Agenten im Controlling-Alltag – Wie digitale Kollegen operative Effizienz fördern

Im Finanzbereich erleben wir derzeit einen Wandel, der gleichzeitig schnell wie grundlegend ist. Während sich der Diskurs über künstliche Intelligenz bislang vor allem auf strategische Fragen und Rahmenbedingungen konzentrierte, beginnt 2025 eine Umsetzungsphase mit konkreten Implementierungen im operativen Controlling. Das Stichwort sind hier KI-basierte „Agenten“, welche in diesem Jahr im Fokus des Gartner Hype Zyklus die viel diskutierte generative KI, insbesondere Chatbots basierend auf Unternehmensdaten, von der Bergspitze der Erwartungshaltung abgelöst haben. Was genau sind Agenten, und wie lässt sich die große Erwartungshaltung im Controlling tatsächlich realisieren?

Dieser Beitrag ist erstmalig in CFO aktuell – Zeitschrift für Finance & Controlling 04/2025 im Linde Verlag erschienen.


VOM KI-HYPE ZUR PRODUKTIVEN REALITÄT: AGENTEN ERREICHEN DEN FINANZBEREICH

Im Controlling, wo die Arbeit traditionell auf eigenen quantitativen Methoden und unternehmensspezifischen Regularien basiert, ist ein aktueller und unternehmensbezogener Wissensstand jeglicher KI-Anwendung essenziell. Genau hier lag
eine der zentralen Limitationen in der Anfangsphase generativer KI für das Controlling. Diese greifen nun Agenten – spezialisierte digitale Helfer – auf, indem sie Aufgaben, die bisher manuell oder über aufwendig konfigurierte Automatisierungslösungen erledigt wurden, übernehmen.
Technisch basieren Agenten auf Large Language Models (LLMs), die nicht nur in der Lage sind, Sprache zu verstehen und zu generieren, sondern durch die Kombination mit Werkzeugen (Datenbanken, prädiktiven Algorithmen, programmierte Business-Logik etc.) den internen Unternehmenskontext verstehen und auch aktiv in ihm handeln. Im Gegensatz zur klassischen Automatisierung führt dies zu einer deutlich erhöhten Flexibilität, da sich Agenten im dynamischen Umfeld und den Anforderungen des menschlichen Auftraggebers anpassen.
Der Autonomiegrad, das Komplexitätsniveau der Aufgabe und das konkrete Abstecken von „Domänenexperten“ unterscheidet die Agenten von den in den letzten Jahren vermehrt bereits implementierten Chatbots.
Dieser modulare Entwicklungsansatz mit spezialisierten Agenten kann weitreichende Änderungen für das Controlling mit sich bringen. So beschreibt Weißenberger einen Übergang von rein operativer Effizienzsteigerung durch generative KI
hin zu einer weitreichenden Einbettung in alltägliche Prozesse, wobei der Controller zunehmend als Kurator und Enterpretator der KI-Ergebnisse agiert.3 Schulze, Broßmann und Wallraff betonen in diesem Zusammenhang, dass gerade durch generative KI eine neue Form der Mensch-Maschine-Interaktion entsteht – KI-Systeme treten nicht mehr als Blackbox, sondern als kollaborative Partner auf, die menschliche Expertise ergänzen, aber nicht ersetzen.
Zusammenfassend entsteht die hohe Erwartungshaltung an Agenten aus dem erweiterten Handlungsspielraum über das Generieren von Texten hinweg (was im Controlling selten zu einem echten Mehrwert führt) hin zu vollständigen Handlungen in Prozessen. Außerdem: Mussten in Projekten zur generativen KI (zB „internes GPT“) organisatorische Richtlinien hinsichtlich Zugriffsrechte, Datenschutz und Governance oft komplett neu gedacht werden, können Agenten
heute direkt an bestehende Rollen- und Berechtigungsstrukturen anknüpfen. Die technische Integration erfolgt häufig über bereits vorhandene Schnittstellen (zB zu ERP-Systemen), was eine niedrigschwellige Umsetzung im Unternehmenskontext ermöglicht.

Abbildung 1: Heidemann, Agenten im Controlling-Alltag – Wie digitale Kollegen operative Effizienz fördern, CFO aktuell 04/2025, 134.

WAS SIND AGENTEN – UND WAS UNTERSCHEIDET SIE VON KLASSISCHER IT-AUTOMATISIERUNG?

