„Die Flexibilität der Wesentlichkeitsanalyse stellt Unternehmen auch vor Herausforderungen“
Werner Gleißner und Stefan Hunziker im Gespräch mit CFOaktuell
Werner Gleißner ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler mit Schwerpunkt Risikomanagement, Unternehmensbewertung und Rating. Gleißner vertritt einen Forschungsansatz zur Integration der bisher in der Betriebswirtschaftslehre weitgehend getrennten Methoden in Risikomanagement, Rating und Bewertung. Zudem ist er Vorstand der Future-Value Group AG.
Stefan Hunziker ist Professor für Enterprise Risk Management und Internal Control sowie Leiter des Kompetenzzentrums „Risk and Compliance Management“ an der Hochschule Luzern.
Anlässlich des Austrian GRC Days, der am erfolgreich stattfand, baten wir die beiden Herren zum Interview.
CFOaktuell: Das Motto des diesjährigen Austrian GRC Days lautete: GRC meets ESG – Sustainability als Booster für Risk Management. Wie schätzen Sie dieses Thema ein?
Stefan Hunziker: Grundsätzlich ist das Thema zweifellos relevant, wenn man es richtig angeht. Der Anstoß, sich mit den regulatorischen Anforderungen auseinanderzusetzen, ist gegeben. Dabei bedeutet „richtig“ für mich, das Thema Nachhaltigkeit strategisch anzugehen. Es sollte nicht nur als Compliance-Issue betrachtet werden, sondern auch dazu dienen, das Geschäftsmodell kritisch zu hinterfragen und einen Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen. Es bietet Chancen, vernachlässigte Aspekte anzugehen und sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen.
Wir haben bereits über den Purpose diskutiert, und es ist sinnvoll, sich diesem Thema anzunehmen. Dabei sollte Nachhaltigkeit jedoch breiter verstanden werden, als es die aktuellen regulatorischen Antworten vorgeben. Es darf nicht auf eine reine Compliance- oder Tick-the-Box-Übung reduziert werden, da dies wenig bringen würde. Es gibt sowohl negative als auch positive Seiten dieses Themas. Die Bandbreite an Möglichkeiten ist vorhanden, um Nachhaltigkeit erfolgreich in das Unternehmen zu integrieren, und dies stellt die aktuelle Herausforderung dar.
Ich halte dieses Thema für äußerst wichtig. Es besteht kein Zweifel daran, dass es angegangen werden muss, jedoch nicht ausschließlich aus regulatorischer Perspektive. Vielmehr ergibt es unternehmerisch Sinn und es ist wichtig, sich diesem Thema zu widmen.
Werner Gleißner: Ich glaube, dass man das in erster Linie als Anlass sehen sollte, sich mit bestimmten Dingen auseinanderzusetzen, mit denen man sich sowieso schon hätte beschäftigen sollen. Das bedeutet, das Thema Nachhaltigkeit im Kontext der Gesamtunternehmensstrategie zu verstehen und zu begreifen, dass es darum geht, welchen Beitrag das Unternehmen eigentlich für die Menschheit leistet. Man sollte sich die Frage stellen: Wie kann ich sicherstellen, dass mein Geschäftsmodell einen Mehrwert zur Gesellschaft schafft und ich überhaupt überlebe? Dabei sollte man auch darüber nachdenken, welche positiven und negativen Auswirkungen das Unternehmen auf die Gesellschaft und die Umwelt hat. Das ist sicherlich hilfreich.
Natürlich stößt man dabei auch auf unsichere Auswirkungen von Nachhaltigkeitsthemen und daher ist das Thema Nachhaltigkeitsrisiko von entscheidender Bedeutung. Damit betritt man die Welt des Risikomanagements. Man muss sich bereits mit Nachhaltigkeitsrisiken auseinandersetzen, wie beispielsweise den Risiken im Zusammenhang mit CO2-Emissionen oder Umweltschäden, da diese auch finanzielle Auswirkungen haben können. In diesem Sinne ist Nachhaltigkeitsrisikomanagement bereits ein etabliertes Thema, insbesondere wenn das Risikomanagement gut aufgestellt ist.
