Einkaufscontrolling
Stellen Sie sich vor, Sie sind der Einkaufsleiter eines großen Industrieunternehmens. Bei Ihren monatlichen Vorstandssitzungen kommt immer wieder die Frage auf, wie Ihre Leistung zu messen ist und auf welche Weise Sie zum Betriebsergebnis beitragen. Dies hat sich in den letzten Monaten noch verstärkt, da aufgrund der Inflation die Einkaufspreise stark angestiegen sind und eine deutliche Belastung des Ergebnisses darstellen. Sie argumentieren, dass zwar im Vergleich zum Vorjahr höhere Preise in Kauf zu nehmen sind, dass die Preissteigerungen aufgrund Ihrer hervorragenden Arbeit aber weniger hoch ausgefallen sind. Die sei alles schön und gut, aber wieviel Euro ist Ihre Arbeit nun wert, kommt die Antwort.
Aufgaben und Rolle des Einkaufs
Dem Einkauf kommt im Industrieunternehmen die entscheidende Rolle zu, Materialien und Dienstleistungen in der richtigen Menge, zu niedrigen Preisen und in der notwendigen Qualität für die Produktion und Leistungserstellung bereitzustellen. Damit lassen sich drei große Aufgabenbereiche identifizieren:
- Strategische Beschaffung und Lieferantenmanagement:
Diese umfassen die Identifizierung, Bewertung und Auswahl von Lieferanten sowie den Aufbau und die Pflege langfristiger Partnerschaften. Zugleich spielt die Implementierung von Risikomanagement-Strategien zur Minderung von Versorgungsrisiken und die Förderung von Nachhaltigkeit und Compliance (ESG) in der Lieferkette eine wichtige Rolle.
- Kosten-, Qualitäts- und Working Capital (WC)-Management:
Die Verhandlung von Preisen unter Berücksichtigung der TOC (Total Cost of Ownership), die Sicherstellung der Qualität gemäß der Produktionsanforderungen und -standards sowie der Beitrag zu den WC-Zielen durch das Aushandeln von Zahlungszielen mit Beachtung des Lagerumschlags gehören zu den Kernaufgaben des Einkaufs.
- Effiziente Prozesse nach außen und innen:
Die Automatisierung und Standardisierung von Einkaufsprozessen durch IT-Unterstützung reduziert die Kosten des Einkaufs. Eine enge Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen wie Produktion, Forschung und Entwicklung sowie Finanzen ist essenziell, um frühzeitig die Kostentreiber der Beschaffung mitzugestalten.
Erfolgsmessung im Einkauf
Die Messung des Erfolgs des Einkaufs ist aufgrund der Komplexität und des Umfangs der Aufgaben nicht mit einer Kennzahl zu erreichen. Um den Erfolg zu erfassen, sind daher quantitative und qualitative Ansätze zu verbinden und die gesamte Wertschöpfungskette des Einkaufs zu erfassen.
❚ Kosteneinsparungen: Die wohl naheliegendste Methode, den Erfolg des Einkaufs zu erfassen, ist, die Kosteneinsparungen direkt bei jedem Einkaufsvorgang zu quantifizieren. Obwohl auf den ersten Blick umständlich, muss ohnehin jede Bestellung erfasst werden und kann dann mit dem ursprünglichen Angebotspreis und dem endgültigen Preis dokumentiert werden. Der Unterschied ist der Erfolg des Einkaufs.
Dieses Vorgehen hat jedoch einige Haken und muss daher um weitere Kennzahlen ergänzt werden. Der günstigste Preis entsteht nämlich durch die Beschaffungen, die gar nicht erst vorgenommen werden, also die verhindert werden (Prevented Buying Rate). Um diese herauszufinden, muss man auch die Maverick Buying Rate kennen, also alle Beschaffungen, die am Einkauf vorbei passieren. Beide Kennzahlen sind in der Praxis oft erst im Nachhinein zu erfassen.
❚ Selbst wenn Sie alle diese Daten erfassen, bleibt immer noch die Frage, ob Ihre ausgehandelten Preise wirklich so günstig sind. Schließlich wollen Sie nicht das Angebot schlagen, sondern den Marktpreis. Vergleiche mit einem Index oder der Inflation können bei manchen Produkten helfen, sind jedoch inhärent ungenau.
❚ Einkaufsprozesse: Somit ist es notwendig, den Einkaufserfolg nicht nur direkt, sondern auch indirekt über den Umfang und die Effizienz der Tätigkeiten des Einkaufs zu messen. Dafür eignen sich eine Reihe von Messgrößen:
❚ Vollständigkeit der Lieferantenbewertungen: Regelmäßige Bewertung der Lieferantenperformance hinsichtlich Qualität, Lieferzeit, Flexibilität und Service.
❚ Einhalten von Lieferterminen (On-Time Delivery, OTD): Anteil der pünktlich im Vergleich zu den verspätet erhaltenen Lieferungen.
❚ Qualitätsrate: Anteil der ohne Mängel erhaltenen Waren im Verhältnis zur Gesamtzahl der Lieferungen.
❚ Durchlaufzeit von Bestellungen: Zeit von der Bestellanforderung bis zur Warenannahme.
❚ Automatisierungsrate im Einkauf: Anteil der Prozesse, die automatisiert ablaufen.
❚ Compliance-Rate: Anteil der Einkäufe, die gemäß den festgelegten Richtlinien und Verfahren durchgeführt wurden.
❚ Strategische Erfolgsbeiträge: Schwierig zu bewerten – aber wesentlich – sind die Beiträge des Einkaufs zum strategischen Kosten- und Erfolgsmanagement. Dazu zählen vor allem:
❚ Kooperationen mit Lieferanten: Bewertung der Fähigkeit der Lieferanten, innovative Lösungen und Verbesserungen anzubieten.
❚ Produktmanagement: Beitrag des Einkaufs zur Reduktion der Produktkomplexität.
❚ Risikomanagement: Effektivität der Maßnahmen zur Identifizierung, Bewertung und Minderung von Risiken in der Lieferkette.
❚ Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung: Erfolg bei der Implementierung von ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, Governance) in den Einkaufspraktiken.
❚ Interne Kundenzufriedenheit: Feedback von internen Stakeholdern bezüglich der Effektivität und Effizienz des Einkaufsprozesses.
❚ Kosten des Einkaufs: All diesen Leistungen sind schließlich die Kosten des Einkaufs gegenüberzustellen. Wie auch bei anderen internen Funktionen sind diese zunächst leicht zu erfassen, indem die primären und sekundären Kosten der Kostenstelle Einkauf ausgewiesen werden. Schwieriger ist es, die Kosten zu erfassen, die der Einkauf in anderen Abteilungen verursacht, etwa durch Reduktion der Flexibilität oder Dokumentationstätigkeiten.
Es gibt Ansätze, einige dieser Kennzahlen zu einer aggregierten Top-Kennzahl zu verbinden (zB ROSMA) und den Einkaufserfolg in einer einzigen Zahl darzustellen. Ob diese Reduktion der Komplexität das Verständnis für die Erfolgstreiber des Einkaufs erhöht oder reduziert, sei dahingestellt.
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