Agenten sind digitale Systeme, die mithilfe von großen Sprachmodellen, sogenannten Large Language Models (=LLMs) wie GPT von OpenAI, Claude Sonnet oder Gemini von Google, Aufgaben eigenständig bearbeiten können. Dabei planen und agieren sie iterativ, nutzen Werkzeugintegration und speichern Feedback in einem internen Gedächtnis (siehe Abbildung 1).
Ein Beispiel für den Mehrwert dieses Ansatzes: Es ist bekannt, dass LLMs Limitationen in ihrer Verlässlichkeit bei mathematischen Berechnungen haben. Allerdings können sie sich einem Werkzeug wie einem Taschenrechner bedienen, um diese Limitationen zu überwinden. Im Unterschied zur klassischen Automatisierung (RPA) arbeiten Agenten nicht regelbasiert, sondern kontextsensitiv – sie „verstehen“, in welchem Zusammenhang eine Anfrage steht, greifen auf relevante Datenquellen zu, interpretieren diese und führen erforderliche Schritte aus. Darüber hinaus lernen sie stetig hinzu
und adaptieren Logiken. Tabelle 1 fasst die Unterschiede zwischen Agenten und klassischer Automatisierung zusammen.
Die Geschwindigkeit, mit der Anbieter von Standardsoftware im Controlling (SAP, IBM, Microsoft etc) ihre LLM-Schnittstellen in Richtung von Standardprotokollen (zB Model Context Protocol) ausbauen, ist hoch. So stellen sie ihre Funktionen und Systeme der Agentenwelt als Werkzeugkoffer zur Verfügung. Gleichzeitig verfügen sie über Memory-Komponenten, die frühere Interaktionen und Feedback berücksichtigen, sowie über Entscheidungsparameter wie Autonomiegrenzen, sicherheitsrelevante Leitplanken oder Feedbackmechanismen. Heißt: Bei Agenten handelt ein LLM wie das Betriebssystem auf dem Computer: Es wertet Benutzeranfragen aus, führt Aktionen aus und speichert Ergebnisse auf der Festplatte ab. Damit sind Agenten nicht nur Text generierende Systeme, sondern strukturierte „digitale Kollegen“ mit eingebauter Handlungskompetenz.

Tabelle 1: Heidemann, Agenten im Controlling-Alltag – Wie digitale Kollegen operative Effizienz fördern, CFO aktuell 04/2025, 135.

USE-CASES IM CONTROLLING-ALLTAG

Bereits heute zeigen sich zahlreiche produktive Anwendungsfelder. Die vier folgenden Beispiele adressieren verbreitete Alltagsaufgaben im Controlling:

  1. In der Unternehmensplanung wird es nun möglich, neben klassischen Predictive Analytics für das Forecasting auch unstrukturierte Daten standardisiert zu erheben und auszuwerten. So kann ein Agent beispielsweise tagesaktuelle Nachrichten aus vertrauenswürdigen Quellen automatisch analysieren, validieren und in definierte Zielsysteme (Excel, SAP etc) konsolidiert eintragen – einschließlich dokumentierter Herkunft, Zeitstempel und Validierungslogik.
  2. Im Rahmen des Monatsabschlusses erkennt der Agent fehlende Buchungen oder Plausibilitätsabweichungen bei Kostenstellen. Statt lediglich einen Fehlerbericht zu erzeugen, interpretiert er die Abweichung, schlägt mögliche Ursachen vor und erstellt, falls gewünscht, automatisch Folgeaufgaben (zB eine Überprüfung) im Work-flow-System.
  3. Im Bereich der Datenanalyse können Agenten ein textbasiertes Analysewerkzeug („Conversational Analytics“) bereitstellen. Die Agenten ermöglichen es Nutzern, analytische Fragestellungen in natürlicher Sprache zu stellen – etwa „Wie hat sich der Umsatzforecast im Vergleich zur Budgetplanung in Q1 für die neue Produktpalette entwickelt?“ Der Agent ruft die Daten in Echtzeit aus SAP-Systemen (S/4HANA, Business Warehouse, SAP Analytics Cloud etc) ab, analysiert Budgetabweichungen und liefert eine komplmentierte Antwort inklusive Diagramm. Durch den Erinnerungsmechanismus von Agenten wird beispielsweise der kontinuierliche Einfluss von Jahresabschlussbuchungen vom System verstanden und entsprechend gekennzeichnet.
  4. Ein Beispiel mit höherer Autonomie ist der intelligente Benchmark-Vergleich. Hier analysiert ein Agent öffentliche Quellen wie Geschäftsberichte, ESG-Ratings und Webseiten konkurrierender Unternehmen (eigenständige Auswahl), extrahiert strukturrelevante Kennzahlen, normalisiert sie und vergleicht diese mit den eigenen Finanzdaten – ein aufschlussreicher Blick über den Tellerrand mit konkreten Handlungsempfehlungen ist der Output, der sonst hohe manuelle Rechercheaufwände erfordern würde.

Die Anwendungsfälle zeigen vor allem: Agenten ermöglichen eine signifikante Entlastung bei repetitiven und zeitaufwändigen Aufgaben, verbessern die Datenverfügbarkeit für Entscheidungen und schaffen Freiräume für wertschöpfende Tätigkeiten im Controlling. Ein Szenario, in dem Agenten komplett autonom agieren und Entscheidungen
ohne menschliche Kontrolle treffen, ist insbesondere im Controlling selten. Vielmehr wird der jeweilige Autonomiegrad eines Agenten je nach Kontext, beispielsweise hinsichtlich der Kritikalität von Entscheidungen, gewählt.