Wenn man heute die regulatorischen Anforderungen aufgreift, sollte man zunächst das Primat der Risikomanagement-Methoden verstehen. Man sollte diese Methoden entweder bereits auf das Feld der Nachhaltigkeit anwenden, wenn sie bereits gut etabliert sind, oder aber den Anlass nutzen, um sie weiterzuentwickeln, falls sie noch nicht so ausgereift sind. Dabei ist es wichtig, die Nachhaltigkeitsrisiken im Gesamtkontext des Risikomanagements zu betrachten und sicherzustellen, dass die Entscheidungsfindung darauf ausgerichtet ist. Dadurch können auch die Berichtspflichten bezüglich nichtfinanzieller Auswirkungen abgedeckt werden.
Bei der finanziellen Betrachtung sollte man beispielsweise die CO2-Emissionen in Tonnen ebenfalls im Blick behalten. Ein hilfreiches Konzept ist die doppelte Wesentlichkeit, wenn der Analyse klare Messkonzepte zugrunde gelegt werden und nicht nur das „Bauchgefühl“ der Stakeholder erfasst wird. Es geht darum, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren und nur diese bei unternehmerischen Entscheidungen zu berücksichtigen, anstatt sich in Details zu verlieren.
CFOaktuell: Was müssen Unternehmen jetzt tun, um diese ESG-Risiken abzusichern?
Stefan Hunziker: Zuerst einmal sollte man die Risiken identifizieren. Studien haben gezeigt, dass es eine große Diskrepanz zwischen den Informationen im Nachhaltigkeitsbericht und deren Einbeziehung ins Risikomanagement gibt. Es lohnt sich also, zu prüfen, welche Informationen bereits vorhanden sind und welche noch nicht aus einer Risikoperspektive betrachtet wurden. Ein Ansatz wäre, die Nachhaltigkeitsthemen genauer zu analysieren und aus einer Risikoperspektive zu betrachten.
Es ist wichtig, nicht nur die „Was kann schiefgehen?“-Seite zu betrachten, sondern auch Unsicherheiten als potenzielle Chancen zu verstehen. Der Fokus liegt momentan zu stark auf den negativen Aspekten und den Risiken. Grundsätzlich sehe ich jedoch die Chance, dass die Auseinandersetzung mit diesen Themen dazu führen kann, dass man sein Geschäftsmodell resilienter, nachhaltiger und langfristig erfolgreicher ausrichtet. Das ist ein grundlegendes Prinzip.
Werner Gleißner: Das Wichtigste ist hier wieder einmal, die wirklich relevanten Aspekte in den Fokus zu nehmen und nicht alle möglichen Punkte aus der ESRS heranzuziehen. Meine Arbeitsannahme ist, dass ich mich zunächst auf die Dinge konzentriere, die aus finanzieller Perspektive wichtig sind, und mich damit auf jeden Fall befasse. Wahrscheinlich ist die Anzahl der zusätzlichen Risiken, die auch aus Sicht der Stakeholder, der Umwelt und der Gesellschaft relevant sind, überschaubar. Sobald ich diese Prioritätenliste habe, ist es entscheidend, diese im Gesamtrisikoumfang zu berücksichtigen, also bei der Risikoaggregation aufzuzeigen, welcher Anteil beispielsweise des Eigenkapitalbedarfs auf ESG-Risiken zurückzuführen ist. Dieser muss natürlich durch das Risikodeckungspotenzial abgedeckt sein.
Die Frage nach Einzelmaßnahmen für solche ESG- oder Nachhaltigkeitsrisiken ist dann eher eine sekundäre Betrachtung. In vielen Fällen gibt es bereits Konzepte dafür. Wenn ich mich beispielsweise mit dem Thema CO2-Emissionen auseinandersetze, muss ich überlegen, ob ich den CO2-Preis absichere oder Maßnahmen ergreife, um weniger CO2 zu emittieren. Wenn ich besorgt bin über Umwelteinflüsse von außen, wie zum Beispiel Extremwetterereignisse, habe ich wahrscheinlich bereits heute ein Konzept dafür.
Dies gehört eher in das Resilienz-Management, das auch in das Continuitive-Management einbezogen wird. Man muss realistisch sagen, dass Gefahren, vor denen die meisten Leute besonders viel Angst haben, wie beispielsweise eine Flut, die eine Fabrik überrollt, im Gesamtrisikoumfang überschaubar sind. In den meisten Fällen ist natürlich auch eine Versicherung dafür vorhanden.
