Literaturtipp: Seelenfrieden verkaufen

Disruption, Industrie 4.0, Internet of Things, Smart City, B2B und B2C – die Schlagworte der neuen, schönen und vor allem digitalen Welt haben mittlerweile längst auch Eingang in die Besprechungszimmer der heimischen Mittelbetriebe gefunden. Eine Homepage hat jeder, Social Media sowieso und an einen Webshop denken auch die meisten – doch war’s das schon mit der Anpassung an die digitalen Zeiten?


Natürlich nicht. Alles deutet darauf hin, dass wir die kurz­fristigen Auswirkungen der Digitalisierung überschätzen, deren lang­fristige Effekte hingegen unterschätzen. Bestes Beispiel ist Amazon – als Internet-Buchhändler gest­artet, während der Internetblase hoffnungslos gehypt und von den Finanzmärkten überbe­wertet, fiel der Börsen­wert zunächst in ein tiefes Loch. Doch nun, fast zwei Jahrzehnte später, hat Amazon eine Branche nach der anderen umgekrempelt und dabei vor allem den stationären Handel in Bedrängnis gebracht, getreu dem Motto: „Es wird alles digitalisiert, was digitalisiert werden kann.“

Doch gerade die bekanntesten digitalen Erfolgstories wie Amazon, Apple, Facebook, Google, Uber und Airbnb beweisen, dass Digitalisierung viel mehr bedeutet als die Herrschaft der Maschinen und die Macht der Algorithmen. In seinem neuen Buch „Radikal digital“ reduziert Reinhard K. Sprenger, Deutschlands meistgelesener Management-Autor, die Herausforderungen der digitalen Technologien auf drei Kernaufgaben für Führungskräfte: Kunde – Kooperation – Kreativität.

Radikal digital von Reinhard K. Sprenger. Weil der Mensch den Unterschied macht: 111 Führungsrezepte.

Radikal digital von Reinhard K. Sprenger. Weil der Mensch den Unterschied macht: 111 Führungsrezepte.

Tatsächlich lesen sich einige der unter dem Kapitel „Die Wiedereinführung des Kunden ins Unternehmen“ versammelten Führungsrezepte zunächst wie ein runderneuerter Aufguss altbekannter Managementguru-Weisheiten. Doch der erste Eindruck täuscht: Klar und präzise arbeitet Sprenger heraus, was den Erfolg von Google, Amazon Co ausmacht: „Sie sind zu ihren Kunden einfach zuvorkommender“ und entwickeln sich so einen Pull-Markt. Umfassend verstandene Fokussierung auf den Kunden hat nur die Befriedigung von Kundenbedürfnissen im Auge. Die richtige Frage lautet demnach nicht „Was können wir?“ oder „Was haben wir?“, sondern „Was brauchen die?“. Über die Wertschöpfung auf Plattformen, also IT-Schnittstellen, mit denen Produkt- und Service­leistungen getauscht werden können, lassen sich zudem wertvolle Daten über das Verhalten von Kunden sammeln und daraus unternehmensübergreifend verwertbare Preisvergleiche, Kaufempfehlungen oder Kauferinnerungen generieren. So kann es gelingen, Schritt für Schritt das Vertrauen der Kunden zu gewinnen und sich beim Konsumenten durch immer wiederkehrende Services unentbehrlich zu machen. Im Idealfall fungieren dabei physische Produkte nur mehr als Basis-Hardware für Dienst­leistungen. Autos würden sich demnach zukünftig weniger wegen des Motors und der Karosserie verkaufen, „sondern wegen der Services, die durch das Auto zu beziehen sind“. Oder wie es Frederick W. Smith, CEO von FedEx, formulierte: „We thought we were selling the transportation of goods – in fact we were selling peace of mind.“ Seelenfrieden verkaufen – besser kann man moderne Kundenorientierung kaum umschreiben.

Kooperation, die zweite der von Sprenger postulierten Kernaufgaben in digitalen Zeiten, zielt weniger auf organisatorischen Strukturwandel als vielmehr auf die innere Einstellung jedes einzelnen Mitarbeiters ab. Es geht im Grunde darum, sicherzustellen, dass sich jeder im Unternehmen aktiv für Zusammenarbeit anbietet anstatt darauf zu warten, dass andere auf ihn zukommen. Abteilungsübergreifend ist das Gemeinsame statt dem Trennenden zu betonen. Für Diven, kommunikationsscheue Tüftler und andere Einzelkämpfer ist demnach in einer solchen Unternehmenskultur (fast) kein Platz. In weiterer Folge listet Sprenger eine Reihe von Ratschlägen zur Gestaltung von Arbeitsplätzen bis hin zum Abschied vom Home Office auf. Weit schwerer umzusetzen dürften hingegen die folgerichtigen Empfehlungen zum Abschied vom Kontrolldenken und dessen Ersatz durch ein Konzept institutionellen Vertrauens, die Vorgabe von gemeinsamen statt Einzelzielen sowie, besonders heikel, die Abschaffung individueller Boni zugunsten einer Beteiligung am gesamten Unternehmensergebnis sein.

Mit dem dritten K, der Kreativität ist es so eine Sache. Sie ist, ebenso wie die Innovation, Motor der Gesellschaft und weckt allseits enthusiastische Erwartungen, kann aber weder geplant noch autoritär von den Mitarbeitern eingefordert werden. Gerade in Zeiten der Globalisierung und Auslagerung lohnintensiver Massenfertigung an Billigstandorte in anderen Ländern ist die Entwicklung komplexer Produkte mit hohem Wissens­anteil für viele Unternehmen zur Existenzfrage geworden. Folgerichtig muss Kreativität somit als Grundparadigma der gesamten Organisation gelten – statt einzelner Nerds soll jedermann im Unternehmen zum Ausprobieren neuer Ideen angehalten werden. Der Drang nach Neuem muss in allen Bereichen wichtiger sein als Besitzstandswahrung. Aber: „Don’t be too disruptive!“ Kreativität und Innovation resultieren oft in kleinen, für sich gesehen unspektakulären Verbesserungen. Die in der Management-Literatur oft zitierte Disruption wird gerne überschätzt, trug, so Sprenger, im vergangenen Jahrzehnt weniger als 15 % zum allgemeinen Wirtschaftswachstum bei und kann bestenfalls durch günstige Rahmenbedingungen gefördert, jedoch niemals geplant werden – erst im Nachhinein weiß man, ob eine Idee wirklich disruptiv war. Weitere Handlungsempfehlungen in diesem Kapitel thematisieren neben organisatorische Fragen insb Konzepte von kreativer Zerstörung sowie die Einbindung von Kunden und anderen unternehmensexternen Know-how-Trägern in Prozesse der Ideenfindung.

„Radikal digital“ ist ein ebenso unterhaltsam wie geistreich geschriebenes Management-Handbuch und vermittelt zahlreiche praxisrelevante Denkanstöße für den Umgang mit den weitreichenden Herausforderungen der Digitalisierung. Das Buch können Sie hier bestellen.

Der Artikel ist in CFO aktuell (Heft 2/2019) erschienen. Mehr Infos unter: www.cfoaktuell.at

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