TECHNOLOGISCHE ANBIETERLANDSCHAFT – ETABLIERTE PLATTFORMEN UND SPEZIALISIERTE LÖSUNGEN

In einem gut konzipierten Agentensystem übernehmen LLMs eine zentrale Rolle als Benutzerschnittstelle mit hoher Flexibilität und überlassen den Werkzeugen die Unteraufgaben, die sie selbst nicht gut beherrschen (zB Rechnen, Kontextinformationen einholen etc). Um dieses Gesamtsystem eines Agenten zu entwickeln, haben sich in kürzester Zeit proprietäre Plattformanbieter und Open-Source-Werkzeuge gebildet. Auf der proprietären Plattformseite dominieren große Anbieter wie SAP, das mit Joule eine kontextbezogene Agenteninfrastruktur in die SAP Business Suite integriert, sowie
Microsoft, dessen Copilot Studio in Kombination mit Power Plattform eine schnelle Erstellung domänenspezischer Agenten ermöglicht. Beide Lösungen punkten durch tiefe Integration in bestehende Workflows und hohe Skalierbarkeit. Der Vorteil solcher Anbieter: Sie entwickeln schon seit vielen Jahren Schnittstellen für automatisierte Workflows, die nun den Agenten zugutekommen. Ebenso haben sich spezialisierte Anbieter für die Agenten, zB n8n herausgebildet. Im Gegensatz dazu bieten programmatische Open-Source-Werkzeuge wie LangChain, LLamaIndex oder Haystack hohe Flexibilität.
Die Auswahl zwischen Make or Buy hängt wie so oft von einer Vielzahl von Faktoren ab und muss jeweils individuell getroffen werden. Darunter fallen insbesondere (1) das vorhandene Know-how und personelle Ressourcen, (2) Komplexität und Reifegrad/Zielsetzung der angestrebten Agenten, (3) die bestehende Daten- und KI-Infrastruktur sowie (4) Anforderungen an die IT-Sicherheit.

RISIKEN, GRENZEN UND REGULATORISCHE PERSPEKTIVEN

Trotz aller technischer Fortschritte im Bereich der Agenten sind die organisatorischen Herausfordeungen bei der Einführung von KI hoch. Die technische Integration ist lösbar – aber Fragen der Governance, Compliance und Kontrolle bleiben
zentrale Erfolgsfaktoren. Besonders sensibel ist der Umgang mit vertraulichen Finanzdaten. Agenten müssen mit klaren Leitplanken und Kompetenzen konfiguriert sein, sodass sie nur auf autorisierte Datenquellen zugreifen und jede Aktion revisionssicher dokumentieren. Die Einhaltung der DSGVO und anderer rechtlicher Anforderungen ist entscheidend – sowohl bei Inhouse-Lösungen als auch bei Cloud-Diensten. Zudem bergen lernfähige Systeme immer ein gewisses Maß an Unschärfe. Daher ist es entscheidend, dass die Verantwortung bei kritischen Entscheidungen weiterhin klar beim Menschen liegt. Gut funktionierende Agenten zeichnen sich gerade dadurch aus, dass so weit wie möglich die bestehenden Regeln (zB „Wer darf welche Daten sehen?“) vom Nutzer auf den Agenten übertragen und nicht neu gedacht werden müssen, und dass sie Entscheidungsprozesse unterstützen – aber nicht ersetzen. Fehlinterpretationen oder halluzinierte Inhalte stellen ein weiteres Risiko dar, wobei im Gegensatz zum alleinstehenden LLM eine Vielzahl von Gegenmaßnahmen im Kontext von Agenten getroffen werden kann. So empfiehlt sich der Einsatz von Validierungsstufen, zB durch Prüfschritte, Leitplanken der abzudeckenden Fälle, Feedbackmechanismen oder explizite Freigaben, die direkt in die Agentensysteme eingebaut werden.


Quellen

  • Gartner, Hype Cycle for Artificial Intelligence 2025, abrufbar unter https://www.gartner.com/en/articles/hype-cycle-for-artifcial-intelligence (2025) (Zugriff zuletzt am 29.7. 2025).
  • Leitner-Hanetseder/Losbichler/Altendorfer, Generative KI im Controlling – Wie können Large Language Modelle
    das Controlling verändern? CFO aktuell 2023, 168 ff.
  • Weißenberger, Künstliche Intelligenz als Zukunftstechnologie im Controlling – Plädoyer für eine aktive Rollenübernahme des Controllings. Controlling & Management Review 2021, 8 ff.
  • Schulze/Broßmann/Wallraff, KI in Controlling und Finance: Einsatzmöglichkeiten und Risiken, Controller Magazin 2023, 56 ff.
  • Packer et al, MemGPT: Towards LLMs as Operating Systems, online abrufbar (Zugriff zuletzt am 22. 7. 2025).
  • Leitner-Hanetseder/Losbichler/Altendorfer, Generative KI im Controlling, CFO aktuell 2023, 168 ff.

Ansgar Heidemann ist Solution Expert Data
Science & AI bei der Windhoff Group.

Außerdem ist Leiter des neuen Lehrgangs Prozessautomatisierung in Controlling & Finance und ab Herbst 2025 auch Leiter unseres Lehrgangs Certified Expert in Data Science & Analytics.


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