Stefan Hunziker: Grundsätzlich haben wir bereits mehrmals diskutiert, dass Nachhaltigkeit ein äußerst relevantes Risikothema ist. Es steht jedoch nicht nur auf der Agenda des Risikomanagements. Es ist ein sehr interdisziplinäres Thema. Die Verantwortung für die Absicherung dieser Risiken liegt nicht allein bei den Risikospezialisten. Es erfordert eine enge Zusammenarbeit innerhalb der Organisation. Möglicherweise sollte eine Taskforce mit Vertretern aus den Bereichen HR, Recht, Nachhaltigkeit und Risikomanagement gebildet werden.
Schließlich ist die Frage, wer letztlich verantwortlich ist, zumindest aus Schweizer Perspektive, aktuell umstritten. Wer bestimmt beispielsweise die Schwellenwerte, über die wir bereits mehrmals gesprochen haben? Ist es der CEO, der CFO oder das Aufsichtsorgan? Diese Frage ist bei uns noch nicht geklärt und hängt auch mit der Absicherung von Risiken zusammen. Je nachdem, welche Perspektive aus der Führungsebene eingebracht wird, können die Schwerpunkte unterschiedlich liegen. Dies ist zumindest aus schweizerischer Sicht noch keine geklärte Frage und hängt auch indirekt mit der Absicherung von Risiken zusammen.
CFOaktuell: Wie müssen Risikomanagementsysteme erweitert werden und wie können diese ESG-Risiken in bestehende Systeme integriert werden?
Werner Gleißner: Das hängt stark davon ab, wie das Risikomanagement derzeit aufgestellt ist. Wenn wir ein wirklich gut ausgebautes Risikomanagement haben – was leider oft nicht der Fall ist –, dann ist das Thema Nachhaltigkeitsrisiko keine besondere Herausforderung. Es ist einfach ein weiteres Risikofeld, das in die bestehenden Methoden des Risikomanagements integriert wird. Dabei müssen die Fachleute im Risikomanagement unterstützt werden, die Risiken zu quantifizieren und gegebenenfalls zu bewältigen, wenn dies auf dieser Ebene möglich ist.
Wenn das Risikomanagement entsprechend aufgesetzt ist, ist es eine einfache Angelegenheit, ein neues Risikofeld anzugehen, während gleichzeitig eine besondere Berichtspflicht besteht. Dabei möchte man nicht nur die finanzielle Komponente des Risikos kennen, um es in die Risikoaggregation einfließen zu lassen und die Bestandsgefährdung des Unternehmens zu beurteilen. Man möchte auch die nichtfinanziellen Komponenten in ihrer Wesentlichkeit beurteilen und darüber berichten.
Wenn das Risikomanagement in der Praxis noch nicht so gut aufgestellt ist, wird die Sache individueller.
Hier stellt sich die grundlegende Frage: Wo muss ich zuerst etwas weiterentwickeln? Typischerweise wird dies besonders deutlich, wenn man versucht, die doppelte Wesentlichkeit zu beurteilen.
Hier sind Messkonzepte erforderlich, um festzulegen, was das Ausmaß und der Schweregrad sind. Zum Beispiel: Wie rechne ich CO2-Emissionen in Arbeitsunfälle um? Wenn man dies angeht, erkennt man schnell, dass eine herkömmliche Bewertung durch Eintrittswahrscheinlichkeit und erwarteten Schaden für Nachhaltigkeitsrisiken nicht sinnvoll ist.
Wenn man versteht, dass CO2-Emissionen oder die Häufigkeit von Arbeitsunfällen nicht auf diese Weise zu bewerten sind, dann begreift man, dass man das Risiko so nicht beschreiben kann. Genauso wenig kann man den Dollarkurs oder die Unsicherheit über die Nachfrage derart beschreiben. Dies könnte der Anstoß sein, um vernünftige Messkonzepte für alle Risiken zu entwickeln und diese speziell für Nachhaltigkeitsrisiken anzuwenden. Das ist die Chance, die in dieser Situation besteht.
Stefan Hunziker: Ich warne davor, ein ESG-Risikomanagement isoliert aufzubauen. Das macht keinen Sinn. Es ist ein integraler Bestandteil der Unternehmensführung. Daher erübrigt sich die Frage, ob es als eigenständiges „Silo“ betrachtet werden muss. Es ist zwar neu, dass die bestehende Risikolandschaft expliziter unter dem Gesichtspunkt von ESG-Risiken bewertet werden muss, soweit dies noch nicht geschieht. Doch eigentlich hat das Unternehmen dies bereits in gewissem Maße getan, wenn auch vielleicht nicht in dieser Ausführlichkeit.
