimmungslinien gebunden. Drei Hierarchieebenen wurden entfernt.

Neben der Geschäftsleitung gibt es noch ein Middle-Management und Mitarbeitende. Sie nennen es die „anpassungsfähige Organisation“. Was früher bei den Ingenieuren als Nachbesserung verpönt war („wohl schlecht geplant!“), ist heute erwünscht: laufende Anpassung der Organisation an die sich ändernden Kundenwünsche und an die Veränderung des Umfelds durch die Digitalisierung. Jedes Team verfolgt einen klaren Purpose, wie zum Beispiel „das perfekte Loch“. Sie lachen jetzt? In der Produktgruppe Bohrmaschinen ist das der einzige Kundenwunsch. Die wollen nämlich nicht „mehr Loch als Wand“, wo ihnen gleich der Dübel verschwindet. Sie wollen „das perfekte Loch“ und das wird zur klaren Ausrichtung eines ganzen Teams.

3. Warum leisten Purpose Driven Unternehmen mehr?

Jedes Konzept muss sich an seiner Wirkung messen lassen. Für diese relativ junge Disziplin der Purpose Driven Unternehmen gibt es schon einiges an empirischen Studien zur Effektivität und Wirkung. Der rote Faden: Purpose Unternehmen leisten deutlich mehr!

Der global Leadership Forecast von Ernst & Young 2018 zeigt, dass Purpose Driven Unternehmen finanziell um 42 Prozent besser abschneiden, als der Mitbewerb. Die Studie unterscheidet zwischen Unternehmen ohne Purpose, Unternehmen, die einen Purpose formuliert haben und Unternehmen, die Purpose wirklich zur Steuerung nutzen, so wie ich es oben beschrieben habe.

Jene, die ein Why-Statement haben, erzielen gegenüber vergleichbaren Unternehmen ohne Purpose erhebliche Leistungsverbesserungen in den Ergebniskennzahlen. Purpose Driven Organizations erzielen kurz- und lang­fristig sogar noch bessere finanzielle Ergebnisse und sie kommen besser mit dem sich schnell verändernden Wettbewerbsumfeld zurecht, so die EY-Ergebnisse.

Seite 235 Eine große Studie amerikanischer Universitäten mit 500.000 befragten Mitarbeitenden aller Hierarchieebenen hat ein ähnliches Ergebnis. Unternehmen, die durch Purpose eine hohe Zielsetzung und Klarheit erreichen, haben eine deutlich bessere Bilanz- und Börsenperformance.

Auch die große „Purpose Studie 2020“ von Kienbaum zeigt, dass Purpose absolut businessrelevant ist, weil er zu deutlicher Leistungssteigerung führt. Hier wurden 1.300 Fach- und Führungskräfte in Deutschland befragt. Das Ergebnis: Die Einführung eines Purpose hat zur Steigerung der Gesamtperformance, der Vertriebs­leistung, der Produktivität und der Neukundenquote geführt.

Eine Studie aus den USA untersuchte nach der Finanzkrise 2008, welche Unternehmen die Talfahrt leichter meistern konnten. Das Ergebnis: Für Purpose-getriebene Unternehmen war es um 63 Prozent wahrscheinlicher, den Abschwung zu überstehen. Mitbewerber derselben Branche ohne klare Ausrichtung auf einen Purpose hatten es da viel schwerer. Die Erfolgs­faktoren der Purpose Unternehmen waren die flexiblere Organisationsstruktur und die engeren und nachhaltigeren Beziehungen zu Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten.

Purpose Driven Unternehmen sind um 50 Prozent flexibler und handlungsfähiger, wenn es darum geht, Chancen aufzugreifen oder Gefahren abzuwenden. Der hohe Grad an Vertrauen und Loyalität von Mitarbeitern und Partnern macht sie resilienter. Ihnen gelingt es besser, Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre in schwierigen Übergangsphasen zu halten.

Da finden wir also unsere ersten Antworten, warum Purpose zu besserer Performance führt: Die anpassungsfähige Struktur und die „ meaningful relations“ zu den Stakeholdern. Ein weiterer Schlüssel­faktor für das Leistungsplus ist die Motivation der Mitarbeiter.

Purpose ist ein wichtiger Treiber für das Engagement der Mitarbeitenden. In Unternehmen mit Purpose Statement sehen doppelt so viele Führungskräfte einen Sinn in ihrer Arbeit und das Energieniveau der Mitarbeitenden liegt um 60 Prozent höher, als in vergleichbaren Unternehmen ohne Purpose – so misst es die EY-Studie. Dieser Effekt verstärkt sich in Purpose Driven Organizations. Hier liegt das Engagement um weitere 12 Prozent höher und die Bindung der Mitarbeitenden um weitere 14 Prozent höher.

Auch in Richtung Kunde hat Purpose deutliche Effekte. Die Kienbaumstudie misst einen deutlichen Anstieg der Kundenbindung und der Kundenzufriedenheit. Kunden arbeiten loyaler und engagierter mit einem Purpose Driven Unternehmen zusammen, als mit vergleichbaren Unternehmen ohne Purpose, zeigen die Ergebnisse von EY. Das bestätigt die oben genannte Studie zur Finanzkrise 2008. Sie zeigt, dass ein Grund für die Krisenresilienz der Purpose Driven Unternehmen die höhere Loyaliät und Bindung ihrer Kunden ist.

Wow, denken Sie jetzt? Und warum macht dann nicht jeder Purpose?

4. Der Weg zum Purpose Drive

Purpose ist kein Mittel, um damit mehr Wachstum oder Gewinn zu generieren. Dann haben Sie das Konzept nicht verstanden. Purpose Unternehmen haben ein Anliegen, sie wollen einen Beitrag leisten, eine Wirkung für die Gesellschaft erzielen. Das Performance Plus ist ein erfreulicher Nebeneffekt, aber nicht der Treiber.

Wenn Sie mit Ihrem Unternehmensbereich oder mit dem Gesamt­unternehmen in Richtung Purpose gehen wollen, dann starten Sie mit der Diagnose: Wo stehen wir jetzt? Was sind die zentralen Herausforderungen? Warum fragen wir überhaupt nach Purpose? Verorten Sie sich in der Komplexitätsmatrix – welche Steuerungslogik ist für uns funktional? So finden Sie heraus, ob und wie Sie Purpose am besten einsetzen.

Vielleicht nutzen Sie ihn, um die gemeinsame Identität und Ausrichtung zu schärfen, aber bleiben in ihrer klassischen Organisationsform. Vielleicht nutzen sie ihn, weil sie einen Horizont brauchen, an dem Sie Ihre Strategie ausrichten. Vielleicht nutzen sie ihn sogar in der Krise als Fixstern, mit dessen Hilfe sie entscheiden, wo Sie schmerzhafte Schnitte setzen und wo Sie für neues Wachstum sorgen, damit die Organisation überlebt. Vielleicht nutzen Sie ihn, um einen Schritt in Richtung agile Organisation zu gehen und bilden Teams um einen Purpose herum.

Glauben Sie niemand, der Ihnen eine Blaupause für Purpose verkaufen will! So einfach ist Organisation nicht. Entwickeln Sie Ihren eigenen Weg und lassen Sie sich überraschen, wohin so ein klarer Fixstern Ihr Unternehmen oder Ihr Team führen kann.


Der Beitrag erschien zunächst in CFOaktuell (Heft 6/2021). Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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