Wie Herr Gleißner bereits richtig angemerkt hat, ist die Reife des Risikomanagements in vielen Unternehmen nicht ausreichend, um ESG-Risiken angemessen zu bewerten. Es handelt sich also weniger um eine spezifische ESG-Herausforderung als vielmehr um eine allgemeine Herausforderung des Risikomanagements. Generell sollten diese Risikomanagementinformationen in die Entscheidungsprozesse der Unternehmen einfließen. Möglicherweise ist dies ein positiver Anstoß, um das Risikomanagement zu verbessern. Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass das heutige Risikomanagement den Standards der Nachhaltigkeitsberichterstattung angepasst wird, was nicht unbedingt von Vorteil wäre, da diese Standards oft einen niedrigeren Reifegrad im Bereich Risikomanagement aufweisen und das Risikoverständnis möglicherweise bescheiden ist.
Es sollte sich vielmehr anpassen, indem es das Niveau der Bewertung und Berücksichtigung von ESG-Risiken erhöht. Möglicherweise ergeben sich auch neue Risiken und Chancen aus einer Materialitäts- und Wesentlichkeitsanalyse, die bei der Berücksichtigung als Risikoinput und mögliche neue Risiken und Chancen dienen sollten.
Werner Gleißner: Ich glaube, hier liegt wirklich die Chance, diesen Anstoß zu nutzen, um das Problem der Nachhaltigkeit aus einer strategischen Perspektive anzugehen; über finanzielle Nachhaltigkeit und auch über Methoden im Risikomanagement nachzudenken. Neben dieser Chance besteht jedoch auch eine Gefahr, wie Herr Hunziker bereits angesprochen hat.
Wenn wir keine angemessenen Messkonzepte haben, insbesondere bei der doppelten Materialitätsanalyse, dann haben wir im Grunde genommen nur vage Vorstellungen. Das sind Meinungen, die letztendlich wenig aussagen und möglicherweise wertlose Informationen darstellen. Es besteht sogar die Gefahr, dass das Unternehmen sich auf Dinge festlegt, die als wesentlich eingestuft wurden, obwohl sie es vielleicht gar nicht sind. Hierbei geht es um unternehmerische Entscheidungen. Durch die Festlegung von Wesentlichkeiten verpflichtet man sich im Sinne der Business Judgment Rule, alles, was als wesentlich erachtet wird, bei zukünftigen unternehmerischen Entscheidungen, Investitionen und Akquisitionen zu berücksichtigen. Dies ist jedoch oft nicht realisierbar.
Das Hauptproblem, das vielen noch unklar ist, ist, dass es im ersten Schritt zwar eine Dokumentation darüber gibt, was als wesentlich betrachtet wird, aber eigentlich will man etwas für mehr Nachhaltigkeit tun. Das ist grundsätzlich positiv, aber das Problem besteht darin, dass man diese Aspekte auch tatsächlich in Entscheidungen einbeziehen muss. Viele Unternehmen verfügen nicht über die Methoden und Regeln, wie unternehmerische Entscheidungen vorbereitet werden sollten und wie Risiken, insbesondere Nachhaltigkeitsrisiken, berücksichtigt werden können.
Daher ist es dringend erforderlich, neben der Verbesserung des Risikomanagements, auch ein Regelwerk zur Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen unter Berücksichtigung von Risiken im Allgemeinen und insbesondere von Nachhaltigkeitsrisiken zu schaffen. Das sollte eine klare Empfehlung sein, der man Geld und Ressourcen widmen sollte. Es geht schließlich um die Entscheidungen, die das Unternehmen trifft.
Stefan Hunziker: Es ist bekannt, zumindest aus Studien in der Schweiz, dass ESG-Risiken bisher nicht systematisch im Risikobericht berücksichtigt wurden und noch viel weniger in Entscheidungsprozessen. Es besteht also ein doppeltes Problem, das empirisch gut belegt werden kann: Unternehmen haben Schwierigkeiten, sich diesen Themen anzunehmen. Ein oft genannter Grund dafür ist die mangelnde Verfügbarkeit von Daten, was ein grundlegendes Bewertungsproblem darstellt. Der zweite Grund liegt darin, dass Unternehmen über den Planungshorizont hinaus, insbesondere bei Klimarisiken, keine klare Vorstellung haben. Unternehmen haben Mühe, mit Risiken methodisch adäquat umzugehen, die über den Planungshorizont hinausgehen. Szenarioanalysen und Trendanalysen, die dafür erforderlich wären, sind oft nicht vorhanden.
Deshalb gibt es eine Art Zweiklassengesellschaft von Risiken: Diejenigen, die nicht quantifiziert werden können, wie beispielsweise Klimarisiken, werden oft vernachlässigt, während kurzfristige Risiken, für die Daten und Modelle vorhanden sind, gut umgangen werden können. Da diese langfristigen Risiken nicht bewertet werden können, werden sie oft als nicht vorhanden betrachtet.
Diese Risiken fließen dann nicht in das Gesamtaggregat der anderen Risiken ein, was tatsächlich ein Problem ist, zumindest in der Schweiz, wie Unternehmen gut wissen.
Werner Gleißner: Ich denke, dieses Problem existiert nicht nur in Unternehmen der Schweiz, sondern ist auch in anderen Ländern sichtbar. Wenn ich mich nicht um Messkonzepte kümmere und damit auch die durch die ESRS angestrebte Transparenz nicht herstelle, entsteht ein ziemlich willkürliches Gefühlsbild. Und darin besteht innerhalb der Unternehmen die Schwierigkeit, weil man sich dann möglicherweise mit Themen sehr intensiv auseinandersetzt, die eigentlich gar nicht bedeutend sind. Letzten Endes birgt dies auch für den Berichtsleser eine gewisse Schwierigkeit. Wenn ich beispielsweise lese, das Thema CO2-Emissionen sei ein wesentlicher Aspekt, was bedeutet das denn eigentlich? Die EU hat es ja sogar versäumt, vorzugeben, welche sozialen Kosten den CO2-Emissionen eigentlich zugrunde zu legen sind. Manche Unternehmen haben dann gar keine Festlegung, andere Unternehmen legen sich wiederum auf 50 Euro pro Tonne fest – eher also der amerikanische Standard – ein weiteres legt sich auf 200 Euro fest. Das ist völlig unvergleichbar. Soll heißen: Was wir in den Nachhaltigkeitsberichten lesen, sind im Endeffekt oft weitgehend nutzlose Informationen. Und deshalb muss man hierbei darauf Wert legen, zumindest intern im Unternehmen Messkonzepte zu haben. In der Zukunft wird es vielleicht mehr unternehmensübergreifende Standards geben.
Um überhaupt eine Vergleichbarkeit herzustellen, muss man zunächst beispielsweise die sozialen Kosten der CO2-Emissionen bei X Euro pro Tonne interpretieren. Das mag richtig oder falsch sein in dem möglichen Spektrum, aber dann werden diese Zahlen überhaupt erst mal vergleichbar.
Stefan Hunziker: Die Wesentlichkeitsanalyse bereitet vielen Unternehmen Schwierigkeiten, da es bisher keine klaren Standards gibt und sich die Branchen wenig austauschen und kaum Branchenstandards entwickelt wurden. Jedoch bietet die GRI, auf die sich auch die ESRS 2 bezieht, in der Praxis bereits eine gewisse Anleitung zur Wesentlichkeitsanalyse. Dennoch lässt sie genug Spielraum offen, sodass es letztendlich wenig bis gar keine Guidance gibt. Positiv formuliert kann man sagen, dass Unternehmen im Grunde genommen tun können, was sie wollen, solange sie es methodisch konsistent machen und belegen können, wie sie es gemacht haben.
Diese große Freiheit kann jedoch für Unternehmen auch eine Herausforderung darstellen, da sie möglicherweise nicht wissen, wie sie diese Flexibilität nutzen sollen. Sie benötigen eine gewisse Anleitung, wie sie vorgehen sollen. Es scheint, dass Unternehmen derzeit nicht wirklich wissen, wie sie mit dieser Freiheit umgehen sollen. Das ist zumindest meine Beobachtung.
Anmerkung der Redaktion: Den zweiten Teil des spannenden Gesprächs können Sie in Kürze in der kommenden Ausgabe der GRCaktuell nachlesen inkl einer Zusammenfassung der Highlights des diesjährigen Austrian GRC Days.
Das Gespräch führte MMag. Sarah Blaimschein.
Der Artikel erschien in der CFOaktuell 03/2